Beitrag im Newsletter Nr. 24 vom 3.12.2020

Digitalisierung des Engagementsektors

Dr. Serge Embacher

Der Text basiert in wesentlichen Teilen auf einem Beitrag für die Zeitschrift Politik & Kultur, Nr. 9/2020.

Inhalt

Wie digital ist digitales Engagement?
Digitalisierung – ein Schub für Bürgerschaftliches Engagement
Die Dialogforen-Reihe
Den digitalen Wandel mit engagementpolitischem Bewusstsein gestalten
Autor
Redaktion

Wie digital ist digitales Engagement?

Was ist digitales Engagement? Diese Frage wird immer wieder gestellt, wenn es darum geht, den Zusammenhang von digitalem Wandel und bürgerschaftlichem Engagement zu verstehen. Eigentlich ist sie aber falsch gestellt oder zumindest missverständlich. Denn die Frage nach dem digitalen Engagement suggeriert, dass es hier eine besondere digitale Qualität gäbe. Doch gibt es diese im Grunde nicht. Selbst wenn Computer und Internet verwendet werden, bleibt doch das Engagement immer eine freiwillige, unentgeltliche, gemeinwohlorientierte und kooperative Handlungsweise, die sich als solche nicht digitalisieren lässt. Das gilt auch für die Aktivist*innen von »Fridays for Future« oder die Hacker-Spezialist*innen vom »Chaos Computer Club«, bei denen man vielleicht am ehesten digitales Engagement vermuten würde. Beide nutzen zwar – im Gegensatz etwa zu den »Grünen Damen« im Krankenhaus oder ehrenamtlicher Hausaufgabenhilfe – technische Tools wie Social-Media-Kanäle oder Chat-Foren und Kollaborationsplattformen. Doch ihr Engagement als solches bleibt »analog« wie eh und je. Ganz körperlich sitzen sie vor ihren Computern und koordinieren gemeinsam mit anderen ihren Einsatz für Klimaschutz und Netzsicherheit. Sie benutzen zwar digitale Technik, doch ihr Engagement ist nicht weniger real als das im klassischen »Offline-Modus«. Das Angewiesensein auf unseren Körper, die schlichte Tatsache, dass wir irgendwo sein müssen, um etwas zu tun, hält auch die technikaffinsten Engagierten in einer analogen Beziehung zum Raum-Zeit-Kontinuum und zu ihren Mitmenschen, mit denen sie zwar dank des Internets über beliebige Distanzen in Echtzeit kommunizieren können, die aber ebenso wie sie an physische Präsenz oder Nicht-Präsenz gebunden bleiben. Anders gesagt: Solange wir den menschlichen Körper nicht à la Raumschiff Enterprise in einen Punktschwarm verwandeln und in derselben Sekunde an einen anderen Ort beamen können, wird auch das bürgerschaftliche Engagement immer eine »analoge« Tätigkeit bleiben müssen …

Ist diese simple Feststellung einmal akzeptiert, lässt sich gleich viel leichter über den Zusammenhang von Digitalisierung und Engagement diskutieren. Dann muss man nicht länger über die besondere Qualität eines vermeintlich digitalen Engagements räsonieren, sondern kann – wesentlich konziser – über die Digitalisierung des Engagementsektors sprechen. Mit diesem veränderten Blickwinkel lassen sich die Chancen des digitalen Wandels für Engagement und Zivilgesellschaft ins Auge fassen, ohne die »Digital Natives« gegen die »Digital Immigrants« oder auch »Digital Ignorants« ausspielen zu müssen. Denn in den einschlägigen Debatten haben ja alle – sowohl Verfechter*innen als auch Skeptiker*innen des Wandels – immer irgendwie einen Punkt; entweder die Chancen und Möglichkeiten im Zusammenhang mit der Digitalisierung der Kommunikationsverhältnisse in den Mittelpunkt zu rücken; oder die Warnung, das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten und darauf zu achten, mit »gut gemeinter« Digitalisierung nicht neue soziale Exklusion zu produzieren.

Digitalisierung – ein Schub für Bürgerschaftliches Engagement

Im Sinne des Dritten Engagementberichts der Bundesregierung, um den sich die Veranstaltung am 2. Oktober 2020 ja drehte, kann man jedenfalls dafür werben, dass digitale Technik enorme Vorteile für die Organisation des Engagements und die damit verbundenen Kommunikationsverhältnisse bereithält, ohne die Probleme und Risiken leugnen zu müssen. Bürgerschaftliches Engagement, so könnte der Ausgangspunkt der Diskussion über Wohl und Wehe der Digitalisierung lauten, kann durch elektronische Medien einen wesentlichen Schub erfahren, wenn man die damit verbundenen Zukunftsperspektiven richtig einschätzt.

In der Bürgergesellschaft ist das Thema mittlerweile angekommen, wie das Interesse am Projekt Forum Digitalisierung und Engagement uns deutlich zeigt. Seit »Corona« steht unabweisbar die Frage im Raum, was der digitale Wandel für das bürgerschaftliche Engagement und seine Akteure eigentlich bedeutet, wo die Chancen und Risiken liegen und wie man angesichts der Komplexität der technischen Systeme sowie der Dominanz der Tech-Konzerne zu einem reflektierten Umgang mit dem digitalen Wandel kommen kann. Das mag für die »Digital Natives« unter den Gemeinnützigen (betterplace, Open Knowlegde Foundation, Stiftung Neue Verantwortung und viele andere) selbstverständlich sein. Für die allermeisten Organisationen der Bürgergesellschaft ist es das jedoch (noch) nicht.

Das Forum Digitalisierung und Engagement ist als koordinierter und strategischer Diskussionsprozess angelegt. Es geht darum, die Bürgergesellschaft in Deutschland mit ihren gemeinnützigen Organisationen zu einem politisch-aktiven Umgang mit dem Mega-Thema Digitalisierung zu befähigen. Statt wie bislang nur zu reagieren, soll die Bürgergesellschaft gegenüber Staat und Wirtschaft bei der Gestaltung des digitalen Wandels selbstbewusster und kreativer werden. Das BBE nutzt dabei seine in den letzten 17 Jahren gewachsene Funktion als Wissens- und Kompetenzplattform für über 30 Millionen bürgerschaftliche Engagierte in Deutschland, um die Akteure trisektoral (Staat, Wirtschaft, Zivilgesellschaft) zu vernetzen und in einen Austausch von Erfahrungen, Meinungen und Handlungsansätzen zu bringen. Am Ende des Prozesses sollen Handlungsempfehlungen für Politik (Bundestag und Bundesregierung) und Wirtschaft (Unternehmen, KMU, Spitzenverbände der Deutschen Wirtschaft), aber auch »Selbstbeauftragungen« für die Bürgergesellschaft auf den Weg gebracht werden. Das erste der fünf geplanten Dialogforen zum Thema Digitale Kompetenz (im Folgenden werden die Fragestellungen skizziert) hat bereits eine ganze Reihe von interaktiv ausgehandelten Empfehlungen produziert.

Die Dialogforen-Reihe

Der ganze Ansatz zielt auf die Etablierung eines überwölbenden Diskurses der Digitalisierung in der Bürgergesellschaft. Die zahlreichen praktischen Aktivitäten sollen in einen allgemeinen Bezugsrahmen gerückt werden. Im Einzelnen könnte die Diskussion wie folgt aussehen: Um digitale Möglichkeiten zur Organisation und Unterstützung von bürgerschaftlichem Engagement zu nutzen, bedarf es zunächst eines gewissen Maßes an digitaler Kompetenz. Haupt- und Ehrenamtliche in gemeinnützigen Organisationen benötigen Wissen und Qualifikation – Wissen über die Funktionsweise eines Computers, Wissen über die Gestaltung von Videokonferenzen (via Zoom, Jitsi, Teams ...), Wissen über die Nutzung von Projektmanagement-Tools (Trello, Slack …). Zur digitalen Kompetenz gehört neben dem Anwendungswissen aber noch ein reflexives Wissen, das es dem oder der Einzelnen ermöglicht, ein souveränes Verhältnis zur Welt des Digitalen zu gewinnen. Nur weil alle Facebook oder Twitter oder WhatsApp nutzen, muss das für mich nicht unbedingt sinnvoll sein. Und wenn ich diese Dienste benutze, sollte ich sehr genau wissen, was dabei mit meinen Daten passiert und welche Rechte und Einflussmöglichkeiten ich habe. Die Diskussion über digitale Kompetenz zieht außerdem die Frage nach Möglichkeiten der digitalen Teilhabe für alle Menschen nach sich. Aus der digitalen Spaltung, die ziemlich genau entlang der sonstigen sozialen Spaltungen in unserer Gesellschaft verläuft, erwächst ein Auftrag an die Politik, dem diese bislang nur unzureichend nachgekommen ist.

Eine weitere Debattenbaustelle im digitalen Wandel ist die Frage nach den Entwicklungspotenzialen für gemeinnützige Organisationen. Viele Vereine, Verbände und Initiativen haben sich längst auf den Weg gemacht, das Thema Digitalisierung strategisch zu denken und zu überlegen, wie man mittels Computertechnik die inneren Abläufe, die Außenkommunikation und das Ehrenamtsmanagement (Gewinnung und Bindung von Engagierten) verbessern könnte. Viele andere jedoch bewegen sich hier hingegen noch auf einer Terra Incognita oder haben nicht die Ressourcen (Hardware, Software, kundiges und technikaffines Personal), die erforderlich sind, um im digitalen Wandel weiterzukommen. Auch hier wäre die Politik in Bundestag und Bundesregierung gefordert, zum Beispiel, indem man die zuwendungsrechtlichen Bedingungen bei der Förderung von Projekten so ändert, dass bei jedem Projekt eigens Mittel für die Digitalisierung des Projektträgers selbst bereitgestellt werden können. Und hier wäre auch ein wichtiger Ansatzpunkt für die bessere Vernetzung gemeinnütziger Organisationen untereinander (Stichwort: »Online-Plattformen«).

Den digitalen Wandel mit engagementpolitischem Bewusstsein gestalten

Außerdem wäre es, um noch zwei weitere Aspekte zu benennen, wichtig, sich um die Themen Datenschutz und Datensicherheit sowie Demokratieentwicklung zu kümmern. Die Datenskandale der letzten Jahre und die Diskussion über die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) haben zwar die Sensibilität gesteigert, doch gilt die Sicherheit von Daten und damit auch der Schutz von Organisationen und Personen vor Missbrauch immer noch als Fall für Fachleute und »Beauftragte«. Ebenso wurde die Debatte über die Kultur der öffentlichen Kommunikation im Internet bislang nicht mit der nötigen Intensität geführt. Die fantastischen Möglichkeiten der »Many-to-many-Kommunikation« im Internet, die jeden Empfänger zum potentiellen Sender machen und damit die demokratiepolitischen Verheißungen der Brecht-schen Radiotheorie in den Bereich des technisch Möglichen geraten lassen, werden allzu oft in zerstörerischer Absicht genutzt. Social Media werden zu »asozialen« Medien, wenn sie – was mittlerweile sehr häufig geschieht – für demokratiefeindliche Umtriebe genutzt werden und als billige Instrumente der Verbreitung von Hass und Hetze oder oft auch hanebüchenem Schwachsinn genutzt werden. Hier liegt eine Aufgabe für alle gemeinnützigen Organisationen, nicht nur für diejenigen, die sich dem »Kampf gegen Rechts« verschrieben haben.

Wenn man den digitalen Wandel im Engagementsektor richtig versteht, das heißt als einen Prozess, den es aktiv und bei vollem engagementpolitischen Bewusstsein zu gestalten gilt, dann kann die Diskussion darüber zu einer Weiterentwicklung der Zivilgesellschaft als Grundpfeiler der Demokratie führen. Ansonsten nicht…


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Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.

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Dr. Serge Embacher arbeitet seit 2010 in der BBE-Geschäftsstelle und leitet dort den Arbeitsbereich Fachprojekte.

Kontakt: serge.embacher@b-b-e.de


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