Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 3 vom 6.4.2023

Europa und seine Regionen

Karl-Heinz Lambertz

Inhalt

Europäische Vielfalt und Vielseitigkeit
Mittlerrolle des Ausschusses der Regionen (AdR)
Zukunft der Demokratie in Europa
Autor
Redaktion

Europäische Vielfalt und Vielseitigkeit

Europa ist zwar der zweitkleinste Kontinent auf unserer Erde, aber weist die mit Abstand größte Dichte an Staatsgrenzen auf. Noch eindrucksvoller wird das Spektrum der europäischen Vielfalt und Vielseitigkeit, wenn wir uns auf die Ebene der Regionen begeben. Dort stoßen wir auf Gebietskörperschaften, deren historischer Ursprung oftmals weit vor der Entstehung der Nationalstaaten liegt, denen sie angehören. Wer die Seele Europas entdecken will, muss sich in die rund 240 Regionen und 90.000 Kommunen begeben, die es auf der substaatlichen Ebene in der EU gibt. Und wer erfolgreiche Europapolitik betreiben möchte, darf nie vergessen oder übersehen, dass die europäische, nationale und regionale Ebenen voneinander abhängen und in einer komplexen Wechselbeziehung miteinander verbunden sind.

Einerseits lassen sich die großen Herausforderungen zu Beginn des 3. Jahrzehntes des 21. Jahrhunderts nur bewältigen, wenn es zu weltweiten oder zumindest europäischen Lösungsansätzen kommt. Das gilt für die Friedensicherung ebenso wie für den Klimawandel und Artenschutz, die Globalisierung, die Digitalisierung, den demographischen Wandel sowie die soziale Gerechtigkeit. Andererseits können diese Lösungsansätze nur greifen, wenn sie vor Ort unter Berücksichtigung der dortigen Verhältnisse bürgernah und maßgeschneidert umgesetzt werden. Europa findet nicht nur in Brüssel, Straßburg oder Luxemburg statt, sondern vor allem und zuallererst da, wo die Menschen in ihren Dörfern, Städten und Regionen leben. Dort und nirgendwo anders entscheidet sich letztendlich, ob die Menschen Europa in ihren Köpfen und Herzen als eine Chance zur Verbesserung ihrer Lebensbedingungen oder aber als eine Bedrohung ihrer Entfaltungsmöglichkeiten erleben. Wenn die Wechselbeziehung zwischen der europäischen und der regionalen Ebene als gelungenes Mehrebenenmodell erfolgreich funktionieren soll, dann muss bereits bei der Konzeption europäischer Regelungen mit der Umsetzungsperspektive vor Ort Rechnung getragen werden und dann muss ebenfalls gewährleistet sein, dass die Anliegen der Bevölkerung in den Gebietskörperschaften von den europäischen Entscheidungsträgern wahrgenommen und berücksichtigt werden.

Mittlerrolle des Ausschusses der Regionen (AdR)

Dies ist angesichts der Komplexität der Entscheidungsfindungsprozesse ein Bermudadreieck zwischen Kommission, Ministerrat und EU-Parlament keineswegs selbstverständlich. Der AdR nimmt dabei seit nun fast 30 Jahren eine wichtige Mittlerrolle wahr. In seinen Stellungnahmen und Resolutionen bringt er den Standpunkt und die Interessen der Gebietskörperschaften in das europäische Entscheidungsverfahren ein. Außerdem wacht er darüber, dass das Subsidiaritätsprinzip auch in seiner lokalen und regionalen Dimension Anwendung findet. Dabei ist es nicht immer evident, die durchaus unterschiedlichen Interessen und Standpunkte auf einen Nenner zu bringen. Das gelingt meistens auch deshalb, weil der AdR dem Zusammenhalt und der Komplementarität zwischen Regionen mit unterschiedlichen Strukturmerkmalen eine große Bedeutung beimisst. Dies gilt übrigens auch und sogar in ganz besonderem Maße für die Verflechtung zwischen städtischen und ländlichen Räumen. Dem Trend zur Metropolisierung muss durch eine intelligente Vernetzung und Aufgabenteilung entgegengewirkt werden, damit es zu einer ausgewogenen und gleichgewichtigen Regionalentwicklung kommt.

Zukunft der Demokratie in Europa

Neben den wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Herausforderungen steht in Europa auch die Zukunft der Demokratie auf dem Spiel. Das europäische Demokratiemodell sieht sich Angriffen von Innen und von Außen ausgesetzt und erweist sich in vielfältiger Hinsicht als reformbedürftig. Letzteres gilt für alle Entscheidungsebenen. Mit diesen Fragen hat sich in den vergangenen Jahren die Konferenz über die Zukunft Europas auseinandergesetzt und nach anfänglichen Startschwierigkeiten durchaus interessante Lösungsansätze erarbeitet, die es nun konsequent umzusetzen gilt.

Bei dieser Konferenz waren übrigens Methode und Inhalt gleichermaßen von Interesse. Neben Vertretern aus allen politischen Ebenen und aus der organisierten Zivilgesellschaft haben auch per Los bestimmte Bürgerinnen und Bürger an den Arbeiten der Konferenz teilgenommen und wichtige Beiträge geliefert. Auf diese Weise ist ein Verfahren auf europäischer Ebene zum Zuge gekommen, das in den Staaten und Gebietskörperschaften der EU bereits vielerorts erprobt wurde und sich als eine interessante Ergänzung und Bereicherung der parlamentarischen Demokratie erwiesen hat. Im weiteren Ausbau der deliberativen Demokratie steckt gerade auf lokaler und regionaler Ebene ein Potential, das in enger Zusammenarbeit mit den Vertretern aus Politik und organisierter Zivilgesellschaft systematisch genutzt werden sollte.


Beitrag im Newsletter Nr. 3 vom 6.4.2023
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Autor

Karl-Heinz Lambertz ist Mitglied des Parlaments der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens und Präsident der AGEG sowie ehemaliger Präsident des Ausschusses der Regionen (AdR), Ministerpräsident und Parlamentspräsident der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens.

Kontakt: karl-heinz.lambertz@pdg.be

Web: www.pdg.be


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