Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 3 vom 8.4.2021

EBI und vielfältige Demokratie

Interview mit Carola Schaaf-Derichs

Inhalt

EBI und vielfältige Demokratie

Endnoten

Redaktion


BBE Europa-Nachrichten: Heutzutage kann jede*r EU-Bürger*in eine Europäische Bürgerinitiative (EBI) in die Wege leiten. Dieses Instrument gilt als ein erster Schritt in Richtung direktdemokratischer Mitbestimmung auf EU-Ebene. Stärkt eine EBI bei den Bürger*innen den Bezug zu Europa?

Carola Schaaf-Derichs: Davon bin ich überzeugt! Aber die Frage ist ja, wer weiß überhaupt davon, dass dieses Recht auf eine Bürgerinitiative ausgeübt werden kann. Und noch konkreter: Wer kennt sich damit aus, wie auf der relativ abstrakt wahrgenommenen Europa-Ebene eine solche Bürgerinitiative angestrengt werden könnte? Hier ist noch viel Information und Auf- sowie Erklärung nötig, damit diese Botschaft bei Interessierten ankommen und genutzt werden kann, so mein aktueller Eindruck.

BBE Europa-Nachrichten: Könnte die EBI vielleicht dazu beitragen, dass eine europäische politische Öffentlichkeit entsteht?

Carola Schaaf-Derichs: In gewissen Bereichen existiert eine politische Öffentlichkeit im europäischen Raum. Gerade jetzt, wo es oft um die Außengrenzen Europas geht, da wo Flucht und Migration die großen Themen sind oder in Bezug auf die Corona-Krise, die sich stark um die Solidarität zwischen den europäischen Staaten und die weltweite Situation dreht. Diese Öffentlichkeit ist meist eine medial hergestellte, die ebenfalls als weit weg von der lokalen Realität von Bürger*innen wahrgenommen werden könnte. Eine neue Nähe herzustellen und persönliche Bezüge zu einem »going into action« halte ich daher für ein wesentliches Motiv der EBI in ihrer Kommunikation und Vorstellung, die wir dieses Jahr leisten wollen.

BBE Europa-Nachrichten: Was bedeutet eine erfolgreiche Bürgerbeteiligung? Wann gilt eine europäische Bürgerinitiative als Erfolg?

Carola Schaaf-Derichs: Seit Einführung der EBI am 1. April 2012 haben sechs Initiativen die erforderliche Anzahl an Unterschriften erreicht (»Wasser ist ein Menschenrecht«, »Einer von uns«, »Stop Vivisection« [Eingriff am lebenden Tier zu Forschungszwecken], »Verbietet Glyphosat«, »Minority SafePack – one million signatures for diversity in Europe« [Sicherheitspaket für Minderheiten – eine Million Unterschriften für die Vielfalt in Europa] und »Schluss mit der Käfighaltung«) und sind der Kommission vorgelegt worden. In mindestens sieben von den 27 Ländern Europas muss eine Mindestanzahl von Bürger*innen (Quorum) zustimmen, zugleich braucht es europaweit insgesamt eine Million Stimmen. Begründet wurde die EBI mit dem Beitrag, den sie zur Überwindung des Demokratiedefizits der EU leisten kann. Mit der EBI wird die partizipative Demokratie in der EU gestärkt. Zudem könnte sie dazu beitragen, eine echte europäische Kommunikationsgemeinschaft herzustellen und damit die Legitimation europäischer Politik zu verbessern[1]. Daher hielte ich es bereits für einen großen Erfolg, wenn durch die Vernetzung unter den nationalen Kontaktstellen eine größere Öffentlichkeit als bisher und damit ein anderes Bewusstsein für die EBI entstehen könnte. Insgesamt ist die Nachricht aus der Europäischen Kommission doch, dass die Beteiligung von Bürger*innen an den politischen Belangen im Legalraum Europa überaus gewünscht und ermöglicht wird. Auch wenn es natürlich einen langen Atem braucht und zutiefst die Bereitschaft zur Nutzung demokratieförderlicher Instrumente.

BBE Europa-Nachrichten: Glauben Sie, dass die europäische Bürgerinitiative ein Vorbild für ein partizipatives Verfahren auf Bundesebene sein könnte?

Carola Schaaf-Derichs: Die EBI passt zum Bild einer »vielfältigen Demokratie«, die nach Roland Roth[2] nicht nur Partizipation suggeriert, sondern auf eben vielfältige Weise und in Kombination mit Demokratiebildung als Komplementärin und Erweiterung des Systems der repräsentativen Demokratie gelebt und kontinuierlich entwickelt werden will. Der Anspruch an demokratischer Beteiligung ist in Deutschland deutlich gestiegen, er darf aber nicht mit Teilhabe über »Zufalls-Auswahl« in Online-Verfahren oder durch unüberwindliche Hürden von Bürokratie enttäuscht und zum pro forma Verfahren degradiert werden. Wichtige Voraussetzungen für die Umsetzung einer vielfältigen Demokratie hängen auch mit der Überwindung der Mittelschichtlastigkeit und dem Mangel an Demokratie-Erfahrungsbildung zusammen, z. B. durch Kinder- und Jugendparlamenten schon für die Jüngsten. Ich kann mir vorstellen, dass in Deutschland die föderalen Ebenen auch durch die Beschließung von Engagement-Strategien neue Impulse setzen können, um den Partizipationsanspruch des Bürgerschaftlichen Engagements stärker zu verankern. Insofern gilt es abzuwarten, was sich durch die EBI anstoßen lässt und was vielleicht auch bundesweit an Vernetzungen für eine vielfältige Demokratie entsteht.


Weitere Informationen über Europäische Bürgerinitiative: https://europa.eu/citizens-initiative/_de

Carola Schaaf-Derichs ist Geschäftsführerin der Landesfreiwilligenagentur Berlin e.V. sowie Sprecherrätin im Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement und organisiert seit 15 Jahren die Berliner Freiwilligenbörse. Sie ist die Botschafterin für die Europäische Bürgerinitiative.


Endnoten

[1] So erklärt es auch die BPB: https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/das-europalexikon/176739/buergerinitiative-europaeische

[2] Nachhaltige Demokratiebildung Vortrag von Prof. Dr. Roland Roth: https://www.netzwerk-stiftungen-bildung.de/sites/default/files/2020-03/200330_Impulsvortrag_Roth_Demokratiebildung_0.pdf


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