Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 8 vom 20.8.2020

»Werte und Grundrechte« in Bezug auf die gelebten europäischen Werte im Bürger-schaftlichen Engagement mit Blick auf die programmatische Umsetzung und Förderung u.a. im neuen EU-Programm Rechte und Werte

Dr. Frank Heuberger

Inhalt

Wahrung und Förderung der europäischen Werte
Rechtsstaatsmechanismus
Programm Rechte und Werte der EU 2021-2027
9. Mai
Quellen
Autor
Redaktion

Trotz erfreulich gestiegener Wahlbeteiligung bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai 2019 wurde zugleich deutlich, dass mit dem Erstarken nationalistischer Kräfte in vielen Teilen Europas die Mitsprache und Teilhabechancen einer proeuropäischen aktiven Bürgergesellschaft in Gefahr sind und der gesellschaftliche Raum zur Mitgestaltung einer pluralistischen Demokratie sich mehr und mehr politischen Einschränkungen ausgesetzt sieht.

Vor diesem Hintergrund ist das nachdrückliche Festhalten an einer Europäischen Union als eine auf »Grund- und Menschenrechten aufgebaute Wertegemeinschaft« von besonderer Bedeutung; stellt diese doch gleichsam den Knochenbau des europäischen Organismus dar, ohne den keine Demokratie auf Dauer bestehen kann. Und sie entscheidet zugleich auch über die Handlungsoptionen und Widerstandskraft der Gemeinschaft im internationalen Kräftemessen. Zerfällt sie, zerfällt die EU.

Wahrung und Förderung der europäischen Werte

Da von einer Wertegemeinschaft nur gesprochen werden kann, wenn diese Werte auch gelebt werden und sich im Alltag einer Gesellschaft manifestieren, ist dem bürgerschaftlichen Engagement und der in Verbänden und Vereinen organisierten Zivilgesellschaft besondere Aufmerksamkeit bei der Umsetzung der Werte und Grundrechte zu widmen, wie sie in der Charta der Grundrechte der EU festgelegt sind. Nur mit einer lebendigen und offenen Zivilgesellschaft lässt sich auch eine lebendige Demokratie verwirklichen. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund der europaweiten Debatte um »shrinking space«.

Bürgerschaftliches Engagement und nationale Zivilgesellschaften haben gerade in jüngster Vergangenheit stark zur Förderung und Wahrung der europäischen Werte beigetragen. Dies zeigte sich insbesondere im Umgang mit der großen Zahl Geflüchteter seit 2015. Hierbei spielen Art. 18 und 19, Asylrecht und der Schutz vor Abschiebung, Ausweisung und Auslieferung, als nicht zu vernachlässigende Grundrechte eine besondere Rolle. Auch die klimapolitischen Debatten der letzten Jahre haben eindringlich deutlich gemacht, dass es hier mehr und mehr um ein Grundrecht auf Leben und Unversehrtheit geht, das im Begriff des Umweltschutzes (Grundrechtecharta) nur ungenügend zum Ausdruck kommt. Klimapolitik sollte in Zukunft als Menschenrechtspolitik behandelt werden.

Rechtsstaatsmechanismus

Zur konsequenten Anwendung des Rechtsstaatsmechanismus (Art. 7 EUV) müssen geeignete Mittel ergriffen werden. Dazu gehörte ein jährliches Rechtsstaats Monitoring in allen EU-Staaten, um möglichst frühzeitig Fehlentwicklungen zu erkennen und zugleich dem Vorwurf vorzubeugen, osteuropäische EU-Mitglieder würden von vornherein unter Generalverdacht gestellt.

Gegenüber der Möglichkeit, im nächsten EU-Budget finanzielle Sanktionen bei Verstößen gegen Rechtstaatlichkeit zu verankern, liegt ein interessanter Vorschlag Gesine Schwans (SPD) vor. Sie bringt eine Positivsanktionierung kommunalen Handelns nach europäischen Werten unter Umgehung boykottierender Nationalstaaten ins Spiel.

Am Beispiel europäischer Flüchtlingsintegration entwickelt sie die Idee eines »Integrations- und kommunalen Entwicklungsfonds« (s. »Europäische Flüchtlingsintegration als gemeinsame kommunale Entwicklung«: Übernahme der konzeptionellen Grundideen durch verschiedene Akteure). Der französische Präsident Macron begrüßte bereits diese Idee einer europäischen direkten Finanzierung von Kommunen, die nach deutschem Recht allerdings dem Subsidiaritätsprinzip zuwiderläuft. Gleichwohl eröffnete dieser Vorschlag viele demokratiepolitische Einsatzmöglichkeiten und sollte ernsthaft werden.

Zugleich sollte das Mandat der EU-Agentur für Grundrechte erweitert und gestärkt werden. Diese von der EU geschaffene Kommission dient dem Schutz und der Überwachung der Grundrechte in Europa. Das Mandat sollte der Agentur auch ermöglichen, die Einhaltung und Verwirklichung der Grundrechte in den Mitgliedstaten in Kooperation mit den Akteuren der Zivilgesellschaft zu prüfen, zu bewerten und zu überwachen. (Vgl. Berlin Agenda)

In der Kleinen Anfrage (Drucksache 19/12720) von Abgeordneten der Grünen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen »Regelmäßige Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit in allen EU-Mitgliedstaaten« wird insbesondere auf den von Heiko Maas und seinem belgischen Kollegen Didier Reynders vorgestellten neuen »Peer-Review-Mechanismus« sowie die Rolle der Zivilgesellschaft für die Wahrung und Förderung von Rechtsstaatlichkeit und den Grundwerten der EU abgehoben. Entgegen der Antwort der Bundesregierung, wird dem Peer-Review-Mechanismus als gegenseitige Begutachtung der Mitgliedstaaten hinsichtlich ihrer Rechtsstaatlichkeit ohne Sanktionsmechanismus keine Bedeutung zur Verständigung über gemeinsame Grundwerte beigemessen. Stattdessen wir eine »unabhängige Expertinnen- und Expertenkommission (Rechtsstaatskommission), vergleichbar der Venedig-Kommission des Europarats« favorisiert. Dieser Vorschlag sollte in der deutschen Zivilgesellschaft dringend diskutiert werden.

Programm Rechte und Werte der EU 2021-2027

Der von der Europäischen Kommission Mai 2018 vorgeschlagene EU-Fonds für Justiz, Rechte und Werte »zielt – auch durch die Unterstützung zivilgesellschaftlicher Organisationen – auf den Schutz und die Förderung der in den EU-Verträgen verankerten Rechte und Werte ab, um eine tragfähige Basis für eine offene, demokratische und inklusive Gesellschaft zu sichern.«

Es dient drei spezifischen Zielen:

  • Förderung von Gleichstellung und Rechten (Aktionsbereich »Gleichstellung und Rechte«)
  • Förderung der Bürgerbeteiligung und der Teilhabe am demokratischen Leben der Union (Aktionsbereich »Bürgerbeteiligung und Teilhabe«)
  • Bekämpfung von Gewalt (Aktionsbereich »Daphne«) (IP/18/3923, ec.europa.eu)

Sowohl die Konzeption des Entwurfs wie auch seine magere Finanzausstattung sind seitdem von vielen Seiten zum Teil heftig kritisiert worden. Das EP, der EWSA, die Kontaktstelle Deutschland »Europa für Bürgerinnen und Bürger«, das nationale Hearing »Rechte und Werte« mit Vertretern von Kommunen, Ländern, Verbänden, Zivilgesellschaft in Berlin 2019, eine Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen und weitere Organisationen aus Zivilgesellschaft und Politik haben auf strukturelle Schwächen des Entwurfs hingewiesen. Von Seiten der Zivilgesellschaft wird insbesondere bemängelt, dass das neue Programm dem Erstarken nationalistischer und rechtspopulistischer Kräfte in der EU und der sich daraus veränderten Lage für die europäische Zivilgesellschaft nicht Rechnung trage.

Zu den wichtigsten Kritikpunkten gehören:

  • Die Zusammenfassung des Programms »Rechte und Werte« aus drei bisher unabhängigen Programmen bietet keinen erkennbaren Vorteil. Die Programmcharakteristika werden verwischt, der bekannte und gut eingeführte Name »Europa für Bürgerinnen und Bürger« geht in der Programmsäule »Bürgerbeteiligung und Teilhabe« verloren. Der alte Name sollte beibehalten werden (EWSA).
  • Insbesondere die Mittel für den Aktionsbereich Bürgerbeteiligung und Teilhabe sind mit 233 Mio. Euro deutlich zu knapp bemessen. Hier fordern bereits das EP und der DGStB einen Euro pro Bürgerin und Bürger der EU für das Programm. Auch im Nationalen Hearing wie von der KSEfBB und dem EWSA wird eine Mittelausstattung von 500 Mio. gefordert.
  • Die Antragstellung ist zu kompliziert. Es muss eine deutliche Vereinfachung in Antragstellung und Abrechnungsmodalitäten geben. Bei einer Ablehnungsquote von 5:1 schlägt die KSEfBB und der EWSA ein zweistufiges Antragsverfahren vor. Zunächst nur Projektskizze um Förderchancen abzuklären, dann erst Antrag.
  • Der EWSA unterstützt zudem eine langjährige Forderung der europäischen Zivilgesellschaft, bei zu erbringender Kofinanzierung Sachleistungen und die Arbeit von Freiwilligen als förderfähige Kosten anzuerkennen. (EWSA, S.5)
  • Aus Sicht der Zivilgesellschaft wurde auf dem nationalen Hearing die »Schaffung von einfach zu beantragenden Mikroförderformaten mit schneller Reaktionszeit sowie modulares Antragsverfahren zur Förderung kleiner Projekte« gefordert. (Protokoll Nationales Hearing)
  • Für ebenso bedeutsam wurde die Bereitstellung von Kommunikations-und Vernetzungsplattformen für die Partnersuche und Vernetzung zwischen Antragsteller/innen erklärt. (Protokoll Nationales Hearing)
  • Eine wirkliche Verbesserung bei Programmentwicklung und Evaluierung würde durch eine strukturierte Mitbestimmung der Zivilgesellschaft als stimmberechtigtes Mitglied im Programmausschuss sichergestellt. (Protokoll Nationales Hearing) Ebenso fordert der EWSA eine Beteiligung von Organisationen der Zivilgesellschaft an Entwicklung und Überwachung von Leitlinien für die Umsetzung des Programms. (EWSA, S.5)
  • Der EWSA setzt sich bei der Umsetzung des Programms Rechte und Werte mit Verweis auf die »Gemeinsame Mitteilung an das Europäische Parlament und den Rat, Aktionsplan für Menschenrechte und Demokratie (2015-2019)« (S.10) ausdrücklich für die Stärkung des gesellschaftlichen Umfelds im Sinne der Entfaltung von Zivilgesellschaft und unabhängigen Medien ein (EWSA, S.3).
  • Mit Blick auf die besondere Bedeutung freier Medien für die Berichterstattung über Werte und Grundrechte und deren Einhaltung in Europa, bedauert der EWSA, »dass Maßnahmen für die Meinungsfreiheit der Medien, die Medienpluralität und zur Bekämpfung von Falschmeldungen und gezielter Desinformation aus der endgültigen Version des Programms ›Rechte und Werte‹ gestrichen wurden. Er schlägt daher vor, für Synergien mit dem Programm »Kreatives Europa« zu sorgen, weil diese Maßnahmen für die Werte der EU und die Stärkung einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft wichtig sind.«
  • In der Beantwortung der Kleinen Anfrage (Drucksache 19/12720) von Abgeordneten der Grünen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen »Regelmäßige Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit in allen EU-Mitgliedstaaten« schlägt die Bundesregierung zur Förderung der Zivilgesellschaft als zentralem Akteur in der Wertediskussion, für die Umsetzung des Programms »Rechte und Werte«, die Schaffung eines vierten Strangs »Union Values Strand« zu den Werten der EU vor (S.6). Diesen Vorschlag sollte die deutsche Zivilgesellschaft unbedingt unterstützen.

9. Mai

Der 9. Mai (Europatag) ist seit letztem Jahr in Luxemburg gesetzlicher Feiertag. Ihn zu einem gesamteuropäischen Feiertag zu erklären wurde bereits in einer Resolution des EU-Parlaments Ende 2017 gefordert, um mit ihm zur Festigung des Gefühls der Zugehörigkeit zur europäischen Familie beizutragen. Auch Katarina Barley (MEP) forderte jüngst den gesetzlichen Feiertag. Außer Luxemburg hat bisher kein weiteres Land der EU den Vorschlag aufgegriffen. Die Forderung nach einem europaweiten Feiertag eignete sich sehr gut, um (mit Unterstützung des EU-Parlaments) eine Europäische Bürgerinitiative (EBI) zu starten.

Quellen

Vorschlag für eine VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES zur Aufstellung des Programms »Rechte und Werte«: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=COM%3A2018%3A0383%3AFIN

Programm Rechte und Werte, Pressemitteilung: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/MEMO_18_3975

Kontaktstelle Deutschland »Europa für Bürgerinnen und Bürger«: https://www.kontaktstelle-efbb.de/fileadmin/user_upload/Einschaetzungen_zum_Programmvorschlag_der_Kommission_EU-Programm_Rechte_und_Werte.pdf

Ergebnisse Nationales Hearing »Rechte und Werte 2021 – 2027« in Berlin (undatiertes Papier, 2 Seiten)

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem »Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlament und des Rates zur Aufstellung des Programms ›Rechte und Werte‹«: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52018AE2950&from=DE

GEMEINSAME MITTEILUNG AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT, Aktionsplan für Menschenrechte und Demokratie (2015-2019) Bekräftigung der Menschenrechte als Kernstück der EU-Agenda: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52015JC0016&from=GA

Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Manuel Sarrazin, Claudia Müller, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 19/12232 – Regelmäßige Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit in allen EU-Mitgliedstaaten: https://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/127/1912720.pdf

Berlin Agenda: https://www.b-b-e.de/veranstaltungen/detail/nicht-ohne-uns-konferenz-der-zivilgesellschaft-zur-zukunft-europas-berlin-agenda/

Gesine Schwan, INTEGRATION OF REFUGEES IN EUROPE AS A JOINT MUNICIPAL DEVELOPMENT: https://www.governance-platform.org/wp-content/uploads/2017/03/HVGP_EuropeanRefugeePolicy-EN_short_20170316.pdf


Dieser Text geht aus einem Konzeptpapier hervor, das Frank Heuberger im Auftrag der Europäischen Bewegung Deutschland e.V. (EBD) als Hintergrund für den Konsultationsprozess zur EBD-Politik 2020/21 verfasst hat.


Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 8 vom 20.8.2020
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.

Zurück zum Newsletter


Autor

Dr. Frank Heuberger ist Netzwerkpolitischer Vertreter des BBE auf europäischer Ebene.

Kontakt: frank.heuberger@gmail.com

Weitere Informationen: https://www.b-b-e.de/themenfelder/europa/frank-heuberger/


Redaktion

BBE-Newsletter für Engagement und Partizipation in Europa

Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE)
Michaelkirchstr. 17/18
10179 Berlin

Tel.: +49 30 62980-114

europa-bbe@b-b-e.de
www.b-b-e.de

Zum Seitenanfang