Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 10 vom 27.10.2022

Junges Engagement in Europa
Potenziale von EU-Jugendpolitik und EU-Jugendprogrammen

Malte Krumrey

Inhalt

Engagement junger Menschen und EU-Jugendpolitik – Rahmenbedingungen
Die EU-Jugendprogramme – Vielfältige Dimensionen der Engagement-Förderung
Engagement – Partizipation – aktive Bürgerschaft – Solidarität

Literatur
Endnoten
Autor
Redaktion

Das Engagement junger Menschen in einer global vernetzten Welt ist nicht durch physische Grenzen von Nationalstaaten beschränkt. Denn die Angebote der Jugendprogramme der Europäischen Union bieten Potenziale, das Engagement junger Menschen in einem grenzüberschreitenden, europäischen Kontext zu fördern. Diese Potenziale und ihre Rahmenbedingungen werden in diesem Artikel vorgestellt und erörtert.

Engagement junger Menschen und EU-Jugendpolitik – Rahmenbedingungen

Die 2018 beschlossene Jugendstrategie der Europäischen Union [1] bildet den Rahmen der jugendpolitischen Zusammenarbeit in der EU für die Jahre 2019 bis 2027. Die Förderung von Engagement und Beteiligung junger Menschen wird explizit als Schwerpunkt europäischer jugendpolitischer Zusammenarbeit in der EU-Jugendstrategie hervorgehoben. Damit ist sie ein Meilenstein in der Entwicklung der letzten Jahre: die Themenfelder Engagement und Beteiligung gewinnen im Kontext europäischer Jugendarbeit und Jugendpolitik zunehmend an Bedeutung. Die EU-Jugendstrategie dient außerdem als Orientierungsanker für Initiativen auf europäischer Ebene in den genannten Themenfeldern.

Komplementär hierzu bekräftigen die Europäischen Jugendziele [2] (Youth Goals), die als Anhang zur EU-Jugendstrategie verabschiedet wurden, den Stellenwert von Jugendbeteiligung und Engagement auch unter jungen Menschen selbst. Sie wurden in einem partizipativen Prozess von jungen Menschen aus ganz Europa im Dialog mit politisch Verantwortlichen erarbeitet. Darüber hinaus beschreiben sie länderübergreifende Herausforderungen und Handlungsfelder, die lokalen, regionalen und nationalen Projekten eine europäische Dimension geben können.

Da keine Rechtsetzungskompetenz der Europäischen Union im Politikfeld Jugend besteht, ist die Umsetzung der Ziele der EU-Jugendstrategie nicht rechtlich bindend für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Umso wichtiger erscheint es daher, dass auch die Zivilgesellschaft und ihre vielfältigen Akteurinnen und Akteure sowie Initiativen sich im Rahmen ihres Gestaltungsspielraums der Zielsetzungen der EU-Jugendstrategie weiterhin annehmen. Durch Reflektieren, Diskutieren und Fördern wird so dem Prozess der Weiterentwicklung von europäischer Jugendarbeit und Jugendpolitik Schwung verliehen. [3]

Junge Menschen sehen sich aktuell vielfältigen Herausforderungen und Krisen gegenüber. Klimawandel, Krieg in Europa, Coronaviruspandemie und wachsende soziale Ungleichheiten, um nur einige zu nennen, können potenziell verunsichern. Ein aktiver Beitrag zur Gestaltung von Gesellschaft in Form gemeinwohlorientierten Engagements bringt dagegen nicht nur positiven gesellschaftlichen Wandel hervor. Er stärkt junge Menschen auch auf individueller Ebene – wie als Ziel in der EU-Jugendstrategie verankert – als »Architekten ihres eigenen Lebens« und fördert so Selbstwirksamkeitserfahrungen.

Die EU-Jugendstrategie identifiziert drei Kernbereiche des Jugendsektors, die Potenziale der jugendpolitischen Entwicklung aufweisen. Jeder der drei Kernbereiche der EU-Jugendstrategie - Beteiligen, Begegnen, Befähigen - weist dabei explizit oder implizit Bezüge zur Förderung des Engagements junger Menschen auf. So wird unter dem Schlagwort »Beteiligen« die Relevanz des Engagements junger Menschen für ein demokratisches Miteinander bekräftigt:

Die Schaffung von Möglichkeiten für das Engagement junger Menschen nicht nur in ihrem täglichen Leben, sondern auch im demokratischen Leben ist von entscheidender Bedeutung für eine funktionierende Demokratie und die Gesellschaft im Ganzen. [4]

Im Kernbereich »Begegnen« werden die EU-Kommission und die EU-Mitgliedstaaten ersucht […]

[…] das solidarische Engagement junger Menschen durch Förderregelungen zu unterstützen und Komplementarität und die Synergien zwischen den EU-Finanzierungsinstrumenten und den nationalen, regionalen und lokalen Systemen zu suchen. [5]

Die Wichtigkeit der Erlangung von Kompetenzen, die zu einer Mitgestaltung von gesellschaftlichen Prozessen befähigen, wird in den Kernbereichen »Beteiligen« und »Befähigen« hervorgehoben. Letzterer unterstreicht dazu die entscheidende Rolle der Jugendarbeit und ihrer Rahmenbedingungen als »Katalysator für Befähigung«:

Junge Menschen zu befähigen, bedeutet, sie zu ermutigen, ihr Leben selbst zu gestalten. Hierfür bedarf es ausreichender Ressourcen und Instrumente sowie eines Umfelds, das bereit ist, jungen Menschen wirklich zuzuhören. [6]

Die EU-Jugendprogramme – Vielfältige Dimensionen der Engagement-Förderung

Die Jugendprogramme der Europäischen Union, Erasmus+ Jugend und Europäisches Solidaritätskorps (ESK), sind wesentliche Instrumente zur Umsetzung der EU-Jugendstrategie. Der starke Bezug zur Engagement-Förderung der Programme spiegelte sich in der Vergangenheit in der großen Bedeutung der Förderung von aktiver Bürgerschaft junger Menschen in den Jugendkapiteln der Erasmus +-Programmgenerationen sowie deren Vorläuferprogrammen und in den dazu passenden Förderformaten (Jugendinitiativen, Jugenddemokratieprojekte, Projekte des EU-Jugenddialogs) wider.

Hier lag der Fokus auf dem Kompetenzerwerb junger Menschen hinsichtlich des Erlernens von Demokratie- und Engagement-Kompetenzen sowie der Beteiligung und dem Dialog mit politischen Entscheidungsträger*innen (z. B. mittels des EU-Jugenddialogs). Zu den Engagement-Möglichkeiten für junge Menschen in den Förderformaten von Erasmus+ Jugend gehört seit 2021 das Förderformat Jugendpartizipationsprojekte, das neben der demokratischen Partizipation junger Menschen auch deren gesellschaftliche Beteiligung fördern möchte.

Die Einführung des Europäischen Solidaritätskorps als eigenes Förderprogramm brachte 2018 eine neue, auf die gesellschaftliche Wirkung der Projekte gerichtete Dimension des Engagement-Bezugs in die EU-Jugendprogramme ein.

Das ESK wurde 2016 unter dem Eindruck des Brexit-Referendums im Vereinigten Königreich angekündigt und soll den Zusammenhalt in der EU und den Gesellschaften der Mitgliedsländer stärken, Demokratie fördern und Möglichkeiten für das Engagement junger Menschen bieten. Projekte in den Förderformaten des ESK sollen dementsprechend direkt und sichtbar auf ihr gesellschaftliches Umfeld wirken und hier positiven allgemeinwohlorientierten Wandel herbeiführen. [7]

Das Programm fördert grenzüberschreitende Freiwilligenprojekte in Europa in Form von langfristigen individuellen Freiwilligendiensten und dem Kurzzeitformat »Freiwilligenteams«. Für Gruppen junger Menschen bietet das Europäische Solidaritätskorps im Rahmen des Förderformats »Solidaritätsprojekte« die Möglichkeit, Förderung für eigene Projekte in ihrem lokalen Umfeld umzusetzen und so direkt vor Ort zu wirken und auf gesellschaftliche Bedarfe zu reagieren.

Ein besonderer Schwerpunkt in der Umsetzung beider EU-Jugendprogramme liegt darauf, Zugänge zum Engagement potenziell allen jungen Menschen zu ermöglichen, das heißt diese Zugänge so inklusiv und niedrigschwellig wie möglich zu gestalten.

Im Kontext der EU-Jugendprogramme existiert seit 2005 das Alumninetzwerk EuroPeers, das ehemaligen Programmteilnehmenden die Möglichkeit bietet, sich für die Sichtbarmachung und Verbreitung der EU-Jugendprogramme auch nach ihrer Teilnahme weiter zu engagieren.

Als neues Angebot für junge Menschen fand im September 2022 erstmals der Engagement-Tag von JUGEND für Europa statt, der in seiner ersten Ausgabe Erfahrungen junger Engagierter und Wege ins Engagement in den Mittelpunkt stellte.

Neben den Engagement-Möglichkeiten für junge Menschen in den Förderformaten der EU-Jugendprogramme, werden über die Programme auch Trainings und Fortbildungsangebote für Fachkräfte der Jugendarbeit angeboten, welche die Themenfelder Engagement bzw. aktive Bürgerschaft oder Solidarität in ihre tägliche Praxis integrieren möchten. Zu nennen sind hier beispielhaft Onlinekurse zu den Themen Solidarität und Active European Citizenship oder die Vielzahl von Trainingsangeboten, die in Kooperation der Nationalen Agenturen zur Umsetzung der EU-Jugendprogramme entwickelt werden.

Engagement – Partizipation – aktive Bürgerschaft – Solidarität

Ob aktive Bürgerschaft, Engagement, Solidarität oder Partizipation (als horizontale Priorität beider EU-Jugendprogramme) – alle diese Begriffe und sie umgebenden Konzepte im Rahmen der EU-Jugendprogramme weisen Bezüge zum Themenschwerpunkt Engagement junger Menschen in Europa auf. Oft fallen trennscharfe Abgrenzungen hier nicht leicht, da die Konzepte und Definitionen doch teils ineinandergreifen und sich Überschneidungen zwischen den Begrifflichkeiten ergeben. [8] Dazu kommt die diverse europäische Engagement-Landschaft, in der die Begriffe national teils unterschiedlich kontextualisiert sind und sich den unterschiedlichen nationalen Gegebenheiten natürlicherweise anpassen.

So ergab eine europaweite Studie des ESK-Ressourcenzentrums zum Verständnis des Begriffs »Solidarität«, der im ESK definitorischen Charakter hat, dass eine allgemeine Definition dieses normativ aufgeladenen und mit unzähligen Konnotationen behafteten Begriffs auf europäischer Ebene extrem herausfordernd ist. [9] Die Studie zeigt aber auch, dass viele der Befragten den Begriff mit aktiver Bürgerschaft, Freiwilligentätigkeit, der Stärkung von Gemeinschaften, sozialer Gerechtigkeit und Partizipation verbinden.

An die Frage der Überschneidungen und Vielfalt der Engagement-Konzepte und verwandten Begrifflichkeiten in Europa schließt sich die Frage an, wo der Ort für Engagement ist bzw. was Engagement mit Europa verbindet. Im ESK fördern die Formate Freiwilligenprojekte und Solidaritätsprojekte solidarische Tätigkeiten, die im lokalen Umfeld wirken und in Freiwilligenprojekten durch die Teilnahme junger Europäer*innen interkulturellen Charakter haben.

Gleiches gilt für die Jugendpartizipationsprojekte des Programms Erasmus+ Jugend, die auf unterschiedlichen Ebenen mit oder ohne internationale Partner*innen stattfinden können. Diese beziehen sich zudem auf die oben skizzierten Aktionsfelder der EU-Jugendstrategie sowie auf die Europäischen Jugendziele. Findet Engagement also primär an einem konkreten lokalen Ort statt, so sind geförderte Projekte aber dennoch mit den Zielen der EU-Jugendprogramme und auch der EU-Jugendstrategie verknüpft und unterstützen so mittelbar auch europäische Zielsetzungen im Jugendbereich.

Zivilgesellschaftliches Engagement braucht Räume lokal und europäisch. Daher sind Trends zunehmender Shrinking Spaces, also der Einschränkung zivilgesellschaftlicher Gestaltungsräume durch staatliche Akteurinnen und Akteure, in Teilen Europas mit Sorge zu betrachten, ist doch die Relevanz unabhängiger zivilgesellschaftlicher Akteurinnen und Akteure für eine demokratische verfasste Gesellschaft und politische Ordnung unbestritten. Trends zunehmender Shrinking Spaces stehen im Widerspruch zu den Zielsetzungen der EU-Jugendstrategie und der EU-Jugendprogramme, Möglichkeiten und Räume des Engagements junger Menschen zu fördern und auszubauen.

Die EU-Jugendprogramme haben die Zielsetzung, das Engagement junger Menschen und deren Mitgestaltung von Europa zu fördern. Viele zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure sowie junge Menschen nehmen die Förderung durch die EU-Jugendprogramme wahr und unterstützen so mittelbar und unmittelbar auch die Ziele der EU-Jugendstrategie. Erasmus+ Jugend und das Europäische Solidaritätskorps wirken so auf mehreren Ebenen zur Umsetzung der drei Kernbereiche der EU-Jugendstrategie – Beteiligen, Begegnen, Befähigen - zum Beispiel durch die Förderung von Engagement-Möglichkeiten für junge Menschen, grenzüberschreitender Mobilität und der Qualifizierung und Kompetenzentwicklung von Fachkräften und jungen Engagierten.


Endnoten

[1] Vgl. Entschließung über die Jugendstrategie der Europäischen Union 2019-2027, 2018; Folgend EU-Jugendstrategie. https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=OJ:C:2018:456:FULL

[2] Europäische Jugendziele: https://youth-goals.eu/youthgoals; Insbesondere die Jugendziele 1 »Die EU mit der Jugend zusammenbringen«, 9 »Räume und Beteiligung für alle», 8 »Gutes Lernen«, 3 »Inklusive Gesellschaften« und 6 »Jugendliche im ländlichen Raum voranbringen« beziehen sich konkret auf Jugendbeteiligung und auch das Engagement junger Menschen.

[3] Die Ratsentschließung zur EU-Jugendstrategie benennt als Akteurinnen und Akteure zur Gestaltung der EU-Jugendstrategie: »Die … Akteure sind unter anderem die EU-Mitgliedstaaten, die betroffenen Organe der Europäischen Union und andere internationale Organisationen, wie beispielsweise der Europarat, die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften, Jugendräte, Jugendorganisationen, Organisationen, die mit jungen Menschen arbeiten, Jugendarbeiterinnen und -arbeiter, Jugendforscherinnen und -forscher sowie Akteure der Zivilgesellschaft, aber auch Strukturen des Programms Erasmus+ und des Europäischen Solidaritätskorps sowie ihre Folgeprogramme.« Vgl. EU-Jugendstrategie, S. 4.

[4] Vgl. EU-Jugendstrategie, S. 5.

[5] Vgl. EU-Jugendstrategie, S. 6.

[6] Vgl. EU-Jugendstrategie, S. 7.

[7] Im Programmhandbuch werden die Programmziele des ESK wie folgt beschrieben: »Das übergeordnete Ziel des Programms besteht darin, die Beteiligung junger Menschen und Organisationen […] an allgemein zugänglichen solidarischen Tätigkeiten von hoher Qualität zu fördern, um auf diese Weise zur Stärkung des Zusammenhalts, der Solidarität, der Demokratie, der europäischen Identität und des aktiven bürgerschaftlichen Engagements in der Union und darüber hinaus beizutragen, indem gesellschaftliche und humanitäre Herausforderungen vor Ort angegangen werden […] Mit dem Programm wird insbesondere das Ziel verfolgt, jungen Menschen, auch denjenigen mit geringeren Chancen, allgemein zugängliche Gelegenheiten zu bieten, sich in solidarische Tätigkeiten einzubringen, die positive gesellschaftliche Veränderungen in der Union und darüber hinaus bewirken, und die es ihnen zugleich ermöglichen, ihre Kompetenzen zu verbessern und formal validieren zu lassen. Gleichzeitig soll damit ihr fortwährendes bürgerliches Engagement gesteigert werden.« Vgl. Programmleitfaden zum Europäischen Solidaritätskorps 2022, S. 9.

[8] So wird etwa der Begriff Engage in der englischen Version der EU-Jugendstrategie als »Beteiligen« ins Deutsche übersetzt.

[9] Baclija Knoch, Snezana/Nicodemi, Susie: 4Thought for Solidarity, Vienna, 2021. 4Thought-for-Solidarity.pdf (talkingsolidarity.eu)

Literatur


Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 10 vom 27.10.2022
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.

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Autor

Malte Krumrey ist Fachreferent Europäische Jugendpolitik bei JUGEND für Europa. JUGEND für Europa ist die Nationale Agentur für die EU-Programme Erasmus+ Jugend und Europäisches Solidaritätskorps.

Kontakt: Krumrey@jfemail.de

Weitere Informationen: www.jugendfuereuropa.de


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