»Wie sollte die EU sich verändern?« –
Konferenz zur Zukunft Europas
Interview mit Hildegard Bentele, MdEP
Inhalt
Interview
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Redaktion
BBE Europa-Nachrichten: Die von der EU ins Leben gerufene Konferenz zur Zukunft Europas ist ein umfassender Prozess mit vielen Bausteinen, die dazu dienen sollen, Bürger*innen aus allen Teilen der EU in die Diskussion zur Zukunft Europas einzubeziehen. Warum ein neues Format? Welches Zeichen möchte die EU mit diesem neuen Format setzen?
Hildegard Bentele, MdEP: Die Konferenz ist vor dem Hintergrund des Brexits, der – zumindest in Deutschland – als gescheitert betrachteten Spitzenkandidatur für das Kommissionspräsidentenamt und zunehmender Spannungen mit und innerhalb osteuropäischer Mitgliedstaaten bzgl. grundlegender europäische Werte und das Ziel der Integration entstanden. Ebenso aus dem Verständnis, dass die EU Reformen bedarf, damit die EU-Bürgerinnen- und Bürger wieder stärker von ihrem Mehrwert überzeugt sind. Für neue Ideen, ein neues Format: in Form einer »Zukunftskonferenz«, in das die in mehreren EU-Mitgliedstaaten erprobte direkte Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern – über Bürgerräte – integriert wurde. Die große Mehrheit der Konferenzteilnehmer sind aber weiterhin Abgeordnete, aus dem Europäischen Parlament und aus nationalen Parlamenten, das repräsentative Prinzip der Volksvertretung wird also nicht über Bord geworfen, sondern ergänzt. Schade ist, dass die Dauer wegen der Pandemie von zwei Jahren auf ein Jahr verkürzt wurde. Dieser Zeitraum ist deutlich zu kurz für ein Format aus 433 Personen, das sich in seiner Arbeitsweise erst einmal finden muss.
BBE Europa-Nachrichten: Was kann die Konferenz zur Zukunft Europas bewirken und was stünde auf Ihrer Wunschliste ganz oben?
Hildegard Bentele, MdEP: Sie kann bewirken, dass sich viel mehr Menschen als bisher mit der Frage der Zukunft der EU befassen und ihre Ideen auf der digitalen Plattform der Konferenz einem EU-weiten Publikum zugänglich machen und die am meisten unterstützten Vorschläge auch Eingang in die Konferenzdebatten finden. Wichtig vor allem ist, dass der Europäische Rat die Zukunftskonferenz ernst nimmt, denn für echte Reformen braucht es die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten. Auf meiner Wunschliste ganz oben stehen Veränderungen im Bereich Stärkung der Demokratie, d. h. echter Einfluss der Wählerinnen und Wähler auf die Spitze der EU-Kommission und die Möglichkeit für das Europäische Parlament EU-Recht zu verändern. Im Idealfall auch echte Eigenmittel für die EU und ein Initiativrecht für das Parlament.
BBE Europa-Nachrichten: Was sind die größten Herausforderungen und wo liegen die Grenzen der Konferenz?
Hildegard Bentele, MdEP: Unser Anspruch an die Konferenz zur Zukunft Europas muss sein, einen tiefgreifenden Reformprozess einzuleiten. Dabei sollten wir ausloten, welche Änderungen im aktuellen Vertragsrahmen ausgeschöpft werden können und gleichzeitig die Aufgaben definieren, die nur mit mehr Zeit und breiter politischer Unterstützung erreicht werden könnten bspw. über einen neuen Konvent.
BBE Europa-Nachrichten: Als eine digitale Plattform zur Konferenz zur Zukunft Europas gestartet wurde, kommunizierte die EU einen inklusiven Prozess, dass möglichst viele Menschen über die Plattform ihren Beitrag zur Gestaltung ihrer Zukunft leisten können. Wie inklusiv ist der Prozess aus Ihrer Sicht tatsächlich?
Hildegard Bentele, MdEP: Die Idee ist gut und innovativ. Wir müssen jedoch definitiv für mehr Beteiligung werben, bisher sind »nur« 22 000 Beiträge eingegangen, vornehmlich aus den EU-Gründerstaaten, hauptsächlich von Männern und hauptsächlich zu den Themen Demokratie und Klimaschutz. Insofern auch hier und jetzt: Bitte mitmachen, damit das, was Sie in der EU verändert haben wollen auch auf die Tagesordnung der Konferenz kommt!
BBE Europa-Nachrichten: Haben Sie den Eindruck, dass die Resonanz bei den Bürger*innen den Erwartungen seitens der EU entspricht?
Hildegard Bentele, MdEP: Ich bin da nicht blauäugig: Nicht jeder oder jede steht morgens auf und fragt sich, wie sollte die EU sich verändern? Die allermeisten Menschen haben andere Sorgen und Prioritäten, und das ist vollkommen in Ordnung. Gleichzeitig hört man immer wieder auch viel Kritik. Kritisieren ist einfach, die Konferenz bietet die Möglichkeit für alle, vom heimischen PC aus, konstruktive Vorschläge einzubringen. Die Konferenz muss vor allem noch bekannter werden.
BBE Europa-Nachrichten: In den Medien wurde als Hashtag für die Plattform bekannt: #DieZukunftGehörtDir. Bedeutet das, dass die Zukunft den Bürger*innen gehört, die Onlinezugang haben und digitale Tools beherrschen? Ist eine erfolgreiche Bürger*innenbeteiligung auf europäischer Ebene ohne Digitalisierung vorstellbar?
Hildegard Bentele, MdEP: Ich glaube, Demokratie ist ohne Onlinezugang schwer geworden. Die Printmedien verlieren an Bedeutung, im Netz finden sich sehr viele, natürlich auch offizielle Informationen, mit denen mündige Bürgerinnen und Bürger und Demokratinnen und Demokraten besser politische Entscheidungen treffen und sich auch beteiligen können. Auf der europäischen Ebene gibt es allerdings die Sprachbarriere, ohne Sprachkenntnisse kann man an den Diskursen in anderen Staaten leider nicht wirklich teilhaben.
BBE Europa-Nachrichten: Wenn Sie an das Thema Digitalisierung und Digitales Europa denken: Was sind die Handlungsfelder, die aus Ihrer Sicht am wichtigsten sind? Welche Rolle spielt dabei die Zivilgesellschaft?
Hildegard Bentele, MdEP: Unser Ziel muss es sein, Bürgerrechte im digitalen Zeitalter zu schützen und gleichzeitig die Chancen des digitalen Wandels bestmöglich zu nutzen. Dazu gehören u.a. die Schaffung einer Digital- und Datenunion mit einem modernen Wettbewerbsrecht auf Basis der sozialen Marktwirtschaft, hochklassiger digitaler Infrastruktur, europäischen Speicher- und Rechenkapazitäten, einem einheitlichen Datenschutzrecht und gemeinsamen digitalen Bildungsstandards.
Das Interview wurde von der Redaktion der BBE Europa-Nachrichten am 8.11.2021 schriftlich geführt.
Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 12 vom 9.12.2021
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.
Angaben zur Person
Hildegard Bentele, MdEP gehört für Berlin der EVP-Fraktion des Europäischen Parlaments an und ist Mitglied im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie, im Ausschuss für Entwicklung und im Ausschuss für Umwelt, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit.
Weitere Informationen: https://www.hildegard-bentele.eu
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