Beitrag im Newsletter Nr. 3 vom 7.2.2019

Politisches und gemeinnütziges Engagement widersprechen sich nicht

Stefan Diefenbach-Trommer

Inhalt

Einleitung

Partei oder gemeinnützig

Politische Zwecke

Politische Mittel

Fortsetzung gemeinnütziger Zwecke in Parteien

Parteinahe Stiftungsvereine

Personelle Überschneidungen mit Parteien

Gemeinnütziger Zweck

Endnoten

Autor

Literatur

Redaktion


Der Text beruht auf der Ende 2018 im »Forschungsjournal Soziale Bewegungen« erschienenen Analyse »Über Bewegungen, Politik und das Gemeinnützigkeitsrecht« (4/2018, Seite 9).

Einleitung

Der Status der Gemeinnützigkeit ist über verschiedene Logiken und Funktionen hinweg das markante und prägende Merkmal zivilgesellschaftlicher Organisationen in Deutschland. Der Status markiert deutlich den Unterschied zu politischen Parteien. Sich politisch einmischenden Vereinen die Gemeinnützigkeit zu verwehren, ist daher nicht klug.

Das lässt sich gut illustrieren am Beispiel der von Sarah Wagenknecht und anderen Parteipolitiker*innen gegründeten »Sammlungsbewegung Aufstehen«. Was diese Organisation mit ihrem »Aufstehen Trägerverein Sammlungsbewegung e.V.« von anderen Bewegungsorganisationen unterschiedet, beschreibt Dieter Rucht im Working-Paper des Instituts für Protestund Bewegungsforschung unter dem Titel »Sitzenbleiben, #aufstehen oder aufstehen? Über den Versuch einer linken Sammlungsbewegung« 1.

Bewegungsorganisationen sind zivilgesellschaftliche Organisation, die mit den Strukturen und Zielen etwa eines lokalen Sportvereins nicht viel zu tun haben. Beide verbinden jedoch Engagement-Merkmale und insbesondere das selbstlose Eintreten zum Wohl der Allgemeinheit. Bei Bewegungsorganisationen geht es um politische Einmischung, außerparlamentarisch und nicht als politische Partei.

Die »Sammlungsbewegung Aufstehen« strebt offenbar nicht an, als gemeinnützig anerkannt zu werden. Die Satzung des »Aufstehen Trägerverein Sammlungsbewegung e.V.« übernimmt zwar fast alle Vorgaben der Abgabenordnung, doch es fehlt die für die Gemeinnützigkeit unverzichtbare Erklärung aus der Mustersatzung (Anlage der Abgabenordnung), der Verein verfolge »ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke im Sinne des Abschnitts ›Steuerbegünstigte Zwecke‹ der Abgabenordnung«. Der in der Satzung festgelegte Zweck »wirtschaftliche und technische Unterstützung der Sammlungsbewegung ›Aufstehen‹« passt denn auch zu keinem der gesetzlichen gemeinnützigen Zwecke.

Auf seiner Website suggerierte »Aufstehen« zunächst, die Gemeinnützigkeit anzustreben: »Bitte beachten: Unser Trägerverein ist (noch) nicht gemeinnützig, weswegen eine steuerliche Absetzung derzeit nicht möglich ist«, stand noch im Oktober 2018 auf https://www.aufstehen.de/spenden/. Die Satzung war auf der Website nicht einsehbar.

Mittlerweile (1.2.2019) ist die Satzung als Download auf der Aufstehen-Website zu finden (https://aufstehen.de/wp-content/uploads/2019/01/aufstehen_Satzung.pdf). Auf der Spendenseite steht nun nebenbei, dass der Trägerverein »nicht gemeinnützig anerkannt ist«. Eine offensive Erklärung, dass und warum der Verein auf die Gemeinnützigkeit verzichtet, fehlt. Andere Organisationen klären ihre Spender*innen deutlich auf, z.B. Ende Gelände: »Leider können wir keine Spendenbescheinigung ausstellen – Ziviler Ungehorsam ist leider nicht steuerbegünstigt.« (https://www.ende-gelaende.org/de/spenden/)

Daher kann nur spekuliert werden, warum der Aufstehen-Trägerverein die Gemeinnützigkeit nicht anstrebt. Ein Grund könnte sein, dass in der Abgabenordnung (AO) passende gemeinnützige Zwecke fehlen. »Aufstehen« ist in seinen Zielen so unklar, dass eine Zuordnung zu spezifischen Zwecken wie »Umweltschutz« ausfällt. Der Zweck »Förderung des demokratischen Staatswesens« wird oft nur sehr einschränkend interpretiert. Kein Grund sollte sein, dass »Aufstehen« mit politischen Mitteln arbeiten möchte, sich politisch einmischen will, dass dort Menschen aus Parteien engagieren. Ein Grund könnte sein, dass sich »Aufstehen« die Tür offenhalten möchte, doch noch zu Wahlen anzutreten.

Wäre »Aufstehen« gemeinnützig, wäre das ein klares Bekenntnis dazu, nicht zu einer Partei werden zu wollen, nicht zu Wahlen antreten zu wollen.

Partei oder gemeinnützig

Das Gemeinnützigkeitsrecht unterscheidet streng zwischen Parteien und Nicht-Parteien. Schon dadurch, dass für Parteien ganz eigene Regeln gelten, ist klar, dass sie nicht gemeinnützig sein können. Zudem bestimmt § 55 der Abgabenordnung eindeutig: »Die Körperschaft darf ihre Mittel weder für die unmittelbare noch für die mittelbare Unterstützung oder Förderung politischer Parteien verwenden.« Der Bundesfinanzhof hat 2017 im Verfahren um die Gemeinnützigkeit des Hamburger Landesverbandes des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) erneut klar gestellt: »Das Betreiben oder Unterstützen von Parteipolitik ist immer gemeinnützigkeitsschädlich.« (Entscheidung vom 20.3.2017, X R 13/15)

Gemeinnützige Organisationen dürfen zwar zur Wahl einer bestimmten Partei aufrufen, wenn sie nachvollziehbar zu dem Schluss gekommen sind, dass das Programm dieser Partei ihre Ziele am besten umsetzt. Sie dürfen aber nicht selbst zu Wahlen antreten. Mit der Entscheidung, gemeinnützig zu sein, würde »Aufstehen« quasi ausschließen, jemals selbst zu Wahlen anzutreten. Die Anerkennung des Vereins als gemeinnützig würde diese Trennlinie klar ziehen und die bestehenden Parteien könnten sich entspannt zurücklehnen.

Würde der gemeinnützige Aufstehen-Verein sich später entscheiden, doch zu Wahlen anzutreten, müsste er die Gemeinnützigkeit aufgeben und damit sein gesamtes Vermögen abgeben. Das wäre der Gegenwert des Bilanzvermögens zu diesem Zeitpunkt: Rücklagen, Kontoguthaben, der Wert von Mobiliar und Computerprogrammen. Möglich wäre es natürlich, diesen Verlust in Kauf zu nehmen und mit einem Kredit zu bezahlen, der dann über steuerlich viel attraktivere Parteispenden und Parteienfinanzierung abgelöst wird.

Politische Zwecke

»Politische Zwecke (Beeinflussung der politischen Meinungsbildung, Förderung politischer Parteien u. dgl.) zählen grundsätzlich nicht zu den gemeinnützigen Zwecken i. S. d. § 52 AO«, so steht es im Anwendungserlass des Bundesfinanzministeriums (Abschnitt 43, Ziffer 15 AEAO). Was um alles in der Welt sollen eigentlich diese »politischen Zwecke« sein, von denen die Finanzverwaltung gerne spricht?

»Die wenigsten steuerbegünstigten Zwecke sind ›unpolitisch‹«, stellt der Jura-Professor und Gemeinnützigkeits-Kommentator Hüttemann im Gutachten für den 72. Deutschen Juristentag ganz richtig fest (Hüttemann 2018: 42). Dennoch grenzt er gemeinnützige von politischen Zwecken ab. Für letztere gebe es ein »eigenes Förderregime«. Er verweist dabei auf die Regelungen für Parteien und Wählergemeinschaften. Demzufolge ist (siehe oben) ein politischer Zweck der Versuch, Macht in staatlichen Gremien (Parlament, Regierung) durch Wahlen zu erhalten. Politisch in dem Sinne wäre eine Organisation also nur, wenn sie zu Wahlen antritt. Das hat »Aufstehen« bislang nicht vor und würde sich mit der Gemeinnützigkeit klar dagegen entscheiden.

Politische Mittel

In der Wahl der Tätigkeiten zur Zweckverfolgung (auch politisch aufgeladener Zwecke) sind Gemeinnützige frei, so lange sie nicht zu Wahlen antreten. So hat es zuletzt auch der Bundesfinanzhof im Verfahren um die Gemeinnützigkeit des Hamburger Landesverbandes des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) bestätigt (BFH-Entscheidung vom 20.3.2017, X R 13/15).

Zu den geplanten Mitteln gibt die Aufstehen-Website konkreter Auskunft als zu den Zielen: »Wir wollen durch populäre Kampagnen die Politik aufrütteln.«, »Wir wollen etwas Neues: Keine Partei, sondern eine Bewegung für alle, die gemeinsam für unsere Ziele kämpfen wollen.«, »Wir wollen Druck auf Parteien ausüben. Wir wollen daher auch jene unterstützen, die für unsere Ziele in den Parteien streiten. Wir wollen neue Talente entdecken.«. Zudem beschreibt die Website ein Meta-Ziel, dass sich auch als ethisch-politische Grundhaltung oder Mission Statement beschreiben ließe: »Wir wollen die Art, wie Politik gemacht wird, verändern, um gemeinsam eine Perspektive für Gerechtigkeit und Frieden zu schaffen.« (https://www.aufstehen.de/faq/).

Das Argument von einer angeblichen Trennlinie zwischen politischen und gemeinnützigen Zwecken bringt zwar das Bundesfinanzministerium immer wieder – und meint tatsächlich eher die Mittel. Dürften gemeinnützige Organisationen nicht auf die politische Willensbildung einwirken, müssten Umweltschutzverbände ebenso schließen wie die Spitzenverbände der Wohlfahrtsverbände. Dürften sie nicht von einer ethisch-politischen Grundhaltung ausgehen, müssten kirchliche Organisationen und Jugendverbände ihre Gemeinnützigkeit ebenso abgehen wie die parteinahen Stiftungen. Eine Demokratie braucht sich einmischende zivilgesellschaftliche Organisationen, die jenseits der Mitte-Fokussierung von Parteien die Interessen von Randgruppen vertreten, die die Einhaltung von Grund- und Menschenrechten überwachen und die für Gruppen sprechen, die nicht zu Wahlen zugelassen sind – zum Beispiel für Kinder. Gemeinnützige Organisationen müssen selbstlos die Allgemeinheit fördern, nicht die Interessen ihrer Mitglieder oder Spender*innen. Parteien und deren Repräsentant*innen tun dies meist auch, doch sie müssen es nicht. Sie können Politik machen zum Vorteil ihrer Mitglieder oder zugunsten von Partikularinteressen.

Fortsetzung gemeinnütziger Zwecke in Parteien

Zu politisch im engeren Sinn wäre ein gemeinnütziger Verein nur, wenn er einen zu geringen Abstand zu Parteien hält und diese als Selbstzweck unterstützt. Da die verfolgten Zwecke des Aufstehen-Vereins unklar sind, aber die geplanten Mittel (auch durch öffentliche Äußerungen) konkreter, bilden wir eine parallele Konstruktion mit einem konkreten Zweck. Dabei gehen wir von der Hypothese aus: »Aufstehen« will selbst nicht zu Wahlen antreten und nicht konkrete Parteien unterstützen, sondern will auf die politische Willensbildung für bestimmte Ziele (Zwecke) einwirken und diese in den Parteien stark machen.

Was wäre, wenn sich aus einem Umweltschutz-Verein heraus Aktivist*innen entscheiden, sich in verschiedenen Parteien und Parlamenten zu engagieren, um die Forderungen des Vereins in politische Entscheidungen einzubringen? Und wenn der Verein diese Mitglieder, über Parteigrenzen hinweg, fachlich unterstützt und berät?

Oder wenn sich in einem Verein Frauen zusammenschließen mit dem Ziel, der Gleichberechtigung von Frauen und Männern näher zu kommen, indem mehr Frauen in Parlamenten, Parteivorständen und Regierungsämtern vertreten sind, bis dort ihr Bevölkerungsanteil erreicht ist? Der Verein würde Frauen ermutigen, sich zur Wahl zu stellen. Er würde sie ausbilden, zum Beispiel in Institutionenkunde, Rhetorik und Netzwerkbildung. Die Frauen, die in Parlamenten und auf Posten sitzen, würde er zusammenbringen, damit sie sich in einer frauenpolitischen Agenda parteiübergreifend abstimmen können.

Diese Vereine wären politisch und dennoch gemeinnützig. Umweltschutz beziehungsweise die Gleichberechtigung von Männern und Frauen sind gemeinnützige Zwecke. Die Mittel wären hochpolitisch, denn sie wirken auf die politische Willensbildung und sogar auf Parteien ein – aber ohne dabei speziell eine Partei zu unterstützen. Nicht zu vermeiden wäre, dass die Mitglieder in der einen Partei stärker als in der anderen vertreten sind, weil die eine Partei offener für die Ziele des Vereins ist oder diese schon längst mehr umgesetzt hat. Diese Vereine würden nicht selbst zu Wahlen antreten und wären darum fraglos gemeinnützig.

Parteinahe Stiftungsvereine

Auf ähnliche Weise arbeiten übrigens die so genannten »parteinahen Stiftungen« wie Friedrich-Ebert- oder Konrad-Adenauer-Stiftung. Sie bilden politisches Personal aus - theoretisch unabhängig von der Parteizugehörigkeit. Tatsächlich wird sich im Kommunal-HaushaltsSeminar der Heinrich-Böll-Stiftung eher kein FDP-Mitglied finden. Das junge SPD-Talent wird eher nicht Stipendiat im Förderprogramm der Konrad-Adenauer-Stiftung werden. Diese parteinahen Stiftungsvereine beraten ihre befreundeten Parteien zum Teil ganz offen in strategischen Fragen. In jedem Fall bilden sie ausgehend von einer ethisch-politischen Grundhaltung.

Ihre Mittel sind politisch, die Ziele auch; Zwecke sind vor allem Meta-Zwecke. Fraglich ist, ob diese Organisationen einen ausreichenden Abstand zu Parteien wahren.

Personelle Überschneidungen mit Parteien

Überschneidungen zwischen gemeinnützigen Organisationen und Parteien sind im Alltag normal und besonders häufig auf kommunaler Ebene zu beobachten: Wer sich etwa im Verkehrsclub für eine ökologische Verkehrswende engagiert, verfolgt das gleiche Ziel vielleicht innerhalb der Partei Bündnis 90/Die Grünen und für diese Partei als Stadtverordnete. Wer sich in einer Naturschutz-Initiative gegen Windräder engagiert, stellt die gleiche Forderung als FDP-Landtagskandidat auf. Und wer sich bei der örtlichen Tafel um sozial Abgehängte kümmert, macht als SPD-Stadtrat Politik für diese Gruppe. Wer einer Organisation vorsitzt, die die Förderung der Hilfe für Vertriebene zum gemeinnützigen Zweck hat, ist vielleicht auch mit dieser Mission Bundestagsabgeordneter der CDU.

Und so gibt es natürlich auch zwischen sozialen Bewegungen und Parteien Überschneidungen, Tendenzen und Austausch. Die Anhänger von Attac werden unterdurchschnittlich CDU und CSU wählen, die Anhänger von Pegida überdurchschnittlich AfD. Der Grünen-Politiker Sven Giegold ist 2008 von der globalisierungskritischen Bewegung ins Parlament gewechselt, nach acht Jahren Attac-Engagement zu Bündnis 90/Die Grünen und ins EU-Parlament, um dort gleiche Anliegen mit anderen Mitteln zu verfolgen. Der bisherige Grünen-Politiker Gerhard Schick hat Ende 2018 nach 13 Jahren den Bundestag verlassen, um stattdessen hauptamtlicher Vorstand des neu gegründeten Vereins »Bürgerbewegung Finanzwende« zu werden. Er wechselt nicht die Ziele, sondern die Mittel, und hält dafür offenbar einen gemeinnützigen Verein für wirkungsvoller als ein Parlamentsmandat.

Dass der Aufstehen-Verein von Parteipolitiker*innen geprägt ist – das macht ihn je nach eigener Position vielleicht unsympathisch, aber das verletzt weder das GemeinnützigkeitsGebot der Selbstlosigkeit noch das der Ausschließlichkeit. In den Vorständen vieler Vereine finden sich prominente Parteipolitiker*innen, mit denen sich manche Organisationen schmücken wollen.

Gemeinnütziger Zweck

Verfolgt der Aufstehen-Trägerverein gemeinnützige Zwecke im Sinne der Abgabenordnung? Die Satzung nennt keine Zwecke aus der Abgabenordnung. Auch aus der Website von »Aufstehen« gehen die konkreten Ziele und Anliegen kaum hervor. »Wir haben kein fertiges Programm«, steht bei »Häufig gestellten Fragen« (https://aufstehen.de/faq/), und eine lange Liste von Zielen, z.B. »sichere Arbeitsplätze, höhere Löhne, gute Renten & Pflege«, »TopBildung von der Kita bis zur Universität, bezahlbare Mieten, gerechte Steuern statt Politik für Super-Reiche«, »Erhalt des bedrohten Planeten, den Schutz von Wasser, Luft, Böden, Tieren und Artenvielfalt«, »Abrüstung, echte Friedensdiplomatie und Entspannungspolitik«, »gegen Fremdenhass«. An anderer Stelle sind Betätigungsfelder zusammengefasster aufgeführt: »Eine Mehrheit der Bevölkerung wünscht sich eine soziale Politik, eine gesunde Umwelt und Frieden.«

Einige dieser Anliegen spiegeln sich in konkreten gemeinnützigen Zwecken wieder, etwa Umweltschutz, Völkerverständigung (der Bundesfinanzhof hat Frieden als Teil davon definiert), »Förderung der Hilfe für politisch, rassisch oder religiös Verfolgte« (§ 52, Abs. 2 Satz 1, Nr. 10 AO) und Förderung von Bildung sowie Wissenschaft und Forschung. Für so einen konkreten Zweck dürfen auch politische Forderungen erhoben werden. Für »Top-Bildung von der Kita bis zur Universität« setzt sich wahrscheinlich auch die gemeinnützige Bertelsmann-Stiftung ein.

Doch andere Anliegen wie »soziale Politik« oder »bezahlbare Mieten« lassen sich nicht so einfach zuordnen. Leider ist die Liste der Zwecke, die der Gesetzgeber besonders förderwürdig findet, überraschend lückenhaft 2 . Zum Beispiel steht »Gleichberechtigung von Frauen und Männern« drin, aber nicht die weiterer Geschlechter oder der sexuellen Orientierung. Es fehlt auch die Förderung der Menschenrechte und die Verteidigung der Menschenwürde – Zwecke, zu deren Verfolgung Politiker*innen derzeit gerne die Zivilgesellschaft aufrufen. Es sind offenbar förderwürdige Anliegen – nur haben die Politiker*innen vergessen, sie in die Liste der Zwecke aufzunehmen. Und sie haben in den vergangenen Jahren dieses Versäumnis nicht nachgeholt.

So lange die Zweckliste unvollständig ist, wählen politisch motivierte Organisationen daher häufig »Volks- und Berufsbildung« oder »Wissenschaft und Forschung« als Zweck. Mit diesen Meta-Zwecken können alle Themen abgedeckt werden: Gebildet und geforscht werden kann dann auch zur Gleichberechtigung aller Geschlechter. Doch ist strittig, ob zu diesen Themen dann politische Forderungen erhoben werden dürfen. Dienen die Forderungen dem Meta-Zweck? Darüber wird unter anderem im Rechtsstreit um die Gemeinnützigkeit von Attac gestritten. Viele Bewegungs- und Protestorganisationen haben darum bereits bei der Gründung Probleme rund um die Gemeinnützigkeit. Manche verzichten daher auf die Vorteile der Gemeinnützigkeit, um nicht über die Nachteile zu stolpern.

Einige Finanzämter akzeptieren, dass der gesetzliche Zweck »allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens« verwendet wird, um Debatten anzuregen und so Bürgerinnen und Bürger zum eigenen Engagement zu ermutigen – bei dem konkrete Forderungen entstehen. Strittig ist, ob dieser Zweck als konkreter Zweck interpretiert werden kann, zu dem soziale Gerechtigkeit als eine Grundlage der Demokratie gehört. Das Finanzgericht Hessen hatte es im Fall Attac so gesehen 3 , das Bundesfinanzministerium geht dagegen vor dem Bundesfinanzhof vor. Vielleicht hat sich »Aufstehen« wegen dieser Unsicherheit gegen die Gemeinnützigkeit entschieden. Demokratisches Engagement braucht Zwecke An Zielen und Vorgehen von »Aufstehen« lässt sich viel kritisieren – gerade auch aus Bewegungssicht. Aber mit dem Status der Gemeinnützigkeit sollte diese Kritik nichts zu tun haben. Wer politische Bewegung jenseits von Parteien und Parlamenten möchte, sollte mit dafür sorgen, dass die Liste gemeinnütziger, also förderwürdiger Zwecke um weitere politisch aufgeladene Zwecke ergänzt wird, damit zivilgesellschaftliches Engagement nicht an Formalhürden scheitert. Wer sich gegen eine solche Fortentwicklung gemeinnütziger Zwecke ausspricht, möchte politisches Handeln offenbar auf Parteien begrenzen. Doch Parteien folgen einer anderen Logik als zivilgesellschaftliche Organisationen (vgl. Rucht 2018: 7f.): Sie sind auf politische Macht und auf Konkurrenz ausgerichtet. Sie laufen Gefahr, mehr ihrem Selbsterhalt als gesellschaftlicher Veränderung zu dienen. Wer die steuerliche Begünstigung von Spenden ungerecht findet, sollte sich mit dem Spendenrecht insgesamt beschäftigen, aber nicht mit einer einzelnen Organisation. Und wer mehr Transparenz für sich politisch einmischende Organisationen wünscht, sollte für ein Lobbyregister kämpfen, das alle entsprechenden Organisationen umfasst, unabhängig von Rechtsform und Steuerstatus.


Endnoten

  1. (https://protestinstitut.eu/wp-content/uploads/2018/11/ipb_working-paper_2.2018_Rucht-Dieter.pdf) ↩︎

  2. (https://www.b-b-e.de/archiv-des-newsletters/newsletter-archiv-2018/2-quartal-2018/newsletter-nr-9-vom-352018/diefenbachtrommer-rechtssicherheit-fuer-demokratisches-engagement/) ↩︎

  3. (https://www.zivilgesellschaft-ist-gemeinnuetzig.de/gericht-begruendet-gemeinnuetzigkeit-von-attac/) ↩︎


Beitrag im Newsletter Nr. 3 vom 7.2.2019

Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.

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Autor

Stefan Diefenbach-Trommer arbeitet seit Jahren in Bewegungs- und Protest-Organisationen. Seit 2015 beschäftigt er sich im Auftrag von mehr als 80 Vereinen und Stiftungen, die sich in der Allianz »Rechtssicherheit für politische Willensbildung« zusammengeschlossen haben, mit dem Gemeinnützigkeitsrecht.

Kontakt: diefenbach-trommer@zivilgesellschaft-ist-gemeinnuetzig.de

Weitere Informationen: www.zivilgesellschaft-ist-gemeinnuetzig.de

Twitter: www.twitter.com/stefandt


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