Beitrag im Newsletter Nr. 8 vom 23.4.2020

Corona-Krise zeigt eingeschränkten Blick auf zivilgesellschaftliche Organisationen: Hilfen nur für Dienstleistung und Tauschhandel

Stefan Diefenbach-Trommer

Inhalt

Spezifische Einschränkungen für zivilgesellschaftliche Organisationen
Unterbelichtet: Wächter- und Anwalts-Funktion
Kein Schutzschirm für Idealvereine
Zum Beispiel Gemeinnützigkeitsrecht
Beauftragte für Zivilgesellschaft
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Redaktion

Die Corona-Krise zeigt, wie wichtig ein handelnder und schützender Staat ist; wie wichtig eine funktionierende und gute Infrastruktur und Daseinsvorsorge für alle ist. Sie zeigt auch die wichtige Funktion zivilgesellschaftlicher Organisationen über Dienstleistungen und Selbsthilfe hinaus. Die Corona-Krise legt sich wie ein Vergrößerungsglas auf viele Probleme und gesellschaftliche Zustände - sie macht auch deutlich, wie eingeschränkt der staatliche Blick auf die Zivilgesellschaft ist. Dieser eingeschränkte Blick wird unter anderem bei staatlichen Hilfen wie dem Kurzarbeitsgeld deutlich und auch im Gemeinnützigkeitsrecht. Wir sehen, dass es einen Wirtschaftsminister gibt, der für Hilfe für die Wirtschaft sorgt. Wir sehen, dass es einen Gesundheitsminister gibt, der diesen Teil der Daseinsvorsorge im Blick hat. Und wenn auch mit Mühe, gelingt es unter anderem Kultusministerien, dass auch selbstständige Künstler*innen und Kulturbetriebe gesehen werden. Aber der Blick auf den zivilgesellschaftlichen Sektor mit der Logik der Freiwilligkeit ist in Regierung und Parlament nicht gut verankert. Der zivilgesellschaftliche Sektor ist vielfältig - vielfältig in Finanzierung und Tätigkeiten. Ein Teil des Sektors trägt zur Daseinsvorsorge bei, erbringt wichtige Dienstleistungen und organisiert Selbsthilfe. Ein Teil des Sektors sorgt für Kultur und Bildung dort, wo es sich für einen gewinnorientierten Markt nicht lohnt, in einer Mischung aus wirtschaftlicher Betätigung und freiwilliger Finanzierung. Und ein Teil des Sektors - und manchmal sind es die gleichen Teile - wacht über Grundrechte, beobachtet kritisch staatliches Handeln und tritt anwaltschaftlich für sonst zu wenig beachtete Gruppen ein. Die Corona-Krise zeigt, dass die Daseinsvorsorge weder nur vom Marktgeschehen abhängen darf noch von der Großzügigkeit von Spender*innen. Sie zeigt, wie wichtig ein schützender Staat ist. Doch auch dieser schützende Staat braucht Kontrolle durch Öffentlichkeit und zivilgesellschaftliche Organisationen. Wir erleben, dass auch harte Maßnahmen dennoch öffentlich diskutiert, erklärt und ebenso kritisiert werden - das zeichnet eine Demokratie aus. Wir erleben jetzt zudem mehr und mehr Kritik, insbesondere gegen ein Übersteuern, ein zu autoritäres Handeln. Dafür sind die verschiedenen Perspektiven zivilgesellschaftlicher Organisationen wichtig.

Spezifische Einschränkungen für zivilgesellschaftliche Organisationen

Die Einschränkungen treffen viele zivilgesellschaftliche Organisationen mehrfach und auf spezifische Weisen: Wie bei Wirtschaftsunternehmen und auch Behörden muss die eigene Arbeit an veränderte Umstände angepasst werden. Und dies bei oft geringeren vorhandenen Ressourcen und Rücklagen. Auch wie bei Wirtschaftsunternehmen muss eventuell die Finanzierung der eigenen Arbeit gesichert werden. Während manchen Wirtschaftsunternehmen ihr Markt wegbricht, der zugleich ihre Finanzierung ist, sind Finanzierung und Tätigkeit bei zivilgesellschaftlichen Organisationen oft getrennt. Dem Idealbereich gemeinnütziger Organisationen bricht kein Absatzmarkt weg, aber dennoch können ihre Tätigkeiten ins Leere laufen. Einschränkung von Grundrechten wie der Versammlungsfreiheit können ihre Arbeit behindern. Jenseits rechtlicher Grenzen bekommt ihre wichtige Stimme derzeit oft kaum Resonanz in Politik, Medien und Öffentlichkeit. Doch Regierung, Parteien und Parlamente scheinen viele spezifische Belastungen nicht zu sehen. Sie blicken nur auf Teile des Sektors. Gesehen werden Sozialunternehmen und Fußballverbände, Kindergärten und Wirtschaftsbetriebe. Eher nicht gesehen werden klassische Idealvereine ohne Wirtschaftsbetriebe, die sich aus Spenden und öffentlichen oder privaten Zuschüssen finanzieren. Staatliche Hilfsprogramme gibt es derzeit nur für wirtschaftliche Betätigungen. Der klassische Verein, der sich nur aus Beiträgen und Spenden finanziert, geht leer aus.

Unterbelichtet: Wächter- und Anwalts-Funktion

Natürlich wird wieder zivilgesellschaftliches Engagement gelobt und auch gefordert. Gemeint sind in erster Linie die Funktionen von Hilfe und Dienstleistung, auch Selbsthilfe. Kaum gesehen werden etwa anwaltschaftliche Funktionen, ob für Gruppen oder Themen, und die Wächterfunktion. Dabei sind beide gerade in einer Krise mit schnellen, harten und nötigen staatlichen Maßnahmen unverzichtbar. Organisationen wie LobbyControl, Digitalcourage, Amnesty International oder die Gesellschaft für Freiheitsrechte wachen darüber, ob der Staat Grund- und Menschenrechte zu stark strapaziert. Sie beobachten und kommentieren, ob der Staat - auch auf Wunsch seiner Bürgerinnen und Bürger - ins Autoritäre kippt, so dass seine Entscheidungen unhinterfragt und unkontrolliert bleiben, so dass Fehler nicht oder zu spät gesehen werden. Sie beobachten und kommentieren, ob er weiter die öffentliche demokratische Debatte führt, ob er die Intelligenz der Vielen nutzt und für Kritik und Korrektur offen bleibt. Als Themenanwälte und Vertreter oft marginalisierter Gruppen treten andere Organisationen als selbstlose Lobbyist*innen auf, wenn sie etwa darauf hinweisen, wen ein staatlicher Schutzschirm nicht erreicht, welche Gruppen von Einschränkungen auf unerwartete Weise hart getroffen werden. Auf diese Perspektiven sind politische Entscheider*innen unbedingt angewiesen, weil sie nicht alles sehen können und weil sie Gefahr laufen, vor allem auf ihre Wählergruppen zu achten und auf durch ausreichend wirtschaftliche Kraft laute Interessengruppen.

Kein Schutzschirm für Idealvereine

Diese zivilgesellschaftlichen Organisationen haben selbst zu wenig Lobby, wie es scheint. Denn diese meist spenden-finanzierten, vielleicht auch mal von öffentlichen und privaten Fördermitteln gestützten Organisationen fallen kaum unter den vom Staat aufgespannten Schutzschirm. Der Staat, wenn er über seinen eigenen Bereich hinausschaut, sieht Wirtschaft, Betriebe und Unternehmen. Wenn bei den aktuellen Maßnahmen zivilgesellschaftliche Organisationen vorkommen, dann mit ihren Zweck- und Wirtschaftsbetrieben, als »gemeinnützige Unternehmen« und auch mal als »Einrichtungen« und »soziale Dienste«. Mit Einrichtungen sind letztlich Zweckbetriebe gemeint, die (eigentlich staatliche) Aufgaben der Daseinsvorsorge übernehmen und die zum Teil in staatlichem Auftrag arbeiten: Kindergärten, Krankenhäuser, Beratungsstellen, Tafeln. Und selbst hier war massive Lobbyarbeit der Wohlfahrtsverbände nötig, damit der staatliche Schutzschirm bis dahin reicht. Die Wohlfahrtsverbände sind anders als viele andere Bereiche geübt in Lobbyarbeit. Sie haben dafür die nötige Wirtschaftskraft und haben schon lange Kontakte aufgebaut und Profis für Politikkontakte beschäftigt. Die staatlichen Hilfen greifen kaum bei Tätigkeiten jenseits einer Tauschlogik (Geld gegen Leistung) oder jenseits einer Anordnungs-Logik. Eine Wächter-Organisation wie LobbyControl lebt nicht von verkauften Dienstleistungen. Dieser eingeschränkte Blick findet sich sowohl bei den Soforthilfen, die ausschließlich auf wirtschaftliche Tätigkeit zielen, also auf gewinnorientierte Betriebe, als auch bei der Kurzarbeit. Zum Beispiel Kurzarbeit Bei Kurzarbeit ist vor allem von Betrieben und Unternehmen, von Auftragsrückgang und Ähnlichem die Rede. Das alles passt nicht zum Großteil der Tätigkeiten zivilgesellschaftlicher Organisationen. Nicht eindeutig ist, ob die Autor*innen der Texte diesen Sektor lediglich nicht sehen oder ausdrücklich nicht meinen. Kurzarbeitsgeld ist im Prinzip Ersatz für den durch einen vorübergehenden Arbeitsausfall entfallenen Lohn. Der Arbeitsausfall muss auf »wirtschaftlichen Gründen« oder auf einem »unabwendbaren Ereignis« beruhen. Das funktioniert, wenn eine Betriebslogik betroffen ist, etwa bei Zweck- und Wirtschaftsbetrieben, die die Arbeitsagentur wohl mit »gemeinnützige Unternehmen wie Vereine« meint. Doch ob ein Finanzierungsloch durch den Einbruch von Spenden ein ausreichender »wirtschaftlicher Grund« ist, wenn doch gleichzeitig Nachfrage nach der Leistung des Vereins besteht, ist unklar. Ist das dann ein »Arbeitsausfall«? Tatsächlich fällt die Arbeit aus, wenn etwa keine Demonstrationen, Vortragsveranstaltungen und Tagungen mehr stattfinden können, die von Angestellten organisiert werden. Doch gibt es Kurzarbeitsgeld, wenn Spenden weiter eingehen, jetzt aber keine Arbeit da ist und das Geld später gebraucht wird?? Würden die Vereine ihre Vorträge verkaufen, wären sie in der Betriebslogik und sowohl Kurzarbeit wie Nothilfe stünden zur Verfügung.

Zum Beispiel Gemeinnützigkeitsrecht

Zu Fragen der Gemeinnützigkeit reagierte das Bundesfinanzministerium erst am 9. April mit einem Erlass. Auch dieser Erlass folgt dem eingeschränkten Blick, der freilich durch die Abgabenordnung vorgeprägt ist. Der Erlass nimmt einerseits Erleichterungen für Spenderinnen und Spender in den Blick. So reicht für Spenden auch oberhalb von 200 Euro ausnahmsweise der »vereinfachte Spendennachweis« für den Steuerabzug, also faktisch der Einzahlungsbeleg. Das gilt aber nur für Spenden auf Corona-Sonderkonten von Wohlfahrtsverbänden und deren Mitgliedsorganisationen. Durch Erleichterungen gefördert werden auch Spenden durch Unternehmen. Dies ist nur indirekte Hilfe für zivilgesellschaftliche Organisationen und nur im spezifischen Betätigungsfeld. Dann lockert der Erlass das Ausschließlichkeitsgebot, das in der Vergangenheit bereits in Kritik geriet. Das Gebot meint, dass eine gemeinnützige Organisation nur ihre satzungsgemäßen Zwecke verfolgen darf. Pflanzt ein Gesangsverein (Zweck: Förderung der Kultur oder des Brauchtums) Bäume für den Umweltschutz, gefährdet er damit seine Gemeinnützigkeit. Näht jetzt der Sportverein Schutzmasken für Kindergärten (Zweck: Bildung) oder Krankenhauspersonal (Zweck: Förderung des Gesundheitswesens), würde er ebenso seine Gemeinnützigkeit riskieren. Diese Gefahr bannt das Ministerium vorübergehend, wenn damit »von der Corona-Krise Betroffene« unterstützt werden - aber nur, solange dies irgendeinem Zweck der Abgabenordnung zuzuordnen ist. Würde etwa der Gesangsverein sich jetzt um Obdachlose oder Kinder in Not kümmern, weil dort seine Hilfe nötig erscheint, darf er das nur, wenn er einen Zusammenhang zur Corona-Krise herstellen kann. Das Finanzministerium weist sicherheitshalber darauf hin, dass solche Tätigkeiten oft nicht gemeinnützig, sondern mildtätig sind, und dass daher die handelnden Vereine die Bedürftigkeit von Hilfeempfänger*innen dokumentieren müssen. Danke, Bürokratie! Das Finanzministerium weist auch darauf hin, dass anders als das eigene Tätigwerden die Mittelweitergabe an andere steuerbegünstigte Organisationen stets möglich ist - der Gesangsverein durfte auch bisher dem Umweltschutzverein Geld geben, aber nicht selbst die Umwelt schützen. Und schließlich richtet sich der Erlass noch auf die eigene Arbeit gemeinnütziger Organisationen: So wird nicht als Mittelfehlverwendung oder unangemessene Vergütung gerügt, wenn gemeinnützige Vereine Kurzarbeitsgeld bis 80 Prozent aufstocken - eine Falle, die vermutlich vielen nicht bewusst gewesen wäre. Auch Ehrenamtspauschalen dürfen weiter gezahlt werden, ohne dass tatsächlich eine Leistung erbracht wird - das ist wieder Tauschlogik. Und Verluste im Wirtschaftsbetrieb (!) und in der Vermögensverwaltung dürfen nun ausnahmsweise auch mit gemeinnützig erwirtschafteten Mitteln ausgeglichen werden, wenn sie nachweislich Corona-bedingt sind. Das ist sonst nicht erlaubt. Noch nicht in den Blick genommen hat das Finanzministerium nötige Änderungen bei zeitnaher Mittelverwendung und Rücklagen. Wenn ein Verein dieses Jahr geplante Aktivitäten nicht durchführen kann, könnte er eventuell in Probleme kommen, weil er quasi zu viel Geld hat. Die Lösung, das Geld für »von der Corona-Krise Betroffene« weiterzureichen, wäre im Moment die einzig mögliche.

Beauftragte für Zivilgesellschaft

Die Lücke füllen könnte eine Beauftrage für Zivilgesellschaft bei Bundestag und Bundesregierung, auch in den Landesregierungen und -parlamenten. Dabei darf es nicht nur um Mittelverteilung, von oben organisierte Bürger*innenbeteiligung oder um Qualifizierung und Beratung gehen. Es muss um die Weitung zivilgesellschaftlicher Handlungsspielräume gehen und die Weitung politischer Perspektiven. Zum Beispiel: Während vor jedem Gesetzesentwurf steht, welche Kosten und welcher »Erfüllungsaufwand« für Bürger*innen, Wirtschaft und Verwaltung daraus entstehen, fehlt stets die Angabe über mögliche Auswirkungen auf Engagement und zivilgesellschaftliche Organisationen. Eine Beauftragte für Zivilgesellschaft könnte den Blick auf diese Auswirkungen richten.


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Stefan Diefenbach-Trommer arbeitet seit Jahren in Bewegungs-und Protest-Organisationen. Seit 2015 beschäftigt er sich im Auftrag von mittlerweile mehr als 170 Vereinen und Stiftungen, die sich in der Allianz »Rechtssicherheit für politische Willensbildung« zusammengeschlossen haben, mit dem Gemeinnützigkeitsrecht.

Kontakt: diefenbach-trommer@zivilgesellschaft-ist-gemeinnuetzig.de

Twitter: wwww.twitter.com/stefandt


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