Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 12 vom 9.12.2021

Konferenz zur Zukunft Europas

Interview mit Jörg Wojahn, Vertreter der Europäischen Kommission in Deutschland

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Interview
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BBE Europa-Nachrichten: Die von der EU ins Leben gerufene Konferenz zur Zukunft Europas ist ein umfassender Prozess mit vielen Bausteinen, die dazu dienen sollen, Bürger*innen aus allen Teilen der EU in die Diskussion zur Zukunft Europas einzubeziehen. Warum ein neues Format?

Jörg Wojahn:

Wer Veränderung möchte, muss neue Dinge wagen - das gilt auch für die Europäische Union und deren Antwort darauf ist – unter anderem - die Konferenz zur Zukunft Europas. Gerade die vergangenen zwei Jahre haben unser Leben auf den Kopf gestellt. Bislang selbstverständliche Prozesse wurden in Frage gestellt. Das macht nachdenklich. Angefangen bei der gestiegenen Wahlbeteiligung in der letzten EU Wahl 2019 bis zu den Jugendlichen, die freitags in ganz Europas lautstark Veränderung fordern: Wir sehen, dass die Menschen sich aktiv an der Gestaltung der Zukunft beteiligen wollen. Die Konferenz zur Zukunft Europas bietet hervorragende Möglichkeiten dazu. Trotzdem bleibt die EU natürlich eine repräsentative Demokratie, mit den von allen Europäerinnen und Europäern direkt gewählten Abgeordneten im Europäischen Parlament.

BBE Europa-Nachrichten: Welches Zeichen möchte die EU mit der Konferenz zur Zukunft Europas setzen?

Jörg Wojahn:

Ein so umfassendes Projekt mit einer solchen Bandbreite an Beteiligungsmöglichkeiten für alle EU Bürgerinnen und Bürgern ist einzigartig. Es geht noch einmal über das hinaus, was ja schon mit der Europäischen Bürgerinitiative möglich ist. Dazu gehören nicht nur die Onlineplattform der Konferenz, sondern auch tausende Veranstaltungen, die in ganz Europa in diesem Rahmen durchgeführt werden - von europäischen Bürgerforen bis zu den diversen Veranstaltungen der Zivilgesellschaft. Ganz wichtig ist auch, dass die Konferenz gleichermaßen vom Europäischen Rat, dem Parlament und der Kommission getragen wird – die Anliegen und Vorschläge der Menschen erreichen also die wichtigsten Organe der EU.

BBE Europa-Nachrichten: Was kann die Konferenz zur Zukunft Europas bewirken und was stünde auf Ihrer Wunschliste ganz oben?

Jörg Wojahn:

Die Konferenz wird ganz klar neue Ideen und Vorschläge und Sichtweisen bringen. Es ist kein Geheimnis, dass man als EU-Beamter manchmal dazu tendiert in einer EU-Blase zu schweben. Die Konferenz bricht diese Blase auf, und die oft empfundene Distanz zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und den Institutionen in Brüssel, Straßburg und Luxemburg verkleinert sich. Auf meiner Wunschliste ganz oben steht natürlich eine hohe Beteiligung. Nicht nur, aber gerade auch von jungen Menschen und solchen, die bei der letzten EU-Wahl noch nicht dabei sein konnten. Und im kommenden Jahr ist das bei Weitem noch nicht zu Ende: Dann beginnt nämlich das Europäische Jahr der Jugend.

BBE Europa-Nachrichten: Was sind die größten Herausforderungen und wo liegen die Grenzen der Konferenz?

Jörg Wojahn:

Die größte Herausforderung liegt ohne Zweifel darin, diejenigen Menschen zu erreichen und zu einer Beteiligung zu ermutigen, die sonst mit der EU nicht viel am Hut haben. Es ist uns ein besonderes Anliegen, dass sich nicht nur politikinteressierte Menschen an der Konferenz beteiligen, immerhin betrifft Politik den Alltag jedes und jeder einzelnen. Und die EU ist dafür da, das Leben ihrer Bürgerinnen und Bürger so zu gestalten, dass sie zufrieden sind. Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, realistisch zu bleiben. Nicht jede eingebrachte Idee wird umsetzbar sein. Aber sie gibt uns die Richtung vor, wie wir Politik gestalten müssen.

BBE Europa-Nachrichten: Als eine digitale Plattform zur Konferenz zur Zukunft Europas gestartet wurde, kommunizierte die EU einen inklusiven Prozess, dass möglichst viele Menschen über die Plattform ihren Beitrag zur Gestaltung ihrer Zukunft leisten können. Wie inklusiv ist der Prozess aus Ihrer Sicht tatsächlich?

Jörg Wojahn:

Ich gehe davon aus, dass Sie darauf anspielen, dass man für die Beteiligung an der Onlineplattform eine Internetverbindung braucht. Wir haben uns bemüht, die Konferenz so inklusiv wie möglich zu gestalten und sind davon ausgegangen, dass eine online Beteiligung fast flächendeckend in der EU möglich ist. Aber darüber hinaus gibt es ja auch viele analoge Veranstaltungen, bei denen man sich auch ohne Internet beteiligen kann. Die wären in Zeiten ohne Pandemie sicherlich noch zahlreicher gewesen. Besonders hervorzuheben ist zudem, dass man auf der Onlineplattform Beiträge in allen EU Sprachen einbringen und nachlesen kann, was die sprachliche Diversität und Inklusion fördert – man muss keine Fremdsprache sprechen, um mitzureden.

BBE Europa-Nachrichten: Haben Sie den Eindruck, dass die Resonanz bei den Bürger*innen den Erwartungen seitens der EU entspricht?

Jörg Wojahn:

Wir haben mit Begeisterung wahrgenommen, dass alle EU-Mitgliedsstaaten sich sowohl auf der Onlineplattform als auch bei den europäischen Bürgerforen beteiligen und darüber hinaus eigenständig kreative und konstruktive Veranstaltungen lokal organisieren. Das ist außerordentlich wichtig, wird von uns sehr wertgeschätzt und ist für den Erfolg der Konferenz unerlässlich. Zugleich sind wir der Meinung, dass man eigentlich gar nicht zu viel Beteiligung haben kann und wünschen uns, dass noch mehr Bürgerinnen und Bürger sich in den letzten Monaten der Laufzeit der Konferenz einbringen werden.

BBE Europa-Nachrichten: In den Medien wurde als Hashtag für die Plattform bekannt: #DieZukunftGehörtDir. Bedeutet das, dass die Zukunft den Bürger*innen gehört, die Onlinezugang haben und digitale Tools beherrschen? Ist eine erfolgreiche Bürger*innenbeteiligung auf europäischer Ebene ohne Digitalisierung vorstellbar?

Jörg Wojahn:

Ganz klar wird die Zukunft für alle Menschen gestaltet, nicht nur für diejenigen, die Onlinezugang haben. Zeitgleich gehört es auch zu den Aufgaben der EU, Digitalisierung und digitale Kompetenzen und Teilhabe voranzutreiben.
Gerade in einer Pandemie ermöglicht Technologie eine Vernetzung, die analog schlichtweg nicht vorstellbar wäre. Das heißt aber nicht, dass digitales Zusammenkommen persönliche Treffen ersetzen kann oder soll. Im Gegenteil lebt Demokratie und lebt die EU vom persönlichen Austausch. Digitalisierung leistet aber gerade aktuell einen großen Beitrag dazu, überhaupt Austausch zu ermöglichen.

BBE Europa-Nachrichten: Wenn Sie an die möglichen Ergebnisse der Konferenz denken: Was sind die Handlungsfelder, die aus Ihrer Sicht am wichtigsten sind? Welche Rolle spielt dabei die Zivilgesellschaft?

Jörg Wojahn:

Die Bürgerinnen und Bürger stehen im Mittelpunkt unsers Handelns, und ihre Beiträge werden bestimmen, womit wir uns in den kommenden Monaten und Jahren noch intensiver beschäftigen werden. Wenn man sich momentan die einzelnen Themenfelder auf der Onlineplattform anschaut, sieht man, dass die Themen Klimaschutz, Rolle der EU in der Welt, soziale Gerechtigkeit und Demokratie die meisten Beiträge, Kommentare und Unterstützung bekamen. Diese gehören daher auch für mich zu den wichtigsten Handlungsfeldern. Und genau hier brauchen wir die Zivilgesellschaft, insbesondere die Organisationen, die Politik mitgestalten wollen - wie das Bundesnetzwerk für Bürgerschaftliches Engagement. Auch nach der Konferenz wollen wir deren Stimmen aktiv in unsere Kommunikation und Politik einbeziehen. Und die lokalen Bedingungen scheinen dafür günstig: die neue Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag versprochen, die partizipative Energie der Zivilgesellschaft und Bürgerinnen und Bürger voll zu unterstützen.


Das Interview wurde von der Redaktion der BBE Europa-Nachrichten am 8.12.2021 schriftlich geführt.


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Angaben zur Person

Dr. Jörg Wojahn ist Vertreter der Europäischen Kommission in Deutschland.

Weitere Informationen: https://ec.europa.eu/germany/news/20190902-joerg-wojahn-berlin_de

Kontakt: jorg.wojahn@ec.europa.eu


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