Beitrag im Newsletter Nr. 2 vom 21.1.2021

Trisektoraler Bedarf an digitalen Informations- und Interaktions-Plattformen

Dr. Hans Sendler

Inhalt

1. Vorbemerkung
2. Was hat dies mit der Digitalisierung, mit Informations- und Interaktions-Plattformen zu tun?
3. Grundlegende Annahmen
4. Drei Beispiele
4.1 Kooperation KMU/GO
4.2 Klimaschutz
4.3 Bildung
5. Aspekte des Ausblicks
Endnoten
Autor
Redaktion

1. Vorbemerkung

Kurz zum allgemeinen Ausgangspunkt: Sektorübergreifende Zusammenarbeit ist unabdingbar. Eine zutreffende Feststellung, die aber zunächst mehr Fragen aufwirft als Handlungsrichtungen aufzeigt. Und die auch den dazu erforderlichen Einfluss der Zivilgesellschaft in unserem Staat mit seinen anderen Sektoren Wirtschaft und Verwaltungen für sich nicht bereits garantiert. Hier muss die Zivilgesellschaft die konkrete operative Ebene besser als bisher erreichen, wenn sie in den prägenden Entwicklungsprozessen, aber auch in der Ebene der täglichen Routine der notwendig einflussreiche und gleichgewichtige Mitspieler werden, sein und bleiben will.

2. Was hat dies mit der Digitalisierung, mit Informations- und Interaktions-Plattformen zu tun?

Zur gleichgewichtigen Teilnahme an den übergreifenden Aushandlungsprozessen in dieser Gesellschaft mit Wirkung auch in der Routine gehören

  • die entsprechende organisatorische und fachliche Handlungskraft. Dies kann mittelbar den Ausgleich von Besonderheiten der Zivilgesellschaft erforderlich machen, die eine erfolgreiche Interessenvertretung ggfls. erschweren. Hier spielen adäquate Informations- und Bearbeitungsinstrumente eine entscheidende Rolle.

  • der Nachweis der Leistungsfähigkeit der Zivilgesellschaft zum übergeordneten Gesamtinteresse auch der anderen Sektoren. Interaktive digitale Plattformtechnik ist dazu ein wesentliches Instrument.

In beiden Punkten hat die Zivilgesellschaft ihre eigenen Beweggründe, Handlungs- und Organisationsformen nach außen zu leben, teils auch zu kompensieren. Das betrifft sowohl synergetische Kooperationen in Millionen von Einzelfällen als auch die Durchsetzung grundlegender Forderungen im Gesamtinteresse der eigenen Gemeinwohlsphäre wie auch der Rahmenbedingungen zu Erzielung von mehrsektoralen Synergien im übergreifenden Interesse.

Welches sind diese Besonderheiten? Aus der Vielzahl der die Bedeutung der Zivilgesellschaft erst konstituierenden Phänomene (u. a. auch prekäre Finanzen und Laientendenz) sind hier als die Handlungsfähigkeit nach außen besonders beeinflussend hervorzuheben

  • der unbedingte Vorrang des am Gemeinwohl orientierten Eigensinns und

  • der daraus zwingend folgende Aufbau von unten nach oben unter möglichster Vermeidung bremsender Organisationshierarchien

Besonderer Stützung bedürfen deshalb die Meinungsbildungsprozesse im zivilgesellschaftlich gemeinsamen Interesse, der Informationsbedarf zu den Themen, Detailinteressen und Zielvorstellungen der Hunderttausenden von Organisationen und der 30 Mio. individuell am bürgerschaftlichen Engagement beteiligten Menschen, erst recht für Synergien mit den zahllosen Akteuren der anderen Sektoren. Diese anderen Sektoren mit ähnlich technisch komplexer Ausgangslage setzen dazu längst machtvolle, interaktive, digitalisierte Plattformen ein[1].

Bei strategisch durchdachter Anlage steigt der Informations- und Interaktionswert mit der Zahl der Nutzer*innen. Die Chancen der Schwarmintelligenz sollten ergriffen werden. Lernenden Systeme auch zu kreativer Erweiterung im Prozess wäre Raum zu geben. Will die Zivilgesellschaft bei der Einzelkooperation oder der übergreifenden Gestaltung politischer Rahmenbedingungen ihres Handelns Gleichgewichtigkeit erzeugen, ist dafür zu sorgen, dass ihre Besonderheiten die Grundanlage solcher Plattformen bestimmen, jedoch damit zugleich deren etwa verbundene Schwächen nach außen kompensiert werden. Die Digitalisierung mit ihren kollektiven Informations-, Beteiligungs- und Servicemöglichkeiten einer elaborierten Plattformtechnik dürften ein wesentliches Instrument dazu sein. Dies ist allerdings erst nachvollziehbar zu belegen. Hängen doch davon die Akzeptanz der transsektoralen Partner und die erforderliche staatliche Flankierung und Förderung gleichermaßen ab. Die digitalisierte Plattformtechnik dürfte auch dies erleichtern. An drei Themenkomplexen soll dies näher belegt werden. Sie werden weit über die kaum zu isolierenden einzelnen Themen hinaus starken Einfluss auf die Engagement-Infrastruktur und die sonstigen Rahmenbedingungen ausüben, ja konstituierend wirken, positiv oder auch negativ. Dazu eingesetzte organisationsübergreifende Digitalisierung und insbesondere Plattformen werden zu unverzichtbaren Bestandteilen dieser Infrastruktur.

3. Grundlegende Annahmen

Unter Informations-, Interaktions- und Service-Plattformen werden hier in einer bewusst kursorischen Betrachtung verstanden

  • Sammlungen von teils untereinander in Abhängigkeit stehenden, ständig unter einer Vielzahl von Gesichtspunkten in Bewegung befindlichen Informationen als Texte oder Daten, die insgesamt einen Bezug zu Informationsbedarfen einer Vielzahl von möglichen Nutzerrichtungen und -gruppen auch aus verschiedenen gesellschaftlichen Sektoren haben und allgemein zur Verfügung stehen, ebenso

  • die Regeln, nach denen diese Informationen zustande kommen, wie sie aggregiert werden und welche Bearbeitungsverfahren sie innerhalb und zwischen den Sektoren auslösen können.

4. Drei Beispiele

Der Bedarf entlang des thematisch-intersektoralen Interesses soll jeweils zu den Themen, den Beteiligten, den verfolgten Interessen und den erforderlichen Instrumenten anhand dreier strukturprägender Beispiele skizziert werden. Es geht um die Kooperation allgemein zwischen kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) und gemeinnützigen Organisationen (GO), bei den KMU entlang der Wertschöpfungskette und den daraus folgenden dynamischen Veränderungen, bei den GO entlang der potenziellen eigensinnaffinen Synergien, die ihrerseits sehr in Bewegung sind. Dem schließen sich zwei herausragende Themenschwerpunkte in diesem Gesamtgefüge an, die ihrerseits Gegenstand aller drei Sektoren sein müssen, nämlich der Klimaschutz und die Bildung.

4.1 Kooperation KMU/GO

Dazu sind im Rahmen des Projekts Synergie Wirtschaft/Zivilgesellschaft die Themen, Beteiligten, verfolgten Interessen und erforderlichen Instrumente inzwischen eingehend dargelegt und begründet worden. Die entstandenen Materialien haben im Jahr 2019 die Gremien des BBE, mit operationalen Schlussfolgerungen verbunden, als »call for action« passiert und sind in alle praxiswirksamen Kanäle der Offensive Mittelstand für die KMU und des BBE für die GO eingespeist worden[2]. Je ernsthafter und dichter die Zusammenarbeit zwischen den Akteuren dieser Sektoren in den Blick kommt, desto klarer wird, dass sich die anhand einer Vielzahl von Beispielen aus dem konkreten Leben beschriebenen Fälle nur gemeinsam besser lösen lassen. Der jeweils zu Beginn erforderliche Suchprozess nach mehr Effektivität und Effizienz kann entsprechenden Plattformservice schon als ersten Schritt bei der Partnersuche erfordern, dann auch bei der Themen- und Methodensichtung einschließlich »best practice«. Darüber hinaus müssen auch andere Infrastrukturerfordernisse wie leistungsfähige gemeinsame Anlaufstellen für beide Seiten und Verfahrensabsprachen erfüllt sein.

4.2 Klimaschutz

Der Problemhaushalt dieser absehbar wohl fundamentalsten Aufgabe vor allem der wirtschaftlich stärkeren Staaten befindet sich in einem merkwürdigen Zustand, gerade auch in Deutschland. Dem für die Menschheit schon fast existenziellen Bedarf nach schnellen, wirksamen Lösungen steht aus der Sicht aller zum Handeln aufgerufenen Akteure ein von den Einzelnen kaum zu durchdringender Informationsdschungel gegenüber, der es der Politik erleichtert, verzögernde und letztlich unzureichende partielle Entscheidungen zu treffen und die Mitwirkungsbereitschaft der großen Zahl von Menschen und Organisationen insoweit de facto in den Wind zu schlagen. Die Komplexität erwächst aus dem Zusammentreffen einer Vielzahl von Fachgebieten und Politikfeldern, z. B. Abfederung der Folgen der Erderwärmung, Energiewende, Mobilitäts- und Verkehrswende, Bauwende, Wasserstrategie, Veränderung industrieller Lebensmittelproduktion, Artenschutz, Natur- und Ressourcenverbrauch und Kreislaufwirtschaft. Die Interdependenzen allein zwischen diesen Feldern werden fast alle Experten des Gesamtgebietes bei der gesamten Schrittfolge überfordern und lassen Intransparenz zu den Folgen eigenen Handelns und möglichen Abhilfewegen entstehen, auf denen alle miteinander abgestimmt zusammenwirken könnten, vor allem aber wegen der bestimmenden trisektoralen Abhängigkeiten müssten. Die nahezu unüberschaubare Menge von Informationen aus vieldimensionierten Forschungs- und Beratungseinrichtungen ist für tragfähige Grundsatz- und Umsetzungsentscheidungen zu ordnen. Lösungsideen aus Theorie und Praxis sind zu sammeln. Nachhaltig zielführende Entscheidungen der Politik und dann der beteiligten Sektoren sind zu treffen. Zu den vielen erfindungsreichen Handlungsmöglichkeiten und -alternativen sind Umsetzungswege zu kultivieren, abgestimmt zwischen den unterschiedlichsten Zuständigkeits- und sonstigen Einflusssphären. Die konkreten Ansatzpunkte für die Umsetzung sind in einer gewichteten und transparenten Darstellung von Handlungsalternativen mit den Abhängigkeiten zwischen den Akteursgruppen aufzulisten. Dies muss auch für Laien verständlich geschehen. Nur dann kann jenseits von Symbolpolitik und unzureichenden Teillösungen die erforderliche Wirkung im Klimawandel erzielt werden. Dies gilt zwar für alle Länder der Erde. Die wirtschaftlich Stärkeren, die vor allem auch die Bedrohung über Jahrzehnte in Verfolgung eigener Interessen mit herbeigeführt haben, sollten aber ggfls. nach Kräften vorangehen. Isolierte Aktionen aus der Zivilgesellschaft werden wenig bringen. Doch der Engagementsektor sollte auf diese Sortierungen, Entscheidungen und transparenten Ausweisungen abgestimmter Handlungsansätze aller Sektoren mit Richtung auf entsprechende Informations- und Interaktions-Plattformen aktiv Einfluss nehmen[3].

4.3 Bildung

Auch hier ist Plattform-Information und Interaktion dringend erforderlich. Die Überzeugung von der geborenen Teilhabe an kommunalen/lokalen Bildungslandschaften und die daraus abgeleitete Forderung nach Aufnahme in die verschiedenen Arten von Bildungsberichten bis hin zum Bildungsbericht der Bundesregierung hat Vieles für sich. Sie ist jedoch nach gegenwärtiger Lage der Dinge schmerzlich unrealistisch. Denn zur Umsetzung würde zunächst gehören, die Beiträge der Zivilgesellschaft zum »Lebenslangen Lernen« hinsichtlich der Beteiligten, der Bildungszusammenhänge, der Bildungsergebnisse (Stichwort Kompetenzbilanzierung), d. h. zu der großen Zahl von Bildungsthemen auch ihres Stellenwertes im Zusammenwirken mit den anderen Beteiligten im Berufs- und Privatleben qualitativ und quantitativ nachzuweisen. Die dazu erforderliche überzeugende empirische Bestandsaufnahme fehlt bisher. Und die hinreichend nachvollziehbare Qualifizierung der Bildungsergebnisse zur Klärung ihres Stellenwertes im trisektoralen Zusammenwirken und ihrer sprechenden und verwertbaren Transportierbarkeit fehlt bisher ebenfalls. Diesen Nachweisbedarf löst auch nicht auf, dass es sich bei der non-formalen und informellen Bildung um einen der herausforderndsten Aspekte des Bildungssektors handelt, der nach zehn Jahren auch mit dem Europäischen und Deutschen Qualifikationsrahmen (EQR und DQR) noch nicht bewältigt worden ist[4]. Ohne den Einsatz digitaler Informations- und interaktiver Plattformtechnik werden weder die laufend erforderliche Fortschreibung der Bestandsaufnahme noch die den Bildungsinteressen gerecht werdende Einordnung zum Stellenwert des Bildungsangebots der Zivilgesellschaft im gesamten Bildungskontext, noch die gezielte Suche nach im Einzelfall geeigneten Bildungspartnern zwischen den Sektoren im Zusammenspiel mit den transsektoral Beteiligten sinnvoll realisierbar sein.

5. Aspekte des Ausblicks

Die Entwicklung ist bi/trisektoral erforderlich. Dann lässt sich das Potenzial des Engagementsektors für gemeinnützige Wirkung noch beträchtlich steigern. Dies zwingt zur Klärung hinsichtlich der Modalitäten der Meinungsbildung durch die Zivilgesellschaft. Schon Vorhandenes ist in diesem strategischen und dynamischen Prozess neuer Sichtweisen nach Möglichkeit zu berücksichtigen. Warum sollten solche und weitere bei vollem engagementpolitischem Bewusstsein[5] vorangetriebene Entwicklungen nicht der Stärkung der Zivilgesellschaft dienen? Dies wird allerdings auch die Klärung von Zweifelsfragen mit den geeigneten Mitteln bis hin zum Gesetz umschließen müssen[6]. Alle drei genannten Plattform-Beispiele haben viele Bezüge, die Synergien untereinander ermöglichen. Ggfls. könnten sie, auch mit weiteren Anwendungsgebieten, Teil einer Dachplattform werden, wenn die Zweifelsfragen geklärt sind.


Endnoten

[1] siehe etwa zu den ständig wachsenden, freilich ökonomischer ausgerichteten Einsatzgebieten des Wirtschaftssektors, z. B. für Suchmaschinen oder Sharing-Plattformen https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Digitale-Welt/digitale-plattformen.html; z. B. für den interaktiven Handel auf digitaler Basis: https://www.handelskraft.de/digitale-plattformen-gestalt-und-aufbau-digitaler-geschaeftsmodelle-teil-2/2018/10/, https://www.nim.org/publikationen/gfk-marketing-intelligence-review/alle-ausgaben/die-zukunft-des-einzelhandels/digitalisierte-interaktive-plattformen-co-kreierte-kauferlebnisse-ersetzen-den

[2] siehe https://www.b-b-e.de/unternehmen/ und https://www.b-b-e.de/unternehmen/projekt-synergie-unternehmen-zivilgesellschaft/

[3] näher Hans Sendler, Klima-Synergie für die vielen erleichtern, BBE Newsletter 4/2020, https://www.b-b-e.de/bbe-newsletter/newsletter-nr-4-vom-2722020/sendler-klima-synergie-fuer-die-vielen-erleichtern/

[4] näher Hans Sendler, Qualifikationsrahmen und Engagement, Jahrbuch Engagementpolitik 2019 S. 157 ff.

[5] Serge Embacher, Digitalisierung des Engagementsektors, BBE-Newsletter 24/2020 S. 4, https://www.b-b-e.de/bbe-newsletter/newsletter-nr-24-vom-3122020/embacher-digitalisierung-des-engagementsektors/

[6] näher z. B. Sophie von Schierstaedt, Kommentierung des Dritten Engagementberichts zum Thema Plattformisierung des Engagements, BBE-Newsletter 24/2020, S.2ff, https://www.b-b-e.de/bbe-newsletter/newsletter-nr-24-vom-3122020/von-schierstaedt-plattformisierung-des-engagements/


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Dr. Hans Sendler leitet die Konzeptagentur EUSENDOR und ist BBE-Themenpate im Themenfeld Unternehmen und Engagement.

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