Beitrag im Newsletter Nr. 25 vom 12.12.2019

Weltraumkongress des BDI – und die Zivilgesellschaft?

Dr. Rainer Sprengel und Daniel Helmes

Inhalt

Vorprogramm…

…Rahmenprogramm…

…Berliner Weltraumerklärung des BDI und Politik…

Die sechs sachlichen Forderungen

…Bürgerschaftliches Engagement als Weltraummarketing…

…und die Zivilgesellschaft?

Endnoten

Autoren

Redaktion BBE-Newsletter

Einleitung

Die deutsche Wirtschaft richtet ihren Blick gen Himmel, denn die heimische Industrie spielt bisher eine durchaus bedeutende Rolle in der Raumfahrtindustrie. Allerdings sieht der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) die Gefahr, dass Deutschland hier den Anschluss verliert. Der Verband veröffentlichte zur Raumfahrtindustrie ein Grundsatzpapier und veranstaltete am 18. Oktober 2019 seinen hochkarätig besetzten ersten Weltraumkongress im Haus der Wirtschaft in Berlin [1]. Damit kommt der BDI der Zivilgesellschaft in Deutschland zuvor, die sich bislang nur punktuell mit dem Thema befasst. Dabei sind zahlreiche technische Helfer aus dem All längst zu Alltäglichkeit geworden wie die Mikrowelle, der Akkuschrauber oder auch die Sattelitennavigation. Aktuell beträgt der Umsatz der wirtschaftlichen Raumfahrt laut BDI weltweit zirka 260 Milliarden US-Dollar, aber der Marktumfang soll sich im Verlauf der nächsten Jahre auf 2700 Milliarden US-Dollar verzehnfachen.

Der folgende Bericht zum Weltraumkongress des BDI soll auch verdeutlichen warum es überfällig ist, dass sich die Zivilgesellschaft in Deutschland in ihrer ganzen Breite dieses Gegenwarts- und Zukunftsthemas annimmt.

Dass der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) diesen Kongress in seinem Haus der Wirtschaft in der Bundeshauptstadt Berlin durchführte unterstreicht, wer der zentrale Adressat dieser Veranstaltung mit gut 200 Teilnehmenden war: Bundespolitik und Bundesregierung. Diese war mit Wirtschaftsminister Altmaier, MdB Thomas Jarzombek, dem Koordinator der Bundesregierung für Luft- und Raumfahrt, und mehreren Bundestagsabgeordneten aus Regierung und Opposition (CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP) auch prominent vertreten.

Vorprogramm…

Schon im Mai 2019 hatte der BDI das Grundsatzpapier »Zukunftsmarkt Weltraum – Bedeutung für die deutsche Industrie« [2] veröffentlicht. Es bildet laut Verband den »Grundstein für das weitere raumfahrtpolitische Engagement des BDI«. Entstanden ist es aus einer Vernetzung von Akteuren aus den Bereichen der Raumfahrt, Nicht-Raumfahrtindustrie, Start-Ups und institutioneller Raumfahrt. Die Aufzählung zeigt, dass wir uns in einem schon fortgeschrittenen Zeitenwandel der Raumfahrt befinden, die lange ausschließlich eine Staatsdomäne zu sein schien, angetrieben einst von der Blockkonfrontation zwischen Ost und West. Heute hingegen spielen private Wirtschaftsakteure, darunter neue Weltraumbarone wie Elon Musk oder Richard Branson, eine zunehmend relevante und selbstbewusste Rolle – zum einen als Dienstleister im Rahmen staatlicher Raumfahrtprogramme, zum anderen aber auch als Akteur auf eigene Rechnung. Etwa durch den Aufbau weltumspannender eigener Satellitenkonstellationen wie dem Starlink-Projekt mit bis zu 12.000 eigenen Satelliten. Diese Kommerzialisierung der Raumfahrt läuft unter dem Schlüsselbegriff »New Space«.

In gebündelter Form präsentierte der BDI am 18. Oktober 2019 seine 8 zentralen Forderungen als »Berliner Weltraumerklärung« (dazu später). [3]

…Rahmenprogramm…

Der Weltraumkongress des BDI bot neben zentralen Reden vom BDI-Präsidenten Prof. Dieter Kempf und Wirtschaftsminister Altmaier ein buntes Programm aus Ausstellungen und Vorträgen. Besonders spannend war die Start-Up-Runde »Junge Space-Pioniere« in entspannter Atmosphäre mit kurzen Präsentationen. Ein Gründer stellte sein Start-Up Orbital Oracle Technologies (OroraTech) vor, das Satellitenkonstellation und entsprechende Software entwickeln will, um vom Weltraum aus jeden Brand auf der Erde innerhalb von wenigen Minuten zu entdecken. Damit würden sie alle aktuellen, notdürftigen Überwachungssysteme in menschenarmen Gegenden und Wäldern ablösen können, so die Hoffnung. Brände, die bisher häufig erst nach Stunden oder Tagen entdeckt werden, könnten bereits kurz nach dem Entstehen entdeckt werden.

Ein weiteres Start-Up bereitet die Taylorisierung des Satellitenbaus mit einer deutsch-indischen Partnerschaft vor, denn die Vorhaben der Weltraumbarone, zehntausende Satelliten in den Orbit der Erde zu schicken, werden mit der aktuellen Handarbeitsmethode nicht mehr gelingen. Satelliten am Fließband sind gefragt.

Neben Start-Up-Talks stand der Astronaut Matthias Maurer in echter Trainingsmontur für Fragen zur Verfügung. Er machte den besonderen Spirit deutlich, der nationenübergreifend bei vielen, vielleicht allen Astronautinnen (Kosmonautinnen, Tekonautinnen) vorherrscht – eine besondere Art globaler Verbundenheit und Kooperationskultur jenseits politischer Konfrontationskulturen. Mit Blick auf eine mögliche, künftige gemeinsame Mission mit chinesischen Astronautinnen, auf welcher Raumstation auch immer es dann sein mag, lernt er die chinesische Sprache.

…Berliner Weltraumerklärung des BDI und Politik…

In der Bundespolitik ist Raumfahrt nach wie vor ein Bindestrichthema und wird unter dem Label »Deutsche Luft- und Raumfahrt« verhandelt. Um dies zu ändern, komprimierte der BDI seine Forderungen als »Berliner Erklärung« auf eine Seite. Die ersten beiden Forderungen sind reine Marketingmaßnahmen, die sich so nicht im Grundsatzpapier finden – die darin gestellten acht Forderungen wurden dagegen auf sechs Forderungen reduziert.

Die sechs sachlichen Forderungen sind:

Erstens soll mehr in die Zukunft investiert werden: konkret soll das Nationale Raumfahrtbudget von 285 Millionen auf über 700 Millionen Euro erhöht werden, analog zu dem in Frankreich. Ebenso sollen die Programme der Europäischen Weltraumorganisation ESA mit Kommerzialisierungspotenzial und robotischen Mondmissionen unterstützt werden.

Zweitens sollen private Investitionen in Raumfahrt durch steuerliche Anreize gefördert und ein Weltrauminnovationsfonds bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) eingerichtet werden.

Drittens soll ein eigenständiger europäischer Zugang zum Weltraum durch die Ariane-Trägerrakete erhalten bleiben und eine europäische Präferenz für institutionelle Raketenstarts verabschiedet werden. Letzteres zielt darauf ab, dass die amerikanischen Weltraumbarone Planungssicherheit durch verbindliche Zusagen seitens der amerikanischen NASA erhalten.

Viertens solle ein investitionsfreundlicher Rechtsrahmen geschaffen werden durch ein schlankes nationales Weltraumgesetz mit wettbewerbsfähigen Haftungsgrenzen und Anreizen für private Investitionen durch einen innovativen Rechtsrahmen. Beides bietet in Europa aktuell nur Luxemburg.

Fünftens sollen Weltraumschrott vermieden und Maßnahmen zur Vermeidung und Beseitigung von Weltraumschrott unterstützt werden. Der schon vorhandene Weltraumschrott bedroht zunehmend die Zugänglichkeit und Nutzung des Weltraums bzw. macht diesen unrentabler.

Sechstens müsse der Weltraumbergbau international geregelt und Forschungsvorhaben für die Nutzung von Weltraumressourcen gefördert werden.

…Bürgerschaftliches Engagement als Weltraummarketing…

Weltraumwirtschaft und »New Space« stehen noch nicht im Fokus der politischen und öffentlichen Debatte. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder musste dies im Wahlkampf erfahren, als er zunächst Spott erntete für sein bayerisches Weltraumprogramm, in das das Bundesland 500 Millionen Euro investieren will. Mittlerweile verstummen die Spötter*innen, nachdem Bayern plant 60 neue Lehrstühle für das Thema an Hochschulen des Landes aufzubauen.

Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung müssen BDI-Präsident Kempf und seine Mitarbeiterinnen eine Weile nach einem geeigneten politischen Marketing gesucht haben. »Erster« Weltraumkongress klingt gut und nicht schlecht war die Idee von Kempf, seine Rede bewaffnet mit einem Handtuch zu bestreiten, wie es jeder immer bei sich haben sollte, der »Per Anhalter durch die Galaxis« in seiner ganzen Tiefe ernst nimmt.

Allein, das reicht in einem politischen Berlin nicht, in dem Weltraumthemen noch eher unterbelichtet sind.

Daher findet sich als erste Forderung in der Berliner Erklärung, dass eine »deutsche Astronautin 2024 mit zum Mond fliegen« soll. Ausdrücklich würdigte Kempf in seiner Rede auch eine ehrenamtliche Initiative, die genau dieses Ziel verfolgt, damit für weibliche Rollenmodelle wirbt und die medizinische Forschung im All durch eine weibliche Sicht erweitern möchte. Der BDI-Präsident ließ dabei erkennen, dass er sich dadurch nicht zuletzt eine positive Mitnahme von Bevölkerung und Öffentlichkeit verspricht. Die große werbende Rolle der deutschen ISS-Astronauten schwebte ihm dabei vor Augen. Wie groß wäre da erst die breitenwirksame Legitimität, wenn sich Weltraum, »New Space« und Gender die Hand reichen. Wir melden mal Zweifel an, dass das mit der Legitimität so einfach funktionieren wird, denn es geht ja nicht mehr um einzelne staatliche Aktivitäten, sondern um die Entwicklung einer Weltraumfahrtwirtschaft mit einem jährlichen Umfang von 2700 Milliarden US-Dollar im Jahr 2040.

Die zweite Forderung: Kleinsatelliten sollten von einem privaten Weltraumflughafen in Deutschland gestartet werden können. Auch wenn damit nicht Berlin als Standort gemeint ist, entbehrte das aufgrund des Ortes der Veranstaltung und der mittlerweile mehr als 2700 Tage verspäteten Flughafeneröffnung in der Bundeshauptstadt nicht einer gewissen Ironie.

In seiner Antwort erteilte Altmaier beiden Marketingforderungen eine Absage, mit Hinweis auf die Prozeduren der staatlichen Weltraumfahrt im Rahmen der ESA. Darüber hinaus ließen seine Ausführungen insgesamt nicht erkennen, dass die Forderungen des BDI schon in den Tiefen des Ministeriums gelandet sind.

…und die Zivilgesellschaft?

Ein Akteur war abwesend beim ersten Weltraumkongress des BDI: Die organisierte Zivilgesellschaft. Das ist KEINE Kritik am BDI, sondern eine Kritik (und Selbstkritik) an der organisierten Zivilgesellschaft. Das ist bei diesem Zukunftsthema ärgerlich. Ein so dynamisch wachsender Markt hat sozial- und arbeitsmarktpolitische Auswirkungen; er verändert Wissens- und Hochschulsysteme; Weltraumschrott und Weltraumbergbau sind originäre Umweltthemen und haben Auswirkungen auf Entwicklungszusammenarbeit. Die Satellitenaufnahmen aus dem Weltraum, die der brasilianische Präsident nicht verhindern konnte, haben das Brandverbrechertum im Amazonas für die Weltöffentlichkeit sichtbar gemacht. Die immer besser werdenden Satelliten machen aber auch Überwachungssysteme mit neuer Qualität verfügbar – und spätestens mit der Errichtung der Weltraumkommandos durch Frankreich und die USA sollten auch Friedensbewegte langsam erkennen, dass sich da etwas sehr Reales tut – zumal auch die NATO gerade beschlossen hat, den Weltraum als ein eigenständiges Operationsgebiet des Bündnisses anzusehen.

Bei der Preisverleihung des Goldenen Lenkrads in Berlin verkündete Elon Musk die Errichtung einer Gigafactory-Fabrik in Brandenburg, unter anderem weil er die deutsche Ingenieurskunst schätzt. Elon Musk ist nicht nur ein innovativer Autobauer, vor allem ist er auch einer der größten privaten Weltraum- und Raketeninvestoren mit dem Unternehmen SpaceX auf der Erde. Eine doppelt gute Nachricht also für den BDI und den ›Wirtschaftsstandort‹ Deutschland.

Es wird dringend Zeit, dass die deutsche Zivilgesellschaft in die Gänge kommt. Im Verlauf der zweiten Hälfte der Legislaturperiode soll ein Diskussionsentwurf für ein deutsches Weltraumgesetz vorliegen, die Bundesregierung arbeitet bereits seit Mitte 2018 hieran wie aus der Drucksache 19/13613 hervorgeht. [4] 2021 soll der 2. Weltraumkongress des BDI stattfinden, davor sollte sich die Zivilgesellschaft in ihrer ganzen Breite versammeln und ihre Erwartungen, Hoffnungen, Kritik und Skepsis formulieren, um sprechfähig auf dem BDI-Kongress und im politischen Raum zu werden.

Um dies zu erreichen hat sich am 8. November 2019 in Stuttgart eine Initiative »Netzwerk Weltraum und Zivilgesellschaft« gegründet, zu dem die Autoren dieses Artikels gehören. [5] Wer mitwirken will, ist herzlich dazu eingeladen.

Endnoten

  1. Programm des 1. Weltraumkongress des BDI (PDF) bdi.eu/media/themenfelder/rohstoffe/downloads/20191018_Programm_BDI_Weltraumkongress.pdf
  2. BDI-Grundsatzpapier »Zukunftsmarkt Weltraum – Bedeutung für die deutsche Industrie« bdi.eu/publikation/news/zukunftsmarkt-weltraum/
  3. »Berliner Weltraumerklärung« des BDI (PDF) bdi.eu/media/themenfelder/rohstoffe/publikationen/20191018_Position_BDI_Berliner_Weltraumerklaerung.pdf
  4. Antwort auf die Kleine Anfrage (Drucksache 19/13613) (PDF) dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/136/1913613.pdf
  5. Einladung zum Workshop »Weltraum und Zivilgesellschaft« (PDF) www.b-b-e.de/fileadmin/inhalte/aktuelles/2019/09/Weltraum_und_Zivilgesellschaft_Einladung_Workshop.pdf

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Dr. Rainer Sprengel ist Leiter des Arbeitsbereichs Information und Kommunikation des BBE und befasst sich seit über 20 Jahren mit dem Thema bürgerschaftliches Engagement. Promoviert hat er über Geopolitik und politische Raumbegriffe.

Kontakt: rainer.sprengel(at)b-b-e.de

Daniel Helmes arbeitet als stellvertretender Leiter des Arbeitsbereichs Information und Kommunikation für das BBE. Er befasst sich mit Digitalisierung, Engagement und – in letzter Zeit vermehrt – dem Weltraum.

Kontakt: daniel.helmes(at)b-b-e.de

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…Berliner Weltraumerklärung des BDI und Politik…

Die sechs sachlichen Forderungen sind:

…Bürgerschaftliches Engagement als Weltraummarketing…

…und die Zivilgesellschaft?

Endnoten

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Die deutsche Wirtschaft richtet ihren Blick gen Himmel, denn die heimische Industrie spielt bisher eine durchaus bedeutende Rolle in der Raumfahrtindustrie. Allerdings sieht der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) die Gefahr, dass Deutschland hier den Anschluss verliert. Der Verband veröffentlichte zur Raumfahrtindustrie ein Grundsatzpapier und veranstaltete am 18. Oktober 2019 seinen hochkarätig besetzten ersten Weltraumkongress im Haus der Wirtschaft in Berlin [1]. Damit kommt der BDI der Zivilgesellschaft in Deutschland zuvor, die sich bislang nur punktuell mit dem Thema befasst. Dabei sind zahlreiche technische Helfer aus dem All längst zu Alltäglichkeit geworden wie die Mikrowelle, der Akkuschrauber oder auch die Sattelitennavigation. Aktuell beträgt der Umsatz der wirtschaftlichen Raumfahrt laut BDI weltweit zirka 260 Milliarden US-Dollar, aber der Marktumfang soll sich im Verlauf der nächsten Jahre auf 2700 Milliarden US-Dollar verzehnfachen.

Der folgende Bericht zum Weltraumkongress des BDI soll auch verdeutlichen warum es überfällig ist, dass sich die Zivilgesellschaft in Deutschland in ihrer ganzen Breite dieses Gegenwarts- und Zukunftsthemas annimmt.

Dass der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) diesen Kongress in seinem Haus der Wirtschaft in der Bundeshauptstadt Berlin durchführte unterstreicht, wer der zentrale Adressat dieser Veranstaltung mit gut 200 Teilnehmenden war: Bundespolitik und Bundesregierung. Diese war mit Wirtschaftsminister Altmaier, MdB Thomas Jarzombek, dem Koordinator der Bundesregierung für Luft- und Raumfahrt, und mehreren Bundestagsabgeordneten aus Regierung und Opposition (CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP) auch prominent vertreten.

Vorprogramm…

Schon im Mai 2019 hatte der BDI das Grundsatzpapier »Zukunftsmarkt Weltraum – Bedeutung für die deutsche Industrie« [2] veröffentlicht. Es bildet laut Verband den »Grundstein für das weitere raumfahrtpolitische Engagement des BDI«. Entstanden ist es aus einer Vernetzung von Akteuren aus den Bereichen der Raumfahrt, Nicht-Raumfahrtindustrie, Start-Ups und institutioneller Raumfahrt. Die Aufzählung zeigt, dass wir uns in einem schon fortgeschrittenen Zeitenwandel der Raumfahrt befinden, die lange ausschließlich eine Staatsdomäne zu sein schien, angetrieben einst von der Blockkonfrontation zwischen Ost und West. Heute hingegen spielen private Wirtschaftsakteure, darunter neue Weltraumbarone wie Elon Musk oder Richard Branson, eine zunehmend relevante und selbstbewusste Rolle – zum einen als Dienstleister im Rahmen staatlicher Raumfahrtprogramme, zum anderen aber auch als Akteur auf eigene Rechnung. Etwa durch den Aufbau weltumspannender eigener Satellitenkonstellationen wie dem Starlink-Projekt mit bis zu 12.000 eigenen Satelliten. Diese Kommerzialisierung der Raumfahrt läuft unter dem Schlüsselbegriff »New Space«.

In gebündelter Form präsentierte der BDI am 18. Oktober 2019 seine 8 zentralen Forderungen als »Berliner Weltraumerklärung« (dazu später). [3]

…Rahmenprogramm…

Der Weltraumkongress des BDI bot neben zentralen Reden vom BDI-Präsidenten Prof. Dieter Kempf und Wirtschaftsminister Altmaier ein buntes Programm aus Ausstellungen und Vorträgen. Besonders spannend war die Start-Up-Runde »Junge Space-Pioniere« in entspannter Atmosphäre mit kurzen Präsentationen. Ein Gründer stellte sein Start-Up Orbital Oracle Technologies (OroraTech) vor, das Satellitenkonstellation und entsprechende Software entwickeln will, um vom Weltraum aus jeden Brand auf der Erde innerhalb von wenigen Minuten zu entdecken. Damit würden sie alle aktuellen, notdürftigen Überwachungssysteme in menschenarmen Gegenden und Wäldern ablösen können, so die Hoffnung. Brände, die bisher häufig erst nach Stunden oder Tagen entdeckt werden, könnten bereits kurz nach dem Entstehen entdeckt werden.

Ein weiteres Start-Up bereitet die Taylorisierung des Satellitenbaus mit einer deutsch-indischen Partnerschaft vor, denn die Vorhaben der Weltraumbarone, zehntausende Satelliten in den Orbit der Erde zu schicken, werden mit der aktuellen Handarbeitsmethode nicht mehr gelingen. Satelliten am Fließband sind gefragt.

Neben Start-Up-Talks stand der Astronaut Matthias Maurer in echter Trainingsmontur für Fragen zur Verfügung. Er machte den besonderen Spirit deutlich, der nationenübergreifend bei vielen, vielleicht allen Astronaut*innen (Kosmonaut*innen, Tekonaut*innen) vorherrscht – eine besondere Art globaler Verbundenheit und Kooperationskultur jenseits politischer Konfrontationskulturen. Mit Blick auf eine mögliche, künftige gemeinsame Mission mit chinesischen Astronaut*innen, auf welcher Raumstation auch immer es dann sein mag, lernt er die chinesische Sprache.

…Berliner Weltraumerklärung des BDI und Politik…

In der Bundespolitik ist Raumfahrt nach wie vor ein Bindestrichthema und wird unter dem Label »Deutsche Luft- und Raumfahrt« verhandelt. Um dies zu ändern, komprimierte der BDI seine Forderungen als »Berliner Erklärung« auf eine Seite. Die ersten beiden Forderungen sind reine Marketingmaßnahmen, die sich so nicht im Grundsatzpapier finden – die darin gestellten acht Forderungen wurden dagegen auf sechs Forderungen reduziert.

Die sechs sachlichen Forderungen sind:

Erstens soll mehr in die Zukunft investiert werden: konkret soll das Nationale Raumfahrtbudget von 285 Millionen auf über 700 Millionen Euro erhöht werden, analog zu dem in Frankreich. Ebenso sollen die Programme der Europäischen Weltraumorganisation ESA mit Kommerzialisierungspotenzial und robotischen Mondmissionen unterstützt werden.

Zweitens sollen private Investitionen in Raumfahrt durch steuerliche Anreize gefördert und ein Weltrauminnovationsfonds bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) eingerichtet werden.

Drittens soll ein eigenständiger europäischer Zugang zum Weltraum durch die Ariane-Trägerrakete erhalten bleiben und eine europäische Präferenz für institutionelle Raketenstarts verabschiedet werden. Letzteres zielt darauf ab, dass die amerikanischen Weltraumbarone Planungssicherheit durch verbindliche Zusagen seitens der amerikanischen NASA erhalten.

Viertens solle ein investitionsfreundlicher Rechtsrahmen geschaffen werden durch ein schlankes nationales Weltraumgesetz mit wettbewerbsfähigen Haftungsgrenzen und Anreizen für private Investitionen durch einen innovativen Rechtsrahmen. Beides bietet in Europa aktuell nur Luxemburg.

Fünftens sollen Weltraumschrott vermieden und Maßnahmen zur Vermeidung und Beseitigung von Weltraumschrott unterstützt werden. Der schon vorhandene Weltraumschrott bedroht zunehmend die Zugänglichkeit und Nutzung des Weltraums bzw. macht diesen unrentabler.

Sechstens müsse der Weltraumbergbau international geregelt und Forschungsvorhaben für die Nutzung von Weltraumressourcen gefördert werden.

…Bürgerschaftliches Engagement als Weltraummarketing…

Weltraumwirtschaft und »New Space« stehen noch nicht im Fokus der politischen und öffentlichen Debatte. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder musste dies im Wahlkampf erfahren, als er zunächst Spott erntete für sein bayerisches Weltraumprogramm, in das das Bundesland 500 Millionen Euro investieren will. Mittlerweile verstummen die Spötter*innen, nachdem Bayern plant 60 neue Lehrstühle für das Thema an Hochschulen des Landes aufzubauen.

Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung müssen BDI-Präsident Kempf und seine Mitarbeiter*innen eine Weile nach einem geeigneten politischen Marketing gesucht haben. »Erster« Weltraumkongress klingt gut und nicht schlecht war die Idee von Kempf, seine Rede bewaffnet mit einem Handtuch zu bestreiten, wie es jede*r immer bei sich haben sollte, der »Per Anhalter durch die Galaxis« in seiner ganzen Tiefe ernst nimmt.

Allein, das reicht in einem politischen Berlin nicht, in dem Weltraumthemen noch eher unterbelichtet sind.

Daher findet sich als erste Forderung in der Berliner Erklärung, dass eine »deutsche Astronautin 2024 mit zum Mond fliegen« soll. Ausdrücklich würdigte Kempf in seiner Rede auch eine ehrenamtliche Initiative, die genau dieses Ziel verfolgt, damit für weibliche Rollenmodelle wirbt und die medizinische Forschung im All durch eine weibliche Sicht erweitern möchte. Der BDI-Präsident ließ dabei erkennen, dass er sich dadurch nicht zuletzt eine positive Mitnahme von Bevölkerung und Öffentlichkeit verspricht. Die große werbende Rolle der deutschen ISS-Astronauten schwebte ihm dabei vor Augen. Wie groß wäre da erst die breitenwirksame Legitimität, wenn sich Weltraum, »New Space« und Gender die Hand reichen. Wir melden mal Zweifel an, dass das mit der Legitimität so einfach funktionieren wird, denn es geht ja nicht mehr um einzelne staatliche Aktivitäten, sondern um die Entwicklung einer Weltraumfahrtwirtschaft mit einem jährlichen Umfang von 2700 Milliarden US-Dollar im Jahr 2040.

Die zweite Forderung: Kleinsatelliten sollten von einem privaten Weltraumflughafen in Deutschland gestartet werden können. Auch wenn damit nicht Berlin als Standort gemeint ist, entbehrte das aufgrund des Ortes der Veranstaltung und der mittlerweile mehr als 2700 Tage verspäteten Flughafeneröffnung in der Bundeshauptstadt nicht einer gewissen Ironie.

In seiner Antwort erteilte Altmaier beiden Marketingforderungen eine Absage, mit Hinweis auf die Prozeduren der staatlichen Weltraumfahrt im Rahmen der ESA. Darüber hinaus ließen seine Ausführungen insgesamt nicht erkennen, dass die Forderungen des BDI schon in den Tiefen des Ministeriums gelandet sind.

…und die Zivilgesellschaft?

Ein Akteur war abwesend beim ersten Weltraumkongress des BDI: Die organisierte Zivilgesellschaft. Das ist KEINE Kritik am BDI, sondern eine Kritik (und Selbstkritik) an der organisierten Zivilgesellschaft. Das ist bei diesem Zukunftsthema ärgerlich. Ein so dynamisch wachsender Markt hat sozial- und arbeitsmarktpolitische Auswirkungen; er verändert Wissens- und Hochschulsysteme; Weltraumschrott und Weltraumbergbau sind originäre Umweltthemen und haben Auswirkungen auf Entwicklungszusammenarbeit. Die Satellitenaufnahmen aus dem Weltraum, die der brasilianische Präsident nicht verhindern konnte, haben das Brandverbrechertum im Amazonas für die Weltöffentlichkeit sichtbar gemacht. Die immer besser werdenden Satelliten machen aber auch Überwachungssysteme mit neuer Qualität verfügbar – und spätestens mit der Errichtung der Weltraumkommandos durch Frankreich und die USA sollten auch Friedensbewegte langsam erkennen, dass sich da etwas sehr Reales tut – zumal auch die NATO gerade beschlossen hat, den Weltraum als ein eigenständiges Operationsgebiet des Bündnisses anzusehen.

Bei der Preisverleihung des Goldenen Lenkrads in Berlin verkündete Elon Musk die Errichtung einer Gigafactory-Fabrik in Brandenburg, unter anderem weil er die deutsche Ingenieurskunst schätzt. Elon Musk ist nicht nur ein innovativer Autobauer, vor allem ist er auch einer der größten privaten Weltraum- und Raketeninvestoren mit dem Unternehmen SpaceX auf der Erde. Eine doppelt gute Nachricht also für den BDI und den ›Wirtschaftsstandort‹ Deutschland.

Es wird dringend Zeit, dass die deutsche Zivilgesellschaft in die Gänge kommt. Im Verlauf der zweiten Hälfte der Legislaturperiode soll ein Diskussionsentwurf für ein deutsches Weltraumgesetz vorliegen, die Bundesregierung arbeitet bereits seit Mitte 2018 hieran wie aus der Drucksache 19/13613 hervorgeht. [4] 2021 soll der 2. Weltraumkongress des BDI stattfinden, davor sollte sich die Zivilgesellschaft in ihrer ganzen Breite versammeln und ihre Erwartungen, Hoffnungen, Kritik und Skepsis formulieren, um sprechfähig auf dem BDI-Kongress und im politischen Raum zu werden.

Um dies zu erreichen hat sich am 8. November 2019 in Stuttgart eine Initiative »Netzwerk Weltraum und Zivilgesellschaft« gegründet, zu dem die Autoren dieses Artikels gehören. [5] Wer mitwirken will, ist herzlich dazu eingeladen.

Endnoten

  1. Programm des 1. Weltraumkongress des BDI (PDF) bdi.eu/media/themenfelder/rohstoffe/downloads/20191018_Programm_BDI_Weltraumkongress.pdf
  2. BDI-Grundsatzpapier »Zukunftsmarkt Weltraum – Bedeutung für die deutsche Industrie« bdi.eu/publikation/news/zukunftsmarkt-weltraum/
  3. »Berliner Weltraumerklärung« des BDI (PDF) bdi.eu/media/themenfelder/rohstoffe/publikationen/20191018_Position_BDI_Berliner_Weltraumerklaerung.pdf
  4. Antwort auf die Kleine Anfrage (Drucksache 19/13613) (PDF) dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/136/1913613.pdf
  5. Einladung zum Workshop »Weltraum und Zivilgesellschaft« (PDF) www.b-b-e.de/fileadmin/inhalte/aktuelles/2019/09/Weltraum_und_Zivilgesellschaft_Einladung_Workshop.pdf

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