Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 6 vom 9.7.2020

Engagement gegen Einsamkeit

Elke Schilling

Inhalt

Das Silbernetz – www.Silbernetz.org
Corona
Die europäische Dimension
Endnoten
Autorin
Redaktion

Die Europäische Kommission hat am 17. Juni 2020 ihren ersten Bericht über die Auswirkungen des Demografischen Wandels in Europa veröffentlicht.

Dubravka Šuica, das für Demokratie und Demografie zuständige Kommissionsmitglied, bemerkte hierzu, dass die Corona-Krise viele Schwachstellen sichtbar gemacht habe, »von denen einige mit dem tief greifenden demografischen Wandel zusammenhängen, von dem unsere Gesellschaften und Gemeinschaften in ganz Europa bereits betroffen sind. Diese doppelte Herausforderung muss mit dazu beitragen, wie wir in den nächsten Jahrzehnten über Gesundheitsversorgung, Wohlstand, öffentliche Haushalte und öffentliches Leben denken. Sie muss uns dabei helfen, Fragen wie den Zugang zu Dienstleistungen, wohnortnahe Betreuung und sogar Einsamkeit anzugehen.«[1]

Das Silbernetz – www.Silbernetz.org

Silbernetz ist ein dreistufiges telefonisches Gesprächsangebot für ältere Menschen mit Einsamkeitsgefühlen. Es besteht zum ersten aus der Hotline – dem Silbertelefon – kostenlos, vertraulich und anonym mit der Rufnummer 0800 4 70 80 90. Zweiter Teil sind die Silbernetz-Freund_innen, Ehrenamtliche, die einmal in der Woche für eine Stunde »ihren« älteren Menschen anrufen für ein persönliches Gespräch. Dazu kommt die Silberinfo, der Brückenschlag zwischen älterem Menschen und den Angeboten für Ältere in deren Wohnumfeld. Dafür wird in Berlin der Hilfelotse genutzt und aktualisiert, das internetbasierte Infoportal für soziale Dienste. Silbernetz ist niedrigschwellig in den technischen Voraussetzungen für die Nutzer_innen – einfach nur anrufen kann fast jede_r. Das anonyme Telefongespräch erlaubt darüber hinaus große emotionale Nähe bei gleichzeitiger physischer Distanz. Anrufende behalten die Autonomie zu entscheiden, welche Hilfe sie brauchen – das entlastende Gespräch, eine Rufnummer für das Hilfeangebot eines Fachdienstes oder eine Adresse um die Ecke, um sich wieder in Kontakt zu begeben.

Silbernetz beruht auf den Erfahrungen der Initiatorin in Beruf und Ehrenamt: Einerseits hat die Vereinsamung Älterer schwerwiegende gesundheitliche, soziale und gesellschaftliche Folgen. Andererseits zeigen Studien, dass Ältere aufgrund der Wirksamkeit von Altersstereotypen und modernen Informationstechniken häufig nicht wissen, welche Angebote für sie bereitgestellt werden. Die Analyse vorhandener Daten und Studien zeigte, dass ungefähr 8 Millionen ältere Menschen in Deutschland mindestens gelegentlich von Einsamkeit betroffen sind.[2]

Über sechs Jahre lang arbeiteten die Gründer des Silbernetz neben dem Aufbau des dreistufigen Angebotes auch an der Etablierung des Themas Alterseinsamkeit in Deutschland. Konkret wurde das nach einem Besuch bei der 2013 als Pilotprojekt in Manchester gegründeten Silverline Helpline, die im Frühjahr 2014 englandweit freigeschaltet war und schon im ersten Jahr 300 000 Anrufe zu bewältigen hatte. Die Silverline Helpline besteht aus drei Teilen – einer Hotline mit einer kostenlosen Rufnummer, anonym und vertraulich, den Silverline-Friends, die einmal in der Woche mit »ihrem« alten Menschen telefonieren und der Vermittlung von Kontakten zu wohnortnahen Angeboten, damit Ältere Wege aus der Einsamkeit finden können. Für die Gründung der Silverline war im UK der Boden unter anderem bereitet, weil es in England schon seit vielen Jahren eine zunächst staatlich, später privat finanzierte Kampagne gegen die Einsamkeit Älterer[3] gibt. Dort werden Daten, Fakten und Ideen und Initiativen zum Kampf gegen die Vereinsamung gesammelt, vernetzt und veröffentlicht. Zudem haben dort Wissenschaftler_innen in den letzten 25 Jahren mit zahlreichen Studien die fatalen Zusammenhänge zwischen Einsamkeit und Erkrankungsrisiken belegt.

Von all dem gab es in Deutschland wenig, als die Gründer des Silbernetzes 2014 begannen, die Idee der Silverline auf – zunächst – Berliner Verhältnisse anzupassen. Über vier Jahre dauerte es nach dem Besuch in England bis zur Freischaltung des Silbertelefons, der Hotline des Silbernetzes. Das konnte zunächst nur für Berlin und nicht als 24/7 Service realisiert werden. Anders als in Großbritannien konnte man hier nicht auf ein existierendes soziales Callcenter zugreifen, wo Anrufe von Beginn an rund um die Uhr und dem rasch wachsenden Bedarf entsprechend angenommen werden konnten. Zum Start des Silbertelefons am 22.9.2018 gab es 5 Telefonist_innen, die sich die Schichten von 8-18 Uhr rund um die Woche teilten. In den nächsten 18 Monaten konnte das Personal auf 15 Mitarbeiter_innen vergrößert und die Rufzeit auf 8-22 Uhr erweitert werden. Dennoch gingen von Anfang an viele Gespräche verloren, weil in Spitzenzeiten immer zu wenig Leitungen verfügbar waren.

Corona

Erst mit Beginn der Corona-Krise beschleunigte die spontane Hilfsbereitschaft einer Initiative von Softwareentwicklern und zweier Unternehmen den seit langem geplanten Übergang zur Erreichbarkeit aus ganz Deutschland. Gut 40 Freiwillige aus dem Kreis der Silbernetz-Freund_innen und einige weitere aus dem Altenhilfebereich unterstützen seitdem im Homeoffice die Arbeit der fest Angestellten, von denen ebenfalls die meisten nun im Homeoffice arbeiten. Die Nachfrage belegt den Bedarf: Seit dem 15.3.2020 wählten über 3500 verschiedene Menschen rund 17300mal die 0800 4 70 80 90 und führten in mehr als 2100 Stunden Gespräche von bis zu 130 Minuten Dauer.

Diese Gespräche kreisen zu einem großen Teil um die durch die Kontaktbeschränkungen ausgelöste Isolation und die damit verbundenen Probleme von Depression bis hin zu Suizidgedanken, zu Versorgungsfragen und dem ganz einfachen Bedürfnis, eine menschliche Stimme zu hören, die Anteilnahme bekundet.

Gut ein Drittel der Anrufenden sind männlich. Mit dem Lockdown mehrten sich auch die Anrufe Jüngerer, die nicht zur Zielgruppe des Silbernetzes gehören. Mit der wachsenden Zahl der Anrufenden wuchs auch die Nachfrage nach Silbernetz-Freund_innen. Waren vor Corona rund 35 von ihnen im regelmäßigen Telefongespräch mit »ihrem« älteren Menschen verbunden, wurde kürzlich die 100. Silbernetz-Freundschaft geknüpft. Die notwendige Ausbildung der Ehrenamtlichen geschieht nun in einem zweitägigen Online-Seminar.

Die Mehrzahl der Mitarbeitenden bei Silbernetz ist Risikogruppen zuzurechnen. Innerhalb von zwei Wochen nach Inkrafttreten der Kontaktbeschränkungen wurden die Voraussetzungen und Strukturen für die Arbeit im Homeoffice organisiert. Das Beharren auf der Systemrelevanz des Angebotes in dieser Übergangszeit stand im Widerspruch zum sofortigen pauschalen Ausschluss von Risikogruppenpersonen aus dem öffentlichen Raum und sicherte das gerade dann so wichtige Angebot für ältere isolierte oder vereinsamte Menschen. »Von wegen Risikogruppe« titelte die Körberstiftung ihre Veranstaltung am 10.Juni 2020 anlässlich der Verleihung ihres Zugabepreises für Gründer_innen 60+. Provokativ verwies man damit auf das gesellschaftliche Verlustpotenzial, wenn ältere Menschen pauschal aus der Teilhabe am öffentlichen Leben ausgeschlossen werden.

Die europäische Dimension

Auch in einigen anderen europäischen Ländern kopierte man Teile der Silverline Helpline. In Holland ist das die Zilverlijns als Hotline gegen Einsamkeit, in Rumänien wurde der Teil der Silverline-Friends regional zu realisieren versucht.

Mit dem Bericht der Europäischen Kommission findet die Arbeit von Silbernetz europäische Bestätigung. Frau Šuica, Vicepräsidentin der Europäischen Kommission, hat ihr Interesse bekundet, den Silbernetz-Kongress am 12. und 13. November 2020 in Berlin zu besuchen. Corona hat dazu geführt, dass das Gesprächsangebot von Silbernetz aus allen deutschen Bundesländern genutzt werden kann und Silbernetz-Freund_innen aus Berlin ihre alten Menschen in vielen Orten Deutschlands anrufen. Der Kongress hat zwei Ziele. Einerseits sollen dort die Voraussetzungen für den Aufbau der notwendigen Basisstrukturen zur bundesweiten Organisation des Silbernetz in anderen Bundesländern beraten werden. Andererseits wird es dort Raum geben für Beiträge und Diskussionen zum Thema Einsamkeit Älterer in Deutschland und die europäische Dimension des Themas.

Man darf gespannt sein auf den Beitrag von Frau Šuica.

Endnoten

[1] Pressemitteilung(17. Juni 2020Brüssel): Europäische Kommission verabschiedete Bericht über die Auswirkungen des demografischen Wandels in Europa: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/IP_20_1056

[2] Silbernetz: Zahlen und Daten

[3] Campaign to End Loneliness


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Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.

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Autorin

Elke Schilling ist 75 Jahre alt, Diplom-Mathematikerin, Staatssekretärin a.D., Organisationsentwicklerin und Mediatorin. Von 2011-2018 war sie Vorsitzende der SeniorInnenvertretung von Berlin Mitte. Nach dem Besuch in London suchte und fand sie Verbündete, mit denen sie gemeinsam das Silbernetz aufbaute.

Kontakt: E.Schilling@Silbernetz.de


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