Beitrag im Newsletter Nr. 24 vom 14.12.2023

Clemens Preine

Ehrenamt braucht Hauptamt!

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BBE-Newsletter: Lieber Herr Preine, Sie sind seit vielen Jahren ehrenamtlicher Bürgermeister der Gemeinde Brokstedt. Kommen Sie selbst aus der Region und wollten Sie immer schon Bürgermeister werden? Was hat Sie dazu bewogen, für das Amt zu kandidieren?
Ich komme aus der Region und habe nur ein Jahr in meinem bisherigen Leben außerhalb von Brokstedt gelebt. Mein Opa war in den fünfziger/sechziger Jahren Bürgermeister von Brokstedt. Man könnte also sagen ich habe das »Bürgermeistergen«. Es war klar, dass ich mich nach meinem Landwirtschaftsstudium und der Übernahme des elterlichen landwirtschaftlichen Betriebes in der Gemeindepolitik engagieren würde. Seit 2001 bin ich Bürgermeister und blicke auf unendlich viele angenehme Momente zurück.

BBE-Newsletter: Eine aktuelle Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung zusammen mit der Wüstenrot Stiftung kommt unter anderem zu dem Ergebnis, dass Bürgermeister*innen im ländlichen Raum »zentrale Schaltstellen« sind, die »die Geschicke des Ortes leiten. Mit Weitblick und Offenheit für Innovationen können sie neue Wege in der Gemeindeentwicklung einschlagen und Menschen […] mit Ideen und Engagement zusammenbringen.« Wie würden Sie Ihre Rolle in Bezug auf bürgerschaftliches Engagement in Brokstedt beschreiben?

Dem Ergebnis der Studie kann ich voll und ganz zustimmen. Als Bürgermeister kennt man wie es so schön heißt »Land und Leute«, ist oft Mitglied in vielen Vereinen, hat stets ein Ohr für seine Mitmenschen und muss nur noch die wichtigen brennenden Ideen und Wünsche herausfiltern. Dabei ist es wichtig, sich gemeinsam mit den Bürger*innen Gedanken über die Zukunft zu machen. So wird gemeinsame Gestaltung möglich. Die daraus entstehenden Ortsentwicklungskonzepte (wir machen das in Brokstedt alle 10 Jahre) sind zudem die Eintrittskarte für Fördergelder, mit denen sich Maßnahmenumsetzungen beschleunigen lassen.

BBE-Newsletter: Wie engagiert ist Brokstedt? Welche Formen des Engagements gibt es und in welchen Bereichen wird sich engagiert?

Brokstedt hat allein durch seinen hohen ehrenamtlichen Organisationsgrad in den vielen Vereinen (rd. 25) ein großes Potential an ehrenamtlichem Engagement. Es gibt viele Möglichkeiten, sich in den Vereinen und Institutionen zu engagieren. Über das reichhaltige Beschäftigungsangebot kommt es zu zahlreichen Kontakten, das erleichtert Zusammenarbeit enorm und ist ein guter Boden für die aktive Mitgestaltung in der Gemeinde. Es finden sich stets »Player«, die Freude daran haben etwas Tolles für andere zu organisieren. Es mangelt dann meist nicht an Mitstreitern.

BBE-Newsletter: Weil unser Newsletter ja den Schwerpunkt auf Kultur am Land hat: Welche Rolle spielt kulturelles Engagement bei Ihnen in Brokstedt? Was denken Sie generell, dass Kultur im ländlichen Raum bewirken kann?

In Brokstedt haben wir das große Glück, den Verein Miteinander Leben e.V. (MiLe) zu haben. Der Verein organisiert Musikveranstaltungen, Lesungen u.a. im Kultur(t)raum, die in Räumlichkeiten der ehemaligen Hauptschule (heute nur noch Grundschule) eigens dafür ausgestattet wurde. Eine größere Tribüne für Kulturveranstaltungen wurde angeschafft und wird im Sommer auf dem Schulhof aufgebaut. Zu den Konzerten kommen bis zu 300 Besucher*innen aus Brokstedt und Umgebung. Ich finde das macht deutlich, wie wichtig es ist, ein Kulturangebot (auch) im ländlichen Raum anzubieten.

BBE-Newsletter: Brokstedt ist eine von 18 Programmkommunen, die vom Land Schleswig-Holstein im Rahmen der Engagement-Strategie unterstützt werden. Wobei hat Brokstedt diese Förderung geholfen?

Die Engagement-Strategie hat Brokstedt dabei geholfen, bereits vorhandene Strukturen miteinander zu vernetzen. Der Ehrenamts- und Vereinskoordinatorin ist es gelungen, ein Netzwerk aufzubauen, worüber schnell kommuniziert und sich ausgetauscht werden kann. Fördermöglichkeiten wurden platziert, bei der Antragstellung jedweder Art Hilfe angeboten und Anschaffungen wie z.B. eine Hüpfburg allen Vereinen und Einrichtungen für Kinderfeste zur Verfügung gestellt. Machen wir uns nichts vor, selbst bei dem hohen ehrenamtlichen Engagement in Brokstedt macht sich auch hier Überforderung bei den Verantwortlichen breit, beispielsweise eine Veranstaltung zu beantragen und zu organisieren. Die »Vereinskümmerin« hilft, macht den Akteuren wieder Mut und gewinnt neue hinzu.

BBE-Newsletter: Wie oben bereits erwähnt, hat Ihre Gemeinde im Rahmen der Förderung die Teilzeitstelle einer »Vereinskümmererin«, also einer Ehrenamtskoordinatorin, eingerichtet. Was ist das Stellenprofil und was kann so eine Stelle aus Ihrer Sicht in einer Gemeinde bewegen?

Diese Stelle ist für das bürgerschaftliche Engagement in Brokstedt enorm wichtig. Sie übernimmt u.a. folgende Aufgaben: – Aktivierung aller Bevölkerungsgruppen – insbesondere der Neubürger*innen für das Ehrenamt – aktive Unterstützung der Vereinsführungen (z.B. durch Aufbau einer gemeinsamen Struktur in den sozialen Medien, eine professionelle Werbestrategie für die Vereinsangebote, Einführung von Sponsoringbetreuung und Crowd Funding) – Heranführung von interessierten Bürger*innen aus dem Bürgerpool an die Vereine – Entwicklung und Aufbau eines Bürgerbeirates – Einführung einer Holding als Überbau, um die Geschicke der Vereine zu koordinieren und gemeinsame Ideen und Aktivitäten zu entwickeln

Viele Dinge wurden bereits bewegt. Natürlich ist alles ein laufender Prozess, der sich ständig neuen Gegebenheiten anpassen muss. Insbesondere das Lenken der Geschicke der Vereine bedarf auch in Zukunft »professioneller« Hilfe. Das Ehrenamt ist wie schon gesagt oftmals überfordert und könnte sich bei entsprechender Unterstützung mehr auf die »Mitgliederpflege« konzentrieren. Die Mitglieder sind es, die letztlich das Leben eines Vereins ausmachen.

BBE-Newsletter: Brokstedt ist seit 2022 auch Mitglied im Programm »Engagiertes Land«, dessen Ziel es ist, Netzwerke vor Ort nachhaltig zu stärken. Wie kann ein gutes zivilgesellschaftliches Netzwerk aus unterschiedlichsten Vereinen über mehrere Ortsteile hinweg funktionieren? Und warum ist es aus Ihrer Sicht überhaupt wichtig, solche Netzwerke zu bilden und zu pflegen?

Ein gutes zivilgesellschaftliches Netzwerk funktioniert durch die Kombination sozialer Medien und persönlicher Kontakte, will heißen auch der vierteljährliche Vereinsstammtisch ist von elementarer Bedeutung für das soziale Miteinander. Die Vereine tauschen sich aus und lernen dabei voneinander. Gemeinsame Veranstaltungen und Feiern bereichern das soziale Miteinander.

BBE-Newsletter: Was sind Ihrer Meinung nach die Herausforderungen von Engagement und Ehrenamt im ländlichen Raum?

Das größte Problem sehe ich im Rückzug insbesondere der jüngeren Generation in den »non-verbalen Raum«. Viele Einzelstrategien machen keine Gemeinschaft. Es muss den jetzt Verantwortung tragenden Vorständen gelingen, die nachfolgende Generation für den Mehrwert des Miteinanders in Vereinen und sonstigen Institutionen zu begeistern. Jugendbeteiligung muss gelebt werden, indem jungen Leuten zugehört und aktiv auf sie zugegangen wird.

BBE-Newsletter: Welche Rahmenbedingungen braucht es, um Engagement vor Ort zu stärken? Wie muss bürgerschaftliches Engagement am Land zukünftig gestaltet werden, um es attraktiver zu machen?

Es braucht ein vielseitiges Angebot, für jede*n sollte etwas dabei sein. Über dieses vielseitige Angebot kann man die Menschen zusammenführen und für das ehrenamtliche Engagement begeistern. Das Engagement auf mehrere Schultern verteilen oder das Engagement auf kleinere Projekte beschränken, so dass man nach dem erfolgreichen Abschluss seines Projektes auch mal wieder die Rolle des bloßen Nutzers der Angebote einnehmen kann. Hier müssen auch neue Formen des Engagements Platz haben für Leute, die sich nicht mehr langfristig binden wollen oder deren Familiensituation es zum Beispiel aktuell nicht zulässt. Wichtig ist wie schon mehrfach gesagt die hauptamtliche Unterstützung durch eine Ehrenamts- und Vereinskoordinatorin.

BBE-Newsletter: Welche Wünsche haben Sie an Landkreis-, Landes- und Bundesebene in Bezug auf Förderung von bürgerschaftlichem Engagement?

Auf keinen Fall darf die jetzige Förderung eingeschränkt werden. Ich sehe hier eher eine Ausweitung, auch im Hinblick auf steigende Anforderungen an die Integration. Bürgerschaftliches Engagement unterstützt die Nächstenliebe und fördert das soziale Miteinander.


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Clemens Preine ist seit 2001 ehrenamtlicher Bürgermeister der Gemeinde Brokstedt in Schleswig-Holstein.

Web: www.gemeinde-brokstedt.de


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