Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 10 vom 11.11.2021

Führen aus der Distanz im Homeoffice – Chancen, Risiken und Empfehlungen für NPOs

Ruth Simsa

Inhalt

Gute Führung als wichtiger Faktor
Zwischen Selbstbestimmtheit und Belastung
Kontakt zu Mitarbeiter_innen aufrechthalten und bewusst gestalten
Motivation – sorgen Sie für Leistungsmöglichkeit
Anforderungen, Regeln und Kontrolle mit dem Team klären
Psychological Safety
Virtuelle Meetings – Design und Moderation
Orientierung von Aufgaben und Zielen am Purpose der Organisation
Die Entwicklung der Organisation
Digitale betriebliche Gesundheitsförderung
Chance zum Experimentieren und die Notwendigkeit ausreichender Ressourcen
Literatur
Autorin
Redaktion

Arbeit im Homeoffice wird auch nach Covid-19 wichtig bleiben. Der Beitrag gibt einen kurzen Überblick über Chancen und Risiken von Homeoffice, insbesondere im Nonprofit-Bereich. Darauf folgen Empfehlungen für Führungskräfte, wie bei Homeoffice auf einzelne Mitarbeiter_innen eingegangen werden, die Zusammenarbeit von Teams gestaltet und die Organisation weiterentwickelt werden kann.

Gute Führung als wichtiger Faktor

Vor der Corona-Krise hatten viele Führungskraft die Sorge, bei Mitarbeiter_innen im Homeoffice die Kontrolle zu verlieren. Die Führung auf Distanz hat aber oft besser funktioniert als erwartet. Wir haben gelernt, im Team zu kommunizieren, auch wenn wir einander nur in Briefmarkengröße am Bildschirm sehen, unsere Fähigkeiten im Umgang mit Kommunikationstools sind exponentiell gestiegen. Manche Führungskräfte haben Ihre Mitarbeiter_innen aber auch sehr allein gelassen. Eine Erhebung im österreichischen Nonprofit-Bereich im Jahr 2020 zeigte deutlich, wie wichtig gute Führung und eine Präsenz der Führungskraft gerade auch in der räumlichen Distanz sind. Organisationen, in denen die Führung für Mitarbeiter_innen spürbar und ansprechbar ist, sind resilienter und vermutlich auf Dauer produktiver (Simsa u.a., 2021).

Zwischen Selbstbestimmtheit und Belastung

Homeoffice bietet viele Chancen. Arbeitswege fallen weg, dies spart Zeit und Verkehr. Mitarbeiter_innen schätzen die Selbstbestimmtheit und Flexibilität, viele wollen auch in Zukunft zumindest teilweise im Homeoffice arbeiten. Studien belegen positive Auswirkungen von Homeoffice auf die Produktivität, die Arbeitszufriedenheit und auf die Motivation der Beschäftigten (Bonin et al., 2020; Rupietta & Beckmann, 2018).

Arbeit im Homeoffice hat aber auch problematische Seiten. Studien zeigen die hohe Belastung, ein Tag im Homeoffice ist anstrengender als einer im Büro. Burnout ist damit ein großes, noch wenig beachtetes Thema. Das ist besonders im NPO-Bereich bedenklich. Hier sind Wertorientierung und Identifikation der Mitarbeiter_innen oft besonders hoch und damit auch die Gefahr des Ausbrennens (Simsa & Patak, 2016). Auch die Vermischung von Arbeits- und Privatzeit sind nicht für jede Person und in jeder Lebensphase passend, hier braucht es die Fähigkeit, sich trotz hoher Ansprüche auch von der Arbeit abzugrenzen (Flecker et al., 2020).

Die meisten Menschen arbeiten daheim mehr Stunden pro Tag als bei Arbeit im Büro. Hier sind Führungskräfte gefordert, genau hinzusehen und zu unterstützen. Führungskräfte haben eine Fürsorgepflicht, die gerade bei Homeoffice wichtig ist.

Gute Führung ist eine der Grundbedingungen, damit die Chancen des Homeoffice auch genutzt werden können. In einem Praxisbuch haben wir auf Basis von Forschungsergebnissen sowie von Gesprächen mit Mitarbeiter_innen und Führungskräften eine Reihe an Empfehlungen zusammengestellt. Ausführlich sind diese im Buch »Leadership & Homeoffice. So gelingt Führung auf Distanz« beschrieben, das 2021 in Wien erschienen ist (Simsa & Patak, 2021).

Kontakt zu Mitarbeiter_innen aufrechthalten und bewusst gestalten

Im Homeoffice braucht es kürzeren, dafür aber eher häufigeren Kontakt. Wichtig sind regelmäßige persönliche Rückmeldungen und Reaktionen. Routinen können dabei helfen. Für manche ist das etwa ein gemeinsamer Start in den Tag, mit einem kurzen Tele-Meeting, zur Einstimmung, als Check-up und zur Formulierung von Zielen. Achtsamkeit braucht es besonders, um die zurückgezogenen, introvertierten Personen aus dem Team nicht zu verlieren. Auch das Informelle kann von der Führungskraft ein Stück weit mitgestaltet werden, sodass alle ausreichend einbezogen werden. NPOs haben hier aufgrund ihrer höheren Beziehungsorientierung tendenziell Vorteile.

Motivation – sorgen Sie für Leistungsmöglichkeit

Motivation setzt sich zusammen aus Leistungsbereitschaft (dem Wollen), Leistungsfähigkeit (dem Können) und Leistungsmöglichkeit (den Voraussetzungen). Führung kann zum Teil auf die Leistungsfähigkeit und vor allem auf die Möglichkeit Einfluss nehmen. Bei Arbeit im Homeoffice ist die Sicherung der Leistungsmöglichkeit besonders wichtig, also die Gewährleistung einer adäquaten technischen Ausstattung und der verfügbaren Informationen. Auch Unterstützung bei der Entwicklung von Fähigkeiten etwa im Umgang mit unterschiedlichen technischen Tools ist wichtig, um Technostress zu vermindern, also die Überforderung durch komplexe und sich rasch verändernde Kommunikationstechnologien. Die Sicherstellung eines ergonomischen Arbeitsplatzes sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Während der Covid-Krise hat sich gezeigt, dass viele NPOs hier sehr gut aufgestellt sind, in manchen war die fehlende Ausstattung mit Ressourcen allerdings ein großes Problem.

Anforderungen, Regeln und Kontrolle mit dem Team klären

Regeln müssen bei Homeoffice expliziter und klarer vereinbart werden, etwa in Bezug auf Zuständigkeiten, Informationsweitergabe, den Umgang mit Zeit. Im gemeinsamen Arbeitsalltag entsteht hier vieles nebenbei. In der Distanz muss das deutlicher ausgesprochen werden. Erfolgreiche Führungskräfte reflektieren mit dem Team die Erwartungen. Ebenfalls thematisiert muss werden, welche und wieviel Kontrolle angemessen ist. Werden technische Tools dafür eingesetzt, wenn ja, mit welchen Kriterien und wie können Ergebnisse bewertet werden? Durch die räumliche Trennung ist es notwendig, die Leistungsbewertung verstärkt ergebnisorientiert vorzunehmen. Dies kann für Mitarbeiter_innen Nachteile mit sich bringen, da sie zwei Logiken gleichzeitig folgen müssen: Sie werden wie Selbständige ergebnisorientiert bewertet, müssen aber gleichzeitig auch zeitorientiert arbeiten wie Arbeitnehmer_innen. Das Bemühen und das Engagement der Mitarbeiter_innen sind weniger sichtbar als der inhaltliche Output. Kontrollen der Arbeitszeit werden bereits bei etwa der Hälfte der im Homeoffice Arbeitenden elektronisch vorgenommen (Flecker et al., 2020). Im NPO-Bereich ist dies oft ein Tabu, Transparenz und klare Vereinbarungen sind hier besonders wichtig.

Psychological Safety

Im Homeoffice besteht die Gefahr der Vereinsamung. Die mangelnde soziale Absicherung durch direkten Kontakt muss ein Stück weit kompensiert werden. Feedback etwa als wichtiges Führungsinstrument, das Orientierung geben kann, sollte bei Homeoffice noch bewusster gestaltet werden, da informelle und spontane Rückmeldungen seltener möglich sind. Wesentlich ist auch die Schaffung einer Kultur der Psychological Safety, in der Unsicherheit, Fehler oder Zweifel nicht bestraft werden, sondern offen kommuniziert werden kann.

Virtuelle Meetings – Design und Moderation

Virtuelle Meetings sind besonders anstrengend. Die sogenannte Zoom-Fatigue kann zumindest eingeschränkt werden durch gute Moderation und Meeting-Hygiene, also Pünktlichkeit, eine klare Tagesordnung, kurze und fokussierte Wortmeldungen. Dazu muss in der Regel aktiver und direktiver moderiert werden. Besprechungen sollten deutlich kürzer gestaltet werden, als bei Arbeit im gemeinsamen Büro. Kein virtuelles Meeting darf länger als 90 Minuten dauern, ideal ist maximal eine Stunde. Gerade basisorientierte NPOs tendieren zu besonders langen Meetings, hier gilt es, umzudenken. Es empfiehlt sich, mit unterschiedlichen Möglichkeiten der Aktivierung der Teilnehmenden zu experimentieren, etwa Mini-Status-Quo zu Beginn, kurze elektronische Abfragen und Stimmungsbilder, Gruppeneinheiten zwischendurch. Auch Digital Energizer, kleine Auflockerungen zur Förderung der Konzentration sind durchaus auch in ernsten Meetings beliebt und hilfreich.

Orientierung von Aufgaben und Zielen am Purpose der Organisation

Purpose thematisiert das »Wofür«, den Sinn und Zweck des Tuns einer Organisation, er stellt den gesellschaftlichen Nutzen, die Wirkung, in den Mittelpunkt. Dies ist im NPO-Bereich meist vergleichsweise klar, hier wird der Purpose meist tatsächlich gelebt und von den Mitarbeiter_innen mitgetragen. Dennoch sollte der Purpose in Zusammenhang mit Homeoffice verstärkt ins Bewusstsein gerufen werden: Erstens werden Identifikation und Bindung hierweniger über Beziehungen und Begegnung geschaffen, sondern verstärkt über das Ziel und den Wert der Tätigkeit. Zweitens schafft ein klarer Purpose Orientierung bei alltäglichen Entscheidungen und Arbeitsschritten. Drittens kann die Isolation im Homeoffice die eigene Stabilität gefährden. Menschen, die einer Bestimmung folgen, die also einen Purpose in sich tragen, sind psychisch gefestigter als solche, die einfach vor sich hinleben. NPOs haben hier meist einen klaren Konkurrenzvorteil.

Die Entwicklung der Organisation

Bei der Entwicklung der Organisation geht es um die Gestaltung von Prozessen und Schnittstellen, um die Definition von Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen und um die generelle Gestaltung von Leistungsmessungen und Sanktionen, also um die Aufbau- und Ablauforganisation, deren Monitoring und Strategien zu ihrer Einhaltung. Homeoffice braucht besonders klare organisationale Rahmenbedingungen. Wenn Menschen sich nicht rasch und niederschwellig über Schnittstellen, Kompetenzen etc. austauschen können, dann ist ein stringenter, widerspruchsfreier Rahmen noch wichtiger als sonst.

Führen auf Distanz erfordert klare, schlanke Prozesse sowie eindeutige Aufgaben und Rollen. Ein Schritt dazu kann die mutige, auf das Wesentliche reduzierte Priorisierung von Aufgaben und die Verschlankung der Prozesse sein. Es empfiehlt sich zum Beispiel, die Haltung des »good enough to try« auszubauen. Dieses stammt aus dem Organisationsmodell der Soziokratie (Romme, 1999). Einwänden auf Vorschläge wird nur dann stattgegeben, wenn glaubhaft gemacht werden kann, dass deren Umsetzung dem Erreichen des Organisationszwecks schaden könnte. Wenn es darum geht, Prozesse zu verschlanken und Neues zu probieren, dann kann dieses Prinzip ein guter Wegweiser sein. Statt »das haben wir doch schon immer so gemacht« also ein »das Neue ist den Versuch wert«. NPOs sind diesbezüglich sehr unterschiedlich – zwischen bürokratisch-starr und flexibel-veränderungsfreudig finden sich alle Ausprägungen.

Digitale betriebliche Gesundheitsförderung

Mitarbeiter_innen im NPO-Bereich tendieren zu Selbstausbeutung und sind meist nicht gerade verwöhnt in Bezug auf Unterstützung durch die Organisation. Besonders bei Homeoffice steigt somit der Bedarf an gesundheitsfördernden Maßnahmen. Im Homeoffice Arbeitende fühlen sich eher erschöpft als Menschen, die im Büro arbeiten, auch von Verärgerung sowie Nervosität berichteten sie häufiger. Fast 40% beklagten nach der Arbeitszeit nicht abschalten zu können – 10% mehr als im Büro (Badura et al., 2019).

Eine digitale betriebliche Gesundheitsförderung unterstützt Mitarbeiter_innen unabhängig von Zeit und Ort dabei, sich gesund und fit zu halten. Das kann etwa Weiterbildung zu Gesundheitsthemen umfassen, Online-Bewegungsangebote, eine digitale Sprechstunde des Betriebsarztes, sowie die gesundheitsgerechte Gestaltung des Arbeitsplatzes durch die Organisation.

Chance zum Experimentieren und die Notwendigkeit ausreichender Ressourcen

Krisen können auch ein Anlass für organisationales Lernen sein. Erhebungen in NPOs während der Covid-Krise zeigten jedenfalls deutlich, dass es den Beschäftigten in Einrichtungen, die die ruhigere Zeit im Sommer 2020 nutzen konnten, um gemeinsam aus den Erfahrungen in der ersten Phase zu lernen, in der schwierigen Phase im Herbst wesentlich besser ging. Viele NPOs berichteten zudem, dass sie Prozesse kurzfristig erfolgreich geändert haben (Schweinschwaller, 2021; Simsa, Mayer, et al., 2021). Notwendig dafür sind allerdings ausreichende Ressourcen, also ein Puffer, der Lernen und Reflexion zulässt. Viele Einrichtungen der Pflege, die dafür keine Ressourcen hatten und wo das vorhandene Personal mit kurzfristigem Reagieren auf aktuelle Anforderungen ausgelastet war, hatten gravierendere Probleme. Hier kam es zu Burnouts, Mitarbeiter_innenverlust und höherer Ineffektivität.

Digitalisierung kann die innerorganisatorische Flexibilität und auch die Flexibilität der Gestaltung von Produkten und Dienstleistungen erhöhen sowie die innerorganisatorische Kommunikation verbessern (Erpf & Maring, 2018). Und das damit verbundene Homeoffice kann auch ein Anlass sein für bewusste Experimente, für einen Lernprozess in neuen Formen der Zusammenarbeit.


Literaturempfehlung:

Simsa, Ruth & Michael Patak: Leadership & Homeoffice. So gelingt Führung auf Distanz. Wien 2021

Literatur

Badura, B., Ducki, A., Schröder, H., Klose, J., & Meyer, M. (2019). Fehlzeiten-Report 2019. Schwerpunkt: Digitalisierung - gesundes Arbeiten ermöglichen. Berlin, Heidelberg: Springer.

Bonin, H., Eichhorst, W., Kaczynska, J., Kümmerling, A., Rinne, U., Scholten, A., & Steffes, S. (2020). Verbreitung und Auswirkungen von mobiler Arbeit und Homeoffice. Kurzexpertise im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Bonn.

Erpf, P., & Maring, N. (2018). Digitalisierung als Chance für Nonprofit-Organisationen. Verbands-Management (VM). Fachzeitschrift für Verbands- und Nonprofit-Management, 44(2), 6-13.

Flecker, J., Herr, B., & Schadauer, A. (2020). Arbeitszeit, Erreichbarkeit und selbstbestimmtes Arbeiten im Homeoffice. Unveröffentlichter Projektbericht. Wien.

Rupietta, K., & Beckmann, M. (2018). Working from Home. What is the Effect on Employees´ Effort? Schmalenbach Business Review, 70(1), 25-55.

Schweinschwaller, T. (2021). Organisationale Resilienz: Wie bewältigen Organisationen und ihre Mitglieder die Herausforderungen durch die COVID-19-Pandemie? SWS-Rundschau, 61(3), 329–351.

Simsa, R., Mayer, F., Muckenuber, S., & Schweinschwaller, T. (2021). Rahmenbedingungen für die Zivilgesellschaft in Österreich. Projektbericht. Wien, https://www.wu.ac.at/sozio.

Simsa, R., & Patak, M. (2016). Leadership in Nonprofit-Organisationen. Die Kunst der Führung ohne Profitdenken. Wien: Linde Verlag.

Simsa, R., & Patak, M. (2021). Leadership & Homeoffice. So gelingt Führung auf Distanz. Wien: Linde.


Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 10 vom 11.11.2021
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.

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Autorin

Univ. Prof. Dr. Ruth Simsa ist Professorin am Institut für Soziologie, bis Februar 2018 war sie wissenschaftliche Leiterin des Kompetenzzentrums für Nonprofit Organisationen und Social Entrepreneurship, beides an der Wirtschaftsuniversität Wien. Sie hat langjährige Erfahrung als Organisationsberaterin und Führungskräftetrainerin und ist Editor-in-Chief der Fachzeitschrift VOLUNTAS International Journal of Voluntary and Nonprofit Organizations.

Kontakt: Ruth.Simsa@wu.ac.at

Weitere Informationen:
http://www.ruthsimsa.at
https://www.wu.ac.at/sozio/institut/simsa-ruth


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