Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 7 vom 21.7.2022

Europa und die Gemeinnützigkeit

Rupert Graf Strachwitz

Inhalt

Welche Relevanz hat das Thema »Gemeinnützigkeit« für die europäische Zivilgesellschaft?
Gibt es tatsächlich in Europa oder auch nur in Teilen Europas einen Konsens darüber, was letztlich als gemeinnützig zu gelten hat?
Gibt es in Europa oder vielleicht sogar darüber hinaus spannende Modelle oder Beispiele im Kontext der Gemeinnützigkeit?
Kann man Gemeinnützigkeitsrecht überhaupt als europäisches Gemeinschaftsrecht denken?
Interviewpartner
Redaktion

BBE Europa-Nachrichten: Welche Relevanz hat das Thema »Gemeinnützigkeit« für die europäische Zivilgesellschaft?

Dr. Rupert Graf Strachwitz: Die Diskussion um die steuerliche Gemeinnützigkeit ist ein Teil der viel größeren Debatte um den Handlungsraum der Zivilgesellschaft, denn der Steuerstatus kann zu einem Instrument in der Hand der Regierungen zu dessen Einschränkung werden. Umso wichtiger erscheint eine europaweite und grundlegende Thematisierung der Frage, welche Ziele sich Zivilgesellschaft setzen und warum sie wie steuerlich behandelt werden sollte. In der Praxis der Zivilgesellschaft ist Europa längst angekommen. Die Unterschiede in den Strukturen spielen, wenn überhaupt, eine untergeordnete Rolle. Ob ein österreichischer und ein deutscher Verein vergleichbar sind, was eine italienische ONLUS, eine britische charity, eine französische fondation d’entreprise sind, ob das polnische Gegenstück zum Verein im Einzelfall eine stowarzyszenie, ein związek oder ein zrzeszenie sein könnte oder ob mit einer schwedischen stiftelsen dasselbe gemeint ist wie mit einer deutschen Stiftung, ist für die praktische europäische Zusammenarbeit bedeutungslos. Noch sehr viel weniger schenken europäische soziale Bewegungen oder Protestbewegungen der Frage, welcher Nationalität die Mitglieder oder Teilnehmer haben, irgendeine Aufmerksamkeit. Eine euro­päische oder wohl sogar eine globale Zivilgesellschaft ist hier längst Realität.

BBE Europa-Nachrichten: Gibt es tatsächlich in Europa oder auch nur in Teilen Europas einen Konsens darüber, was letztlich als gemeinnützig zu gelten hat?

Dr. Rupert Graf Strachwitz: Dazu ist es zunächst notwendig, eine Unterscheidung zwischen »gemeinnützig« im steuerrechtlichen Sinn und der Zugehörigkeit zur Zivilgesellschaft einzuführen. Das eine ergibt sich keineswegs aus dem anderen. Ob eine gemeinnützige Kapitalgesellschaft, deren Eigentümer ausschließlich öffentliche Gebietskörperschaften sind, der Zivilgesellschaft zuzurechnen ist, ist zumindest zweifelhaft. Andererseits ist bspw. der ADAC e.V. ohne Zweifel eine zivilgesellschaftliche Organisation. Den steuerlichen Status der Gemeinnützigkeit besitzt er nicht und hat ihn auch nie angestrebt. Man könnte abstrakt Ziele von besonderer Bedeutung für die Gesellschaft formulieren und diese als gemeinnützig bezeichnen. Möglicherweise würde dann das Backen von Brot viel weiter oben auf der Liste stehen und als gemeinnützig eingestuft werden, anderes, das wir als gemeinnützig bezeichnen, hingegen die Schwelle nicht erreichen. Darunter wäre bspw. der Modellflug (§ 52 Abs. 2, Ziff. 23 AO), sofern man dieses Ziel als Maßstab nehmen würde. Anders würde das Ergebnis aber dann ausfallen, wenn es gar nicht um dieses Ziel im einzelnen ginge, sondern um die Bildung von freiwilligen Gemeinschaften, zur Gestaltung der life im Sinne einer life-work-balance als sozialem Kitt in einer zunehmend ausdifferenzierten und entpersonalisierten Gesellschaft. Dann allerdings würde die Nennung des Ziels der Gemeinschaftsbildung genügen. Noch mehr als in anderen europäischen Ländern ist man in Deutschland weit entfernt davon, die Prioritäten im Sinne solcher gesellschaftlicher Ziele neu zu setzen. So nimmt es nicht wunder, daß bürgerschaftliches Engagement, politische Mitwirkung und andere Ziele nicht oder nur sehr eingeschränkt als gemeinnützig im Sinne des Steuerrechts angesehen werden. Soweit erkennbar, klammert man sich europaweit an einen Katalog von Einzelzielen, über den in wesentlichen Punkten Konsens besteht, aber nicht in allen und mit zunehmenden Infragestellungen. Manches heiße Eisen, etwa Wettbewerbsverzerrungen durch ungleiche steuerliche Behandlung, wird politisch übertüncht oder verdrängt. Daß die bei den nationalen Regierungen beliebten gemeinnützigen Dienstleister aus übergeordneten Gründen nicht pauschal Opfer schematischer Vorstellungen von Marktzugang werden dürfen, ist andererseits ebenso unbestreitbar.

BBE Europa-Nachrichten: Gibt es in Europa oder vielleicht sogar darüber hinaus spannende Modelle oder Beispiele im Kontext der Gemeinnützigkeit?

Dr. Rupert Graf Strachwitz: Das Beispiel der USA, oft ja als großes Vorbild gesehen, wenn es um Bedeutung und Tätigkeit der Zivilgesellschaft geht, ist vielleicht deswegen von Interesse, weil einerseits schon seit 1969 eine Verpflichtung für jede gemeinnützige Organisation (die sog. 501 (c) (3)) besteht, jährlich eine Steuererklärung einzureichen (sog. Form 990), die der Öffentlichkeit von der amerikanischen Steuerverwaltung (IRS) zur Verfügung gestellt wird, während andererseits die Bescheinigungen, daß eine Organisation den 501 (c) (3) Status besitzt, bis zu einem ausdrücklichen Widerruf, das heißt zeitlich unbegrenzt gültig sind.

Das niederländische Recht gestattet Spendern den steuerlichen Abzug von Spenden an Organisationen in anderen EU-Ländern ohne Einschränkungen, aber nur dann, wenn diese in den Niederlanden registriert sind. Diese Registrierung ist auch für eine nicht-niederländische Organisation unproblematisch, setzt allerdings voraus, daß bestimmte Angaben und Nachweise auf der Webseite der Organisation stets aktualisiert einsehbar sind – ein akzeptables, pragmatisches Verfahren.

Ein Beispiel aus Großbritannien erscheint von besonderem Interesse. Dort besteht, jeweils gesondert für England und Wales, Schottland und Nordirland, seit 1853 (!) eine sog. Charity Commission (in Schottland Office of the Scottish Charity Regulator genannt) als selbständige Regierungsbehörde im Geschäftsbereich des Innenministeriums (Home Office). Die englische Charity Commission beschreibt ihren gesetzlichen Auftrag wie folgt: »We register and regulate charities in England and Wales, to ensure that the public can support charities with confidence.« (Wir registrieren und regulieren gemeinnützige Organisationen in Engalnd und Wales, damit die Öffentlichkeit sie vertrauensvoll unterstützen kann.) Auch wenn dieses System in den letzten Jahren im Zuge einer zunehmenden Politisierung durch die Regierung Effizienz und Vertrauen eingebüßt hat, ist sie doch ein Beispiel dafür, wie die ohne Zweifel notwendige Registrierung und Regulierung so organisiert werden kann, daß zum einen die Bürgerinnen und Bürger konkret etwas davon haben und zum zweiten der unmittelbare Interessen- und Kompetenzkonflikt zwischen Steuereintreibung und sachgerechter Beurteilung zumindest stark abgemildert wird.

BBE Europa-Nachrichten: Kann man Gemeinnützigkeitsrecht überhaupt als europäisches Gemeinschaftsrecht denken?

Dr. Rupert Graf Strachwitz: Die europäische Lebenswelt bringt es mit sich, daß man gern Überlegungen anstellt, ob nicht eine einheitliche europäische Handhabung angemessener wäre. Für letzteres hat die Europäische Union derzeit kein vertragliches Mandat. Und in der Tat: Die Mitgliedsländer hüten mit Bedacht ihre Eigenständigkeit im Umgang mit der Zivilgesellschaft. Dies ist leicht daran zu erkennen, daß die Vorlagen sowohl für ein europäisches Vereinsstatut als auch ein europäisches Stiftungsstatut im Europäischen Rat gescheitert sind oder jedenfalls nicht vorankommen. Ob der von Sergey Lagodinsky, einem deutschen MdEP intiierte und vom Europäischen Parlament unterstützte neue Vorstoß erfolgreich sein wird, bleibt abzuwarten. Denn nicht einmal eine mögliche zivilrechtliche Europäisierung für die beiden wichtigsten Rechtsformen zivilgesellschaftlicher, gemeinnütziger Organisationen ist von den Regierungen der Mitgliedsländer gewollt. Ein weiteres Indiz sind die in Europa sechs, nach dem Austritt Großbritanniens in der Europäischen Union immer noch fünf grundlegend verschiedenen Systeme für die Behandlung von Spenden an gemeinnützigen Organisationen. Dies reicht von (1.) der Besteuerung von Spenden (in Griechenland) und (2.) keiner Möglichkeit für Spender, diese steuerlich geltend zu machen (bspw. in Finnland) über (3.) die Möglichkeit der Zweckbindung eines kleinen Teils der Steuerpflicht (in Italien und einigen mittel-osteuropäischen Ländern) bis (4.) zum Abzug von Spenden von der Steuerschuld oder (5.) vom steuerpflichtigen Einkommen. Die Verschiedenheit könnte kaum größer sein.

Diese Verschiedenheit läßt sich zudem trotz der eingangs erwähnten Gerichtsurteile sehr gut an der sehr unterschiedlichen Praxis in der Beurteilung von Spenden in anderen EU-Länder ablesen, von der von Spenden in Drittländer ganz zu schweigen. Überwiegend sind Spenden an gemeinnützige Organisationen in der EU trotz der einschlägigen Urteile in der Praxis schwierig, sodaß viele Spender auch hierfür – wie jenseits der EU notwendigerweise – Mittlerorganisationen in Anspruch nehmen, die zweckgebundene inländische Spenden entgegennehmen, die gewünschte steuerliche Bescheinigung ausstellen und die Spende an den Empfänger im Ausland weiterleiten, nachdem sie sich davon überzeugt haben, daß dieser oder zumindest dessen Tätigkeit den Anforderungen an eine im Inland als gemeinnützig anerkannte Organisation entspricht. Für das seit 1999 bestehende Netzwerk Transnational Giving Europe und seine Partner in 20 europäischen Ländern gehört diese konkrete Mittlertätigkeit beispielweise zu seinen wichtigsten Aufgaben. Dabei spielen die von Land zu Land verschiedenen gesetzlichen Vorschriften und die unterschiedliche Verwaltungspraxis in dem jeweils notwendigen Due-Diligence-Prozeß eine erhebliche Rolle. Von einer auch nur annähernd vergleichbaren Handhabung oder gar einer europäischen Gemeinnützigkeitsregelung ist die Europäische Union weit entfernt, eine Annäherung etwa im größeren Europa des Europarates, der im übrigen für derartiges erst recht kein Mandat hat, geradezu undenkbar.


Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 7 vom 21.7.2022
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Interviewpartner

Dr. Rupert Graf Strachwitz ist Vorstand der Maecenata Stiftung, München/Berlin und Direktor des Maecenata Instituts für Philanthropie und Zivilgesellschaft. Die Stiftung ist der deutsche Partner im Netzwerk Transnational Giving Europe.

Kontakt: rs@maecenata.eu

Weitere Informationen: www.maecenata.eu


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