Beitrag im Newsletter Nr. 7 vom 7.4.2022

Demokratieförderung zwischen Staat und Zivilgesellschaft

Mirjam Weiberg

Inhalt

Lessons learned
1. Demokratie zwischen Staat und Zivilgesellschaft
2. Chancen und Grenzen befristeter Aktions- und Bundesprogramme
3. Institutionelle Demokratieförderung mittels Demokratiefördergesetz
4. Desiderata für eine engagierte und demokratische Zivilgesellschaft
Literatur
Autorin
Redaktion

Lessons learned 

Seit Beginn der 1990er Jahre hat die Bundesregierung eine Reihe von Förderprogrammen etabliert, deren Ziel die Stärkung der Demokratie und der Zivilgesellschaft war. Diese Sonderprogramme waren in ihrem Umfang – d.h. dem finanziellen Gesamtvolumen, der Einbeziehung neuer Träger und der Adressierung aktueller gesellschaftlicher Konflikte und Veränderungen bis dato beispiellos. Seitens der Zivilgesellschaft und der Wissenschaften ist diese Entwicklung kritisch begleitet worden. Im Zentrum der Kritik standen insbesondere die staatlich-vorgegebenen inhaltlichen Schwerpunkte, der Aufbau von Parallelstrukturen, die mangelnde Qualitätssicherung, die zeitlichen Befristungen sowie die politische Alibi-Funktion.

Angesicht der Ankündigung der neuen Ampelregierung ein Demokratiefördergesetz bis 2023 einzusetzen, drängt sich die Frage auf: Was haben wir aus 30 Jahren Demokratieförderung gelernt? Und wie können diese Lektionen produktiv in die Ausgestaltung des Gesetzes einbezogen werden?  

1. Demokratie zwischen Staat und Zivilgesellschaft

Staatliche Programme zur Stärkung einer aktiven Zivilgesellschaft im Bereich Demokratie haben Konjunktur. Gleichwohl zeigt ein Blick in die Geschichte der politischen Bildung in der Bundesrepublik Deutschland, dass staatliche Demokratieförderung keine Ausnahme, sondern der Regelfall ist. Die Demokratieförderung bewegt sich dabei in einem kontinuierlichen Spannungsfeld zwischen dem Anliegen des Staates, einen passenden demokratischen Bürger sowie einer das politische System stützenden Zivilgesellschaft herauszubilden und den Forderungen der Zivilgesellschaft, nach möglichst viel Unabhängigkeit i.S.v. partizipativen, inhaltsoffenen, machtkritischen und reflexiven Bildungsprozessen. 

Einer der größte Treiber einer staatlich geförderten Demokratie und Zivilgesellschaft waren in den vergangenen Jahrzehnten die Förderprogramme der Bundesministerien für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und des Bundesinnenministeriums (BMI). Die Programme adressierten über mehrjährige Projektförderungen inhaltlich vor allem die Extremismusprävention, Antidiskriminierungsarbeit/ Vielfaltgestaltung und Demokratieförderung im engeren Sinn. Die Umsetzung der Projekte lag dabei auch bei »neuen« zivilgesellschaftlichen Organisationen, wie Migranten-, Neuen Deutschen und anderen Organisationen von Diskriminierung betroffener Communities wie Schwarze Menschen und People of Colour. 

Die Entwicklung, hin zu zeitlich befristeten, thematisch fokussierten Förderungen, wurde seitens der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft oft aber auch stark kritisiert. In der Kritik dominierten die enge Auswahl der inhaltlichen Schwerpunktsetzung, der Aufbau von Parallelstrukturen, die mangelnde Qualitätssicherung, die politische Alibi-Funktion der Programme sowie die zeitliche Befristung und geringe Nachhaltigkeit der Förderungen. Mit Blick auf das geplante Demokratiefördergesetz der neuen Ampelkoalition erscheint es daher sinnvoll zu fragen: Was haben wir aus 30 Jahren Demokratieförderung gelernt? Und wie können diese Lektionen produktiv in die Ausgestaltung des Gesetzes einbezogen werden? 

2. Chancen und Grenzen befristeter Aktions- und Bundesprogramme 

Die Demokratieförderung sowie die zugehörigen fachwissenschaftlichen Debatten unterliegen erheblichen historischen Wandlungsprozessen und Themenkonjunkturen und können selbst als Ausdruck der prozesshaften Aushandlung von Demokratie betrachtet werden. Der Blick auf die Geschichte der Extremismusprävention, Antidiskriminierungsarbeit und Demokratieförderung zeigt, dass bereits früh – in den 1960er Jahren nach Nazi-Schmierereien auf jüdischen Friedhöfen oder in den 1970er Jahren im Nachgang der RAF-Anschläge – zeitlich befristete Aktions- und Bundesprogramme mit dem Ziel, extremistischen Einstellungen und Aktivitäten entgegenzuwirken, initiiert wurden. Ein ähnliches Muster wiederholte sich Anfang der 1990er Jahren vor dem Hintergrund einer Reihe rassistischer Angriffe und Pogrome, u.a. in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen, von Wahlerfolgen rechtsextremer Parteien und alarmierenden Daten über die Verbreitung rechtsextremer Einstellungen in der (jugendlichen) Bevölkerung sowie Anfang der 2000er nach dem Anschlag auf die Düsseldorfer Synagoge und im Zuge des sogenannten »Aufstands der Anständigen«. Die zivilgesellschaftliche Demokratieförderung orientierte sich an gesellschaftlichen Herausforderungen als lernende Politik. Dabei haben nicht zuletzt parteipolitische und ressortabhängige Schwerpunktsetzungen der Ministerien Einfluss auf die spezifische Gestaltung der jeweiligen Förderprogramme.  

Betrachtet man die Sonderprogramme, unterschieden sie sich hinsichtlich des thematischen Fokus (u.a. Radikalisierung, Prävention, Demokratie, Phänomene der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, Vielfalt, Anti-Diskriminierungen, Rassismus), der präferierten pädagogischen Zugangsweisen (z.B. Wissensvermittlung, Beratung, Ausstiegshilfe, Empowerment), der Ursachen (individuell, gruppenbezogen, strukturell) und der Qualitätssicherung (wissenschaftlichen Begleitung, Evaluation, Fortbildung). 

Die verschiedenen Programme bewegten sich dabei schon immer in einem Spanungsfeld von einerseits kurzfristiger Intervention, z.B. in der aufsuchenden Arbeit mit gewaltbereiten oder gewalttätigen Jugendlichen und andererseits dem Versuch, nachhaltige Strukturen zu schaffen, z.B. mit der Einbeziehung der Regelstrukturen. Um dem eigenen Anspruch der »lernenden Programme« gerecht zu werden, wurde über die Zeit seitens der ministeriellen Mittelgeber immer wieder versucht, die wichtigsten Impulse aus der zivilgesellschaftlichen Praxis und der die Maßnahmen begleitenden wissenschaftlichen Evaluation aufzunehmen.  

Das Ziel, die Sonderförderprogramme an bestehende oder neue gesellschaftliche Herausforderungen anzupassen und insgesamt zu verbessern, wurde teilweise auch erreicht: Auf der finanziellen Seite wurden die Laufzeiten und die Höhe der Zuwendungen für die Maßnahmen angepasst; in der Reichweite wurden die Angebote für weitere (z.B. marginalisierte oder schwer-erreichbare) Zielgruppen und Phänomene geöffnet, bei der Umsetzung bezog man stärker partizipative und empowernde pädagogische Zugänge und Methoden mit ein. Auch der Aufbau bundesweiter Beratungsnetzwerke und Kompetenzzentren sowie die Möglichkeit zur (Weiter-)Qualifizierung der Träger und Mitarbeitenden wurde in die Förderrichtlinien aufgenommen. 

Gleichzeitig ließen sich an den Sonderprogrammen deutlich die Grenzen einer staatlichen Förderung von Demokratie und Zivilgesellschaft ablesen: Der Fokus auf Modellhaftigkeit/ Innovation ermöglichte zwar eine bottom-up Entwicklung der verschiedenen Themenfelder. Zugleich bedeutet es für die Trägerorganisationen, – angesichts begrenzter institutioneller Mittel – dass sie über diese Förderungen häufig überhaupt erst die Umsetzung eigener, für die Organisationen zentraler Ziele und deren Strukturentwicklung, vornehmen konnten. Ohne diese Finanzierung mussten manche Engagierte ganz oder teilweise ihre Arbeit einstellen. Die zeitliche Befristung und die Eigenanteile der Finanzierung erschwerten den Trägern darüber hinaus eine gute Personalpolitik, weil qualifizierte Mitarbeitende nicht gehalten werden konnten. Es verhindert zudem den Aufbau nachhaltigen institutionellen Erfahrungswissens. Die Modellhaftigkeit der Förderung droht so im schlimmsten Fall nicht zu Innovation, sondern zu einer beständigen Neuerfindung etablierter Praxis zu werden. 

3. Institutionelle Demokratieförderung mittels Demokratiefördergesetz

Angesicht der oben beschriebenen Situation war der Wunsch nach einer institutionalisierten Förderung von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Strukturen nachvollziehbar, um die Nachhaltigkeit und Planbarkeit des Engagements für Demokratie, Vielfaltsgestaltung und Extremismusprävention zu garantieren (Amadeu Antonio Stiftung 2020). Zwei Rechtsgutachten diskutierten bereits 2012 und 2020 verschiedene Modelle, mit denen der Bund Maßnahmen in der Demokratieförderung unter Beteiligung von Trägerorganisationen mit langjährigen Erfahrungen im Handlungsfeld gesetzlich umsetzen könnte, ohne mit Kompetenzen der Bundesländer zu konkurrieren (Battis et al. 2012, Möllers 2020). 

Nach einem gescheiterten Versuch der großen Koalition 2021, ein Demokratiefördergesetz (DFördG) zu verabschieden, hat die neue Ampelkoalition dies in ihrem Koalitionsvertrag für 2023 vorgesehen (SPD et al. 2021: 117). Zugleich sollte auch das Bundesprogramm »Demokratie leben!«, gestärkt, weiterentwickelt und dauerhaft finanziell abgesichert werden. In welchem Verhältnis beides zueinander stehen wird, blieb aber offen. Als ersten Schritt haben BMFSFJ und BMI – bei denen das DFördG federführend verankert ist – nun einen zivilgesellschaftlichen Begleitprozess angestoßen. Über ein Diskussionspapier (BMFSFJ 2022) wurde bei mehreren hundert zivilgesellschaftlichen Trägerorganisationen sowie in der Wissenschaft um eine Stellungnahme zur Ausgestaltung des DFördG gebeten. Inhaltlich stellt das Diskussionspapier die Ergebnisse der bisherigen Diskussion vor und entwarf erste Grundkategorien, an denen sich das geplante DFördG orientieren könnte. Sehr begrüßenswert war, dass die strittige Extremismusklausel nicht mehr genannt wurde. 

Allerdings lassen sich aus dem Papier nur sehr begrenzt Erkenntnisse darüber gewinnen, wie sich die Bunderegierung konkret die rechtlichen Modelle der Finanzierung (z.B. das Verhältnis von Modellprojekt- und dauerhafter Strukturfinanzierung), die inhaltliche Festlegung von Förderbereichen und Adressatenkreisen sowie die Verpflichtung bzw. Kriterien zur Erfolgs- bzw. Wirkungskontrolle (z.B. durch wissenschaftliche Begleitung/ Selbstevaluation) vorstellt. Nicht vorhanden ist bisher auch ein Vorschlag zu einer Struktur, in der mit der Zivilgesellschaft entsprechende Inhalte und Verteilungsschlüssel partizipativ und bindend verhandelt werden. Diese offenen Entscheidungen stehen in engem Zusammenhang mit der grundlegenden Frage, ob eine dauerhafte Finanzierung zivilgesellschaftlicher Strukturen nicht die Gefahr einer zu engen Bindung und Abhängigkeit der geförderten Organisationen an staatliche Stellen birgt. Dies stünde im Gegensatz zu dem (Selbst-)Verständnis einer unabhängigen Zivilgesellschaft, die ein Gegengewicht zum Staat bildet.  

Sehr deutlich wurde im Papier, dass nicht alle zivilgesellschaftlichen Trägerorganisationen im Feld der Extremismusprävention, Antidiskriminierungsarbeit, Vielfaltgestaltung und Demokratieförderung dauerhaft gefördert werden können. Das bedeutet erhebliche Aushandlungsprozesse zwischen Staat, Zivilgesellschaft und Wissenschaft, in denen sichergestellt werden muss, dass (etablierte) strukturell abgesicherte Organisationen keinen zu großen Einfluss auf das zivilgesellschaftliche Handlungsfeld nehmen und damit neue, bisher marginalisierte Gruppen und Themen weiter marginalisiert oder ausgeschlossen werden. 

4. Desiderata für eine engagierte und demokratische Zivilgesellschaft 

Mit Blick auf die vergangenen 30 Jahre Demokratieförderung ist es wichtig, die Zusammenarbeit zwischen allen relevanten Akteur*innen stärker zu verzahnen. Gleichzeitig sollten die durch Projektförderung entstandene Doppelstrukturen zu überregionalen Netzwerken zusammengefasst werden. Mindestens notwendig und realistisch für ein gutes DFördG sind: 

  1. Die Ausformulierung eines gesetzlichen Auftrags an den Bund a) zur Förderung zentraler (Dach-)Strukturen der Zivilgesellschaft (z.B. Bundesarbeitsgemeinschaften, Expertenrat) b) der Möglichkeit zur Durchführung bundeseigener Projekte und Maßnahmen in der Breite von Demokratieförderung, Antidiskriminierung, Vielfaltgestaltung und Extremismusprävention.  

  2. Die Sicherstellung der Finanzierung einer a) institutionellen Förderung von dauerhaften Einrichtungen (z.B. überregionalen Beratungsstrukturen wie Ausstiegshilfe, Opferberatung und Betroffenenberatung) und der Bundeszentrale für politische Bildung sowie b) zusätzlicher Einzelförderungen des Bundes (z.B. für aktuelle, bedarfsorientierte Maßnahmen) mit einer Mindestförderdauer von fünf bis 10 Jahren, die als Vollfinanzierung umgesetzt werden. 

  3. Eine Festlegung des Adressat*innenkreises der Förderung und der Fördervoraussetzungen, die sich an den bestehenden »Zusammenhalt durch Teilhabe« und »Demokratie leben!«-Förderrichtlinien orientiert und die insbesondere zivilgesellschaftliche Träger aus dem Bereich Migranten-, Neue Deutsche und anderen Organisationen von Diskriminierung betroffener Communities wie Schwarze Menschen und People of Colour berücksichtigt.  

  4. Das Aufsetzen von verbindlichen, regelmäßigen Gesprächs- und Austauschformaten und Prozessen (z.B. über eine Lenkungsgruppe oder Ständige Kommission) zwischen einerseits dem Bund, Ländern und den Kommunen und andererseits den Akteur*innen aus der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft über Herausforderungen und Möglichkeiten, wie eine demokratische und vielfältige Zivilgesellschaft nachhaltig organisiert und finanziell verstetigt werden kann. 

  5. Die Festlegung von Maßnahmen, die die Qualität, Wirksamkeit und Nachhaltigkeit der Förderungen durch interne und/ oder externe Evaluation überprüfen und/ oder wissenschaftlich begleiten. Diese sollten in ihrer Umsetzung partizipativ auf die Erfordernisse der jeweiligen Fördermaßnahmen abgestimmt sein und Weiterbildungsmöglichkeiten und Supervisionsstrukturen für die Adressat*innen der Förderung vorsehen. 


Literatur

Amadeu Antonio Stiftung 2020: Offener Brief. Die Zivilgesellschaft braucht das Demokratiefördergesetz! 22.11.2022, www.amadeu-antonio-stiftung.de/die-zivilgesellschaft-braucht-das-demokratiefoerdergesetz-63441/

Battis, Joachim/ Grigoleit, Klaus Joachim/ Drohsel, Franziska 2013: Rechtliche Möglichkeiten zur Verstetigung der finanziellen Mittel zur Demokratieförderung und Bekämpfung des Neonazismus. Amadeu Antonio Stiftung (u.a.). Berlin  Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2022: Diskussionspapier von BMFSFJ und BMI für ein Demokratiefördergesetz, unter: https://www.bmfsfj.de/resource/blob/193484/99d3b37fcb308ba06c5fab10aefd5405/diskussionspapier-demokratiefoerdergesetz-data.pdf

Möllers, Christoph 2020: Demokratie dauerhaft fördern. Kompetenzrechtliche Vorgaben für ein Demokratiefördergesetz des Bundes. Berlin: Progressives Zentrum. 

Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNE und Freie Demokraten (FDP): Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit, Koalitionsvertrag 2021 – 2025, o.O. o.D. 


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Autorin

Dr. Mirjam Weiberg ist Leiterin der Fachgruppe Demokratie, Transfer und Politikberatung am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM e.V.) in Berlin. 

Kontakt: weiberg-salzmann@dezim-institut.de


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