Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 10 vom 12.11.2020

Engagement internationaler Studierender – Impulse für Hochschulen und Zivilgesellschaft

Denise Malorny, Christine Sattler, Anne Trenczek

Inhalt

Gekommen um zu bleiben? – Was Engagement für internationale Studierende und Hochschulen bedeutet
Internationaler Wissenstransfer? – Was das Engagement internationaler Studierender für die Gesellschaft bedeutet
Quellen und Literatur
Endnoten
Autor*innen
Redaktion

Gekommen um zu bleiben? – Was Engagement für internationale Studierende und Hochschulen bedeutet

Die Herausforderungen, vor denen internationale Studierende an deutschen Hochschulen stehen, sind nicht nur in Krisenzeiten wie der Corona-Pandemie vielfach bekannt und untersucht. Insbesondere in Bezug auf sprachliche, fachliche, finanzielle, sozial-integrative Voraussetzungen stehen sie zu Beginn ihres Studiums vor größeren Hürden als ihre deutschen Kommilliton*innen (Morris-Lange 2017; 25). Die Folge davon zeigen sich in überdurchschnittlich hohen Abbrecherquoten und einer relativ geringen Verbleibquote von internationalen Studierenden in Deutschland (Ebert/Heublein 2017:3, Morris-Lange/ Brands 2015: 23, Dömling-Pasternack 2014:121, Appolinarski/ Poskowsky 2013:3).

Bei der Frage, wie Studienerfolg und Bleibeentscheidungen von internationalen Studierenden positiv beeinflusst werden können, lohnt sich vor allem ein Blick auf die sogenannten »weichen« Faktoren, wie Wohlbefinden und Teilhabemöglichkeiten. Hier ist eine deutliche Korrelation zwischen Engagement und dem Aufbau einer positiven Beziehung zum Hochschulstandort erkennbar. Im Rahmen des Pilotprojektes »Students meet Society – Integration durch Engagement und Teilhabe am Hochschulstandort« haben die Freiwilligen-Agentur Halle und die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Wintersemester 2016/ 2017 mittels einer Studie untersucht, ob und inwiefern Engagement für die gesellschaftliche und universitäre Teilhabe von internationalen Studierenden von Bedeutung sind (Backhaus-Maul/Grottker/Sattler 2018:10).

Bemerkenswert ist, dass ein Großteil der knapp 300, im Durchschnitt 24 Jahre alten, befragten Studierenden bereits über Engagementerfahrungen verfügen (64%) und in hohem Maße selbstorganisiert sind. Die Mehrzahl der Befragten bringt ihre Engagementbereitschaft und Selbstorganisationsfähigkeit vor allem in einem außeruniversitären, gesellschaftlichen Kontext zum Ausdruck (Backhaus-Maul/Grottker/Sattler 2018:35).

Die Bedeutung des Engagements für die persönliche, akademische und berufliche Entwicklung von internationalen Studierenden kommt in der Untersuchung insbesondere bei den Aussagen bereits engagierter Studierender über die von ihnen selbst wahrgenommenen Effekte ihres Engagements zum Ausdruck. 83,9 % der befragten internationalen Studierenden hoben hervor, dass sie durch ihr Engagement soziale und persönliche Kontakte zu Personen außerhalb der Universität erhalten und entsprechende Netzwerke aufgebaut haben. Engagement trägt nach Einschätzung der Befragten damit maßgeblich dazu bei, eine der größten sozialkulturellen Hürden in der gesellschaftlichen Teilhabe für internationale Studierenden zu überwinden (Backhaus-Maul/Grottker/Sattler 2018:35). Durch das Engagement erhalten sie direkte soziale Kontakte, können ihre Sprachkenntnisse erweitern und bekommen Einblicke in die Gesellschaft, die wiederum für die Entwicklung ihrer persönlichen und beruflichen Kompetenzen und Perspektiven bedeutsam sind.

»Mit hat das Engagement geholfen, mir hinsichtlich meiner Berufsperspektiven klarer zu werden und Kontakte zu knüpfen. Meine eigenen Erfahrungen mit der Aidsproblematik in meinem Heimatland hat der NGO für die ich mich engagiere geholfen, neue Perspektiven für ihre Präventionsarbeit zu entwickeln.« (Zitat eines internationalen Studenten aus Simbabwe, der sich neben dem Studium für die Aids-Hilfe in Halle engagiert).

Diese exemplarisch ausgewählte Antwort stellt eindrucksvoll dar, welche Wirklungen Engagement neben den beschriebenen individuellen Effekten auch für zivilgesellschaftliche Organisationen entfalten kann, wenn es systematisch gefördert wird.

Internationaler Wissenstransfer? – Was das Engagement internationaler Studierender für die Gesellschaft bedeutet

Eigentlich scheint auf der Hand zu liegen, worin der gesellschaftliche Mehrwert des Engagements internationaler Studierender liegt: internationale Erfahrungen und Impulse für die eigene Arbeit, Synergieeffekte durch gemeinsame internationale Projekte, interkulturelle Kompetenz und Öffnung. Es sind vor allem Herausforderungen von globaler Bedeutung wie Klimawandel, Flucht und Migration, Epidemien oder zunehmender Rechtsextremismus, bei denen eine Internationalisierung des Engagements für die Gesellschaft viel bewirken kann.

Gerade hier liegt ein noch bei Weitem nicht ausgeschöpftes Potenzial, um bei der Lösung wichtiger sozialer Probleme zu helfen, die lokal und global von Bedeutung sind. Ein über das Engagement internationaler Studierender geförderter wechselseitiger Wissenstransfer zwischen Hochschulen und Zivilgesellschaft ist vor diesem Hintergrund eine Möglichkeit der Profilbildung von Hochschulen, der darüber hinaus auch nationale und internationale Anschlussmöglichkeiten bietet.

»STUDIUM HOCH E« – Engagementförderung im Hochschulkontext

Daran schließt das Transfer- und Entwicklungsprojekt »STUDIUM HOCH E – Integration durch Engagement« in Trägerschaft des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement an, dass seit September 2019 durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit Mitteln des Bundesinnenministeriums gefördert wird. Anknüpfend an die Erfahrungen und Ergebnisse des Pilotprojektes »Students meet Society«, dass von 2016 bis 2019 durch die Freiwilligen-Agentur Halle und die Martin- Luther-Universität Halle-Wittenberg in Halle (Saale) durchgeführt wurde, zielt das Projekt auf:

• die Verbesserung der gesellschaftlichen Integration internationaler Studierender und Studierender mit Migrationsgeschichte durch Engagement, • die Eröffnung erweiterter Mobilitäts- und Bleibeoptionen, • die Schaffung von Möglichkeiten zum Lernen im Engagement, • die Förderung der interkulturellen Öffnung von Hochschulen und Non-Profit-Organisationen, • den Transfer der gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen an andere Hochschulstandorte, • die verbesserte regionale Kooperation zwischen Hochschulen und Non-Profit-Organisationen.

An zunächst drei ausgewählten Hochschulstandorten werden im Projektverlauf die Potenziale und Möglichkeiten von internationalen Studierenden und Studierenden mit Migrationsgeschichte im Engagement erschlossen und weiterentwickelt. Entsprechend der jeweils lokalen Besonderheiten bringen die Philipps-Universität Marburg gemeinsam mit der Freiwilligenagentur Marburg-Biedenkopf, die Universität Duisburg-Essen mit der Ehrenamt Agentur Essen sowie die Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde gemeinsam mit der Bürgerstiftung Barnim-Uckermark internationale Studierende und Studierende mit Migrationsgeschichte mit gemeinnützigen Organisationen vor Ort zusammen – zu beiderseitigem Nutzen: Die Studierenden können durch ihr gesellschaftliches Engagement ihre Kompetenzen einbringen und weiterentwickeln, erfahren Wertschätzung und eine bessere gesellschaftliche Integration. Die beteiligten Non-Profit-Organisationen profitieren von den speziellen Kenntnissen der Studierenden, mit deren Hilfe sie ihre Angebote und Projekte für vielfältiger werdende Nutzer- bzw. Klientengruppen öffnen.

Die Freiwilligen-Agentur Halle speist als Beraterin und Transfergeberin die Erfahrungen des Pilotprojektes »Students meet Society« in Form eines Methodenkoffers in die Projektstandorte ein. Quantitativen und qualitativen Erhebungen sowie der analytische Vergleich der Hochschulstandorte im Rahmen einer wissenschaftlichen Prozessevaluation sollen dazu beitragen, förderliche und hemmende Faktoren für die gesellschaftliche Integration durch Engagement von Studierenden mit Migrationsgeschichte und internationale Studierenden herauszuarbeiten sowie für andere Hochschulstandorte in Deutschland systematisch und umfassend aufzubereiten. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen (bagfa) sowie das Hochschulnetzwerk »Bildung durch Verantwortung« tragen als Netzwerkpartner des Projektes zur bundesweiten Verbreitung der Projekterkenntnisse in Freiwilligenagenturen und Hochschulen bei.

Im Rahmen einer bundesweiten Online-Tagung am 06.10.2020 wurde das Projekt und die standortbezogenen Aktivitäten erstmals öffentlich vorgestellt und diskutiert. Mehr als 120 Teilnehmende aus Hochschulen, zivilgesellschaftliche Organisationen, Verwaltung sowie Studierendenschaft zeugten von einem breiten Interesse und Relevanz des Themas. In einer Tagungsdokumentation werden zentrale Tagungsbeiträge in Form von Videos, Postergallery und dem Tagungspadlet präsentiert. [1]


Literatur und Quellen

Apolinarski, Beate/Poskowsky, Jonas (2013): Ausländische Studierende in Deutschland 2012 – Ergebnisse der 20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks durchgeführt vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung, Berlin: Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Backhaus-Maul, Holger/Grottker, Leonore/Sattler, Christine (2018): Gesellschaftliche Teilhabe durch Engagement. Eine Befragung von Studierenden mit Migrationsgeschichte und internationalen Studierenden an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU), Halle.

Dömling, Martina/Pasternack, Peer (2015): Studieren und bleiben. Berufseinstieg internationaler HochschulabsolventInnen in Deutschland, Halle-Wittenberg: Institut für Hochschulforschung.

Ebert, Julia/Heublein, Ulrich (2017): Ursachen des Studienabbruchs bei Studierenden mit Migrationshintergrund, Hannover: Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung GmbH.

Morris-Lange, Simon/Brands, Florinda (2015): Zugangstor Hochschule: Internationale Studierende als Fachkräfte von morgen gewinnen, Berlin: Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration.

Morris-Lange, Simon (2017): Allein durch den Hochschuldschungel. Hürden zum Stuidenerfolg für internationale Studierende und Studierende mit Migrationshintergrund, Berlin: Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration.


Endnoten

[1] https://www.b-b-e.de/studium-hoch-e/online-tagung-2020/


Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 10 vom 12.11.2020
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.

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Autorinnen

Denise Malorny, M.A. Begabungsforschung und Kompetenzentwicklung seit 2019 als Projektreferentin bei der Freiwilligen-Agentur Halle-Saalkreis e.V. für das Thema »Engagementförderung von Studierenden, insbesondere von internationalen Studierenden und Studierenden mit Migrationsgeschichte« tätig und arbeitet im Projekt »STUDIUM HOCH E - Integration durch Engagement«.

Kontakt: denise.malorny@freiwilligen-agentur.de

Christine Sattler ist Erziehungswissenschaftlerin und Geschäftsführerin der Freiwilligen-Agentur Halle-Saalkreis e.V. Seit mehr als 15 Jahren arbeitet sie im Bereich Engagementförderung, Service Learning – Lernen durch Engagement und Freiwilligendiensten.

Kontakt: christine.sattler@freiwilligen-agentur.de

Anne Trenczek, M.A. Euroculture, ist seit 2019 als Referentin im Projekt »STUDIUM HOCH E - Integration durch Engagement« in der Geschäftsstelle des BBE tätig.

Kontakt: anne.trenczek@b-b-e.de

Weitere Informationen: https://www.b-b-e.de/studium-hoch-e/


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