Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 2 vom 5.3.2020

Städte und Europa

Christian Doleschal, MdEP

Inhalt

Europäische Solidarität stärken
Europa sichtbar machen
Anerkennung, wo Anerkennung gebührt
Autor
Redaktion

Europas rund 20.000 Städtepartnerschaften sind zentraler Ausdruck europäischer Solidarität und Völkerverbindung. Deutschland allein zählt stolze 6.000 Partnerstädte. Doch welche Bedeutung kommt diesen Partnerschaften zu, wie können sie optimal genutzt werden und in wieweit ist das Konzept Städtepartnerschaft verbesserungsfähig?

Europäische Solidarität stärken

Städtepartnerschaften sind entscheidend für das europäische Gemeinschaftsgefühl. Sie führen zu einem besseren Verständnis von kulturellen Unterschieden und auch Gemeinsamkeiten: Auf diese Weise werden Schritt für Schritt historische Vorurteile abgebaut und der Horizont erweitert. Besonders positiv bewertet werden in diesem Zusammenhang die subventionierten Besucherfahrten in die Partnerstadt: Vereine, Schule, Berufsgruppen oder Einzelpersonen brechen mit dem Ziel auf, eine neue Sprache zu erlernen, Praktika zu absolvieren oder an einem kulturellen Ereignis teilzuhaben. Die Erfahrungen die sie dabei sammeln, die Bekanntschaften die sie machen und die Emotionalität der zwischenmenschlichen Begegnung, kann durch die Lektüre keines Reiseführers oder Besuchs einer Informationsveranstaltung ersetzt werden.

Europa sichtbar machen

Die Städtepartnerschaften machen Europa sichtbarer. Es ist schon geradezu ein Gemeinplatz zu sagen, die EU hätte ein Kommunikationsproblem. Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union bilden gemeinsam die Legislative der EU, doch für viele Unionsbürger ist ihre Tätigkeit nicht greifbar. Der Sitz der EU-Gesetzgebung liegt, mit Ausnahme von Belgien, nicht im Heimatstaat der Unionsbürger und scheint auch in Folge dessen abgehoben vom Alltag der Unionsbürger. Viel zu spät haben die europäischen Institutionen und ihre Amtsträger erkannt, dass ein solcher Gesetzgeber, der noch dazu keine oder eine unzureichende Öffentlichkeitsarbeit leistet, als Schattenregierung mit mangelnder demokratischer Legitimation wahrgenommen wird. Auch im Ausschuss für regionale Entwicklung, in dem ich Vollmitglied bin, stellt sich dieses Problem. Zwar fördert die EU eine Vielzahl von Projekten in den Bereichen Aus-und Weiterbildung, Landwirtschaft, KMU-Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit. Trotzdem sind sich viele Menschen vor Ort der positiven Effekte der EU-Strukturpolitik nicht bewusst. Eine kleine Plakette an der Außenwand eines sanierten historischen Bauwerks oder ein Hinweis auf der Internetseite einer Schule, der auf die Förderung eines Ausbildungsweges für benachteiligte Jugendliche aufmerksam macht, ist oftmals nicht genug, um tatsächliches Bewusstsein für den Mehrwert der EU zu schaffen. Hier haben die Städtepartnerschaften die einzigartige Möglichkeit, korrigierend einzugreifen. Für Lehrende, die Schulklassen auf ihrer Reise in die Partnerstadt begleiten, bietet sich hier die Gelegenheit, ein Gefühl für die weitläufigen Auswirkungen, die die EU auf das Leben der Menschen hat, zu vermitteln. Auch im Hinblick auf ihre berufliche Zukunft können vor allem Schüler, Studenten und junge Berufstätige von der Reise in eine Partnerstadt profitieren: Der Umgang mit Kunden aus unterschiedlichen Kulturkreisen, Kundengespräche in englischer Sprache und ein Mindestmaß an beruflicher Mobilität werden am modernen Arbeitsplatz häufig vorausgesetzt. Ein Gefühl für kulturelle Sensibilitäten und weniger Scheu beim Einsatz von Fremdsprachen können durch den regen Kontakt mit Partnerstädten erreicht werden. Trotz alledem sind nur 23% der Teilnehmer an interkulturellen Austauschen unter 30 Jahre alt. Hier gibt es auf jeden Fall Potential, um vor allem in Schulen und Vereinen vermehrt auf die Möglichkeit die Partnerstadt zu besuchen, aufmerksam zu machen, damit ein breiteres Spektrum an Personen profitieren kann. Der Austausch mit Partnerstädten sollte zudem nicht nur im Rahmen des Sprachunterrichts ins Auge gefasst werden, sondern auch als Ausbau des Geschichts- oder Geographieunterrichts in Erwägung gezogen werden. Denn Partnerstädte können einen wichtigen Beitrag zum Europäischen Geschichtsbewusstsein leisten, und helfen Gemeinsamkeiten in der Vergangenheit der Partnerstädte zu entdecken. So hat beispielsweise die Volkshochschule Regensburg gemeinsam mit dem Arts Development Team ihrer Partnerstadt Aberdeen im Vereinigten Königreich ein Buch veröffentlicht, in dem Zeitzeugen beider Städte von ihren Nachkriegserlebnissen berichten.

Anerkennung, wo Anerkennung gebührt

Wo es bei der jüngeren Bevölkerungsschicht am Bewusstsein für die bestehenden Möglichkeiten mangelt, zeichnet sich auf Seite der Organisatoren ein anderes Problem ab. Studien haben gezeigt, dass Städtepartnerschaften, wie alle diplomatischen und zwischenmenschlichen Beziehungen, der regelmäßigen Pflege bedürfen. Die damit verbundene kontinuierliche Kommunikation ist ein mitunter zeitaufwendiges Unterfangen. Die oftmals bereits voll im Berufsleben stehenden oder bereits pensionierten Organisatoren werden häufig ehrenamtlich tätig und erhalten wenig Anerkennung für ihre Bemühungen. Wohingegen ehrenamtliches Engagement ein Stützpfeiler der Städtepartnerschaften ist und nicht aufgegeben werden sollte, wäre es in empfehlenswert, diese Leistungen angemessen zu würdigen. In diesem Sinne sollten vermehrt Preise, Auszeichnungen und Ehrungen, an Personen vergeben werden, die über die Jahre hinweg für den Erhalt der Partnerschaft gesorgt haben. Oft sind es einzelne Personen, die über lange Zeitraume hinweg mit einem außergewöhnlich hohen Engagement und mit Hingabe den wesentlichen Beitrag zum Funktionieren der Partnerschaft leisten. Ihr wertvoller Beitrag zum europäischen Gemeinschaftsgedanken sollte nicht übersehen werden, sondern gewürdigt werden.


Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 2 vom 5.3.2020
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Autor

Christian Doleschal, MdEP ist heimatverliebter und begeisterter Europäer. Er ist 31 Jahre alt und lebt gemeinsam mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter in Brand in der nördlichen Oberpfalz. Vor seinem Einzug in das Europäische Parlament war er als Rechtsanwalt für ein Bauunternehmen tätig. Bereits seit seiner Kindheit engagiert sich Christian Doleschal politisch und ehrenamtlich, so auch in der freiwilligen Feuerwehr in Brand.

Kontakt: christian.doleschal@europarl.europa.eu


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