Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 1 vom 3.2.2022

Digitales Europa und Konferenz zur Zukunft Europas

Interview mit Gabriele Bischoff, MdEP

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BBE Europa-Nachrichten: Die von der EU ins Leben gerufene Konferenz zur Zukunft Europas ist ein umfassender Prozess mit vielen Bausteinen, die dazu dienen sollen, Bürger*innen aus allen Teilen der EU in die Diskussion zur Zukunft Europas einzubeziehen. Warum ein neues Format? Welches Zeichen möchte die EU mit diesem neuen Format setzen?

Gabriele Bischoff, MdEP: Die Konferenz zur Zukunft Europas stellt ein neues öffentliches Forum für offene, inklusive, transparente und strukturierte Bürgerdebatten dar. Hierbei können alle Bürger*innen aus sämtlichen Gesellschaftsschichten und aus allen Teilen der Union teilnehmen. Das ist eine neue, innovative und partizipative Form der Bürgerbeteiligung auf europäischer Ebene. Bislang wurden Bürger*innen erst am Ende von Entscheidungsprozessen gefragt. So scheiterte bspw. der Ratifizierungsprozess des Verfassungsvertrages der EU, nachdem die Volksabstimmungen in Frankreich und in den Niederlanden negativ ausgegangen waren. Dies macht deutlich, dass Bürger*innen wichtiger Bestandteil eines Reformprozesses sind und bereits zu Beginn eines Prozesses integriert werden sollten. Und genau dies setzen wir nun mit der Konferenz zur Zukunft Europas um. Mit der Konferenz setzen wir somit ein Zeichen für mehr Mitsprache an der Gestaltung der zukünftigen Ausrichtung der Europäischen Union für die Bürger*innen.

BBE Europa-Nachrichten: Was kann die Konferenz zur Zukunft Europas bewirken und was stünde auf Ihrer Wunschliste ganz oben?

Gabriele Bischoff, MdEP: Für mich ist besonders wichtig, dass Europa sozialer und demokratischer wird. Die Handlungsfähigkeit der EU muss gestärkt werden, damit sie in der Lage ist, angemessen auf die großen Herausforderungen unserer Zeit zu reagieren. Die Überwindung des Einstimmigkeitsprinzips im Rat in zentralen Politikfeldern ist essentiell. Prioritär ist für mich außerdem die Geschlechtergleichstellung, das Soziale Fortschrittsprotokoll, der verstärkte Zusammenhalt zwischen Wirtschaft- und Finanzpolitik und eine europaweite Regelung für faire und armutsfeste Mindestlöhne. Außerdem stellt die Konferenz zur Zukunft Europas eine Möglichkeit dar, das demokratische System der Europäischen Union dynamischer und interaktiver zu gestalten und eine europäische Öffentlichkeit zu schaffen. Die Bürger*innen setzen die Themen, die ihnen wichtig sind.

BBE Europa-Nachrichten: Was sind die größten Herausforderungen und wo liegen die Grenzen der Konferenz?

Gabriele Bischoff, MdEP: Der Erfolg der Konferenz ist weitgehend davon abhängig, wie gut es uns gelingt, eine europäische Öffentlichkeit herzustellen und die europäischen Bürger*innen zu erreichen. Die Europäer*innen sind Ausgangs- und Orientierungspunkt des Forums. Das Forum wird der Zivilgesellschaft, den europäischen Organen und anderen europäischen Einrichtungen wie dem Ausschuss der Regionen und dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss sowie nationalen, regionalen und lokalen Behörden, Parlamenten und anderen Interessenträgern zur Teilnahme als gleichberechtigte Partner offenstehen. Wir wollen so die Verbindung zwischen der europäischen Bevölkerung und den Organen stärken.

BBE Europa-Nachrichten: Als eine digitale Plattform zur Konferenz zur Zukunft Europas gestartet wurde, kommunizierte die EU einen inklusiven Prozess, dass möglichst viele Menschen über die Plattform ihren Beitrag zur Gestaltung ihrer Zukunft zu leisten können. Wie inklusiv ist der Prozess aus Ihrer Sicht tatsächlich?

Gabriele Bischoff, MdEP: Eine möglichst breite Beteiligung und Einbeziehung von Standpunkten aus der gesamten Union sind wesentlich für die Konferenz zur Zukunft Europas. Aus diesem Grund haben wir die Bürger*innen zufällig und nach repräsentativen Kriterien ausgewählt. So beteiligen sich weibliche, männliche, ältere sowie jüngere Europäer*innen an der Konferenz zur Zukunft Europas. Des Weiteren beteiligen sich sowohl Bürger*innen aus den Städten sowie aus ländlichen Regionen. Ich empfinde den Prozess daher als einen inklusiven Prozess. Erste Analysen der Beteiligung auf der digitalen Plattform haben gezeigt, dass hier noch sehr viel Verbesserungspotential ist, gerade in Hinblick auf eine repräsentative Teilnahme von Bürger*innen. Zum Beispiel haben erste Analysen gezeigt, dass 63% der Beiträge von Männern und nur 15% von Frauen stammen - das ist sehr bedauerlich. Die Konferenz zur Zukunft Europas braucht mehr starke Frauen und vor allem eine konsequente Geschlechterperspektive. Außerdem sind nur 16,4% der Mitwirkenden Arbeitnehmer*innen. 44% der Menschen, die aktiv sind auf Plattform haben, eine akademische Ausbildung. Hier ist es uns bislang nicht gelungen, eine repräsentative Gruppe von Menschen zu erreichen.

BBE Europa-Nachrichten: Haben Sie den Eindruck, dass die Resonanz bei den Bürger*innen den Erwartungen seitens der EU entspricht?

Gabriele Bischoff, MdEP: Leider bleibt die Medienresonanz in den Mitgliedstaaten zur Konferenz zur Zukunft Europas bislang sehr niedrig. Erste Analysen der digitalen Plattform zeigen außerdem, dass es uns bislang noch nicht gelungen ist, eine repräsentative Teilnahme von Bürger*innen außerhalb der »Brüsseler Blase« zu gewährleisten. Ich engagiere mich in meinem Wahlkreis Berlin bei der Europäischen Akademie. Mit vielen Veranstaltungen versuchen wir die Konferenz, den Bürger*innen in Berlin näher zu bringen, zu informieren und zur aktiven Beteiligung zu motivieren. Das soziale Europa hat für mich einen ganz besonderen Stellenwert. Eine Umfrage des Eurobarometers hat gezeigt, dass das soziale Europa 9 von 10 Europäerinnen und Europäern ebenfalls wichtig ist. Ich bin mir sicher, dass wir die Bürger*innen erreichen können, da es um ihre Anliegen geht. Dazu muss die Konferenz öfter von nationalen Medien aufgegriffen werden.

BBE Europa-Nachrichten: In den Medien wurde als Hashtag für die Plattform bekannt: #DieZukunftGehörtDir. Bedeutet das, dass die Zukunft der Bürger*innen gehört, die Onlinezugang haben und digitale Tools beherrschen? Ist eine erfolgreiche Bürgerbeteiligung auf europäischer Ebene ohne Digitalisierung vorstellbar?

Gabriele Bischoff, MdEP: Mit der Konferenz zur Zukunft Europas sorgen wir dafür, dass die Anliegen der Bürger*innen in die Politikgestaltung der EU einfließen. Hierfür können die Bürger*innen auf digitale Tools zurückgreifen. Dies stellt jedoch kein Muss dar. Wir wollen erreichen, dass sich alle beteiligen können. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass auch traditionelle Formen der Teilhabe angeboten werden. So können die Bürger*innen vor Ort oder eben online an den Debatten teilnehmen. Die digitalen Tools sind besonders wichtig, um junge Menschen zu erreichen. Zudem war die Nutzung solcher Tools in Zeiten von Corona ebenso notwendig, weil nur wenige Präsenzveranstaltungen möglich waren. Mit der Konferenz zur Zukunft Europas können sich die Bürger*innen nun auf verschiedenen Ebenen beteiligen. Die Veranstaltungen zur Konferenz sind auf der Plattform aufgelistet. Mit der Plattform hat jeder Mensch die Möglichkeit, eigene Veranstaltung anzukündigen und dafür zu werben.

BBE Europa-Nachrichten: Wenn Sie an das Thema Digitalisierung und Digitales Europa denke: Was sind die Handlungsfelder, die aus Ihrer Sicht am wichtigsten sind? Welche Rolle spielt dabei die Zivilgesellschaft?

Gabriele Bischoff, MdEP: Digitale Technologien verändern unser aller Leben. Wenn ich an das Thema Digitalisierung und Digitales Europa denke spielen für mich zwei Handlungsfelder eine besondere Rolle. Ein Handlungsfeld ist das Arbeitsrecht. Ich wünsche mir einen inklusiven Übergang zu fairer digitalen Arbeit, der auf guten Arbeitsbedingungen, einem sicheren Arbeitsumfeld und einem fairen Arbeitsverhältnis basiert. Ein weiteres Themenfeld ist die Qualifizierung der Arbeitskräfte durch gute Angebote zur digitalen Aus- bzw. Weiterbildung. Digitale Tools sind zudem wesentlich, um auch junge Menschen zu erreichen. Die Digitalisierung ist somit von zentraler Bedeutung, denn sie erhöht die Chancengleichheit der Gesellschaft auf dem Arbeitsmarkt und verhindert so ein weiteres Auseinanderdriften der Gesellschaft nicht auseinanderdriftet und wichtig für die Chancengleichheit der Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt. Es kann nicht sein, dass nur diejenigen, die digital bewandert sind, an digitalen Beteiligungsmöglichkeiten teilnehmen können. In allen Belangen steht hierbei die Zivilgesellschaft im Mittelpunkt.


Das Interview wurde von der Redaktion der BBE Europa-Nachrichten am 24.1.2022 schriftlich geführt.


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Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.

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Gabriele Bischoff, MdEP ist eine leidenschaftliche Europäerin, Gewerkschafterin und Feministin. Sie engagiert sich für eine EU, die die großen Herausforderungen wie den Klimawandel, die Digitalisierung oder die Globalisierung gerecht gestaltet, damit niemand zurückbleibt.

Kontakt: https://gaby-bischoff.eu/kontakt/

Weitere Informationen: https://gaby-bischoff.eu/


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