Beitrag im Newsletter Nr. 12 vom 17.6.2021

Rezension: Ute Gerdom / Katrin Juschka / Vassili Konstantinidis (Herausgeber*innen): Praxishandbuch Freiwilligendienst. Einsatz und Begleitung von Freiwilligen in christlichen Einrichtungen. Neukirchener Verlag 2021

Rainer Hub

Inhalt

Hier stehe ich, ich kann auch anders
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Redaktion

Hier stehe ich, ich kann auch anders

Hat die Überschrift stutzig gemacht? Das Ziel »neugierig machen« wäre erreicht! Luthers (so nie gesagtes) »Hier stehe ich, ich kann nicht anders« ist nicht falsch, sondern Hommage der Aussage zu Worms heute vor 500 Jahren. Geschehen und zu Ausdruck gebracht am 18. April 1521. Unmittelbar ist man damit beim protestantischen Profil der Freiwilligendienste. Durch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) wurde mit »Freiheit und Dienst« Luthers »Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan« in 2006 gemäß protestantischer Verantwortungsethik zur Begründung – auch gegen eine nicht dauerhaft zu verdrängende Dienstpflichtdebatte – der Ausbau der Freiwilligendienste hergeleitet. Die Vielfalt der Beiträge in dem »Praxishandbuch Freiwilligendienst« verdeutlichen dies eindrücklich. Daher eine lohende Lektüre – für christliche, evangelische und andere Leser*innen.

Seit in der diakonischen Einrichtung Neuendettelsau Pfarrer Diezfelbinger mit »Wagt ein Jahr eures Lebens« am 9. Mai 1954 zu Freiwilligendiensten aufrief, ist viel geschehen. Nach 100.000 Freiwilligendienstleistenden bis 2006/7, sind es heute bereits ca. 200.000, die einen evangelischen Freiwilligendienst in unterschiedlicher Form absolvierten. Umgangs- und jugendsprachlich: Wer wagt, gewinnt!

In dem Buch wird die Vielfalt an Freiwilligendienstangeboten in Bezug auf Gewinnungsstrategien u. a. verglichen mit den verschiedenen Joghurtsorten. Da gibt es Klassik, Natur, sahnig, fettreduziert, -arm, -frei, ohne/ mit hellen oder dunklen Fruchtaromen, mit (ganzen) Fruchtstücken von Brandenburger Land, Weihenstephan, Alnatura, Zott, Almighurt u. v. a. m. Für alle Geschmäcker ist etwas dabei. In Abwandlung der Werbesprache könnte überlegt werden »Welcher Wurm mag schon den Angler?« Natürlich keiner, aber da zahlreiche, ganz unterschiedliche Angeln ausgeworfen werden, kann jeder Fisch sozusagen seine Rute wählen. Diakonisch formuliert: Evangelische Freiwilligendienst sind offen für alle Menschen. Das »Praxishandbuch Freiwilligendienste« macht dies anhand von 25 ganz unterschiedlicher Praxisbeiträge deutlich. Wow!

Ein eindrückliches Potpourri dessen wie unterschiedlich konnotiert jeweilige Akteur*innen ihre Freiwilligen am Einsatzort und in den Seminartätigkeiten begleiten. Die Freiwilligen können dabei überall ihr ca. einjähriges individuelles Engagement frei wählen und mitgestalten, auch was den Alltag und die begleitende Bildung in Seminargruppen anbelangt. Das große Pfund, mit dem gewuchert werden kann, wird deutlich: ein (evangelischer) Freiwilligendienst ist keine »Routine oder Trockenübung«, denn er lässt – nach mehr oder weniger gelungen Schulzeiterfahrungen – den »Ernstfall« spüren, »das Gefühl gebraucht zu werden«. Und dies in einer Mischung von Menschen jeder gesellschaftlicher Couleur.

Eine Freiwillige: »In meinem Freiwilligendienst bin ich in einer Vielfalt mit Menschen zusammen wie nie zuvor – und wohl auch danach nicht mehr«.

Kern evangelischer Freiwilligendienste, der alle geschilderten Praxisbeispiele in dem Buch durchzieht, ist Profil dieser Bildungs- und Orientierungszeit. Alle Praxisbeispiele sind im guten Sinne getragen von einer Mission, indem sie Lust und Interesse auf Soziales und Kirche machen. »Mission possible!« Ein Akteur evangelischer Freiwilligendienste konnte dies unnachahmlich auf den Punkt bringen: »Evangelische Vielfalt meint, jeder macht was er will, das aber gemeinsam.«

Gerade in Zeiten wie diesen liegt in den Freiwilligendiensten auch die Chance, in Kontakt mit Jugend zu kommen – und diese mit Kirche. Gegenseitig deutlich wird in den Beiträgen die grenzüberschreitende Erfahrung, indem die Beteiligten sich darauf einlassen, Erfahrungen gemäß »Was wir für eine Grenze hielten, stellte sich als Horizont heraus« (Benediktinermönch) zu sammeln.

Wie vorne schon skizziert: Chapeau, was den drei Herausgeber*innen und dem Niederkirchener Verlag in der »roten Reihe Missionarische Jugendarbeit» des Verlags damit auf knapp 400 Seiten mit dieser Vielfalt gelungen ist. In Zeiten pandemischer AHA-Regeln erwarten die Leser*innen jede Menge »AHA-Momente«!

Keine Bange dabei. Keine*r muss das romandicke Buch von vorne nach hinten lesen. Jede*r kann an irgendeiner Stelle mit irgendeinem der vielfältigen Aufsätze einsteigen. Von Grundlagen über Hintergrundinformationen bis hin zu praktischen Tipps bzgl. Gesprächsführung, Reflektion, Seminarübungen, Feedbacksettings, Konfliktlösungen, Anleitung, Begleitung und Mentoring– auch zu unterschiedlichen Zeiten und Fragestellungen – können aus der Lektüre lohnende Anregungen für Situationen in Bewerbungsgesprächen, Einsatzstellenalltag und der Seminararbeit sowie aus den unterschiedlichen Beiträgen Expertisen bzgl. dieses Formats non-formeller und informeller Bildung gezogen werden. Und auch Fragen der Spiritualität sowie Auseinandersetzung mit Glauben und Unglauben (nicht gleichzusetzen mit Atheismus), Andachten (mit und durch Freiwillige), Begrüßungs- und Abschlussgottesdienste stoßen in der Lektüre auf lohnende »Tipps und Infos«. Das »Praxis«-handbuch löst so seinen »praktischen« Nutzen im vollen Sinne des Wortes ein.

Zum Abschluss werden mit dem »Ausblick« sodann Freiwilligendienste zum »Rolemodel« für alle Engagements. Gemäß »Was möchtest Du?« wird die Perspektive deutlich gemacht, welche für alle freiwilligen Engagements statt »Was brauchen wir?« noch vermehrter einzunehmen ist. Was will man mehr? Evangelische Freiwilligendienste machen gemäß »Hier stehe ich, ich kann auch anders« einen Unterschied.

Gemäß Thea Dorn im Literarischen Quartett »wünsche ich Ihnen eine gute Zeit, bleiben Sie noch ein wenig am lesen« – des »Praxishandbuch Freiwilligendienst«.


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Rainer Hub ist zuständig für freiwilliges soziales Engagement und Freiwilligendienste bei der Diakonie Deutschland und Sprecher der BBE-AG Freiwilligendienste.

Kontakt: rainer.hub@diakonie.de


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