Beitrag im Newsletter Nr. 6 vom 30.3.2020

Unternehmensverantwortung zwischen Gemeinwohlökonomie und »marktkonformer Demokratie«

Jürgen Maier und Marie-Luise Abshagen

Inhalt

Wirtschaftseliten lehnen Regulierung ab
CSR ist dann glaubhaft, wenn sie das Geschäftsmodell betrifft
CSR ist allzu oft nur eine Marketingstrategie
Freiwilligkeit schränkt auch Konkurrenzfähigkeit ein
Unternehmerisches Handeln braucht gesetzliche Rahmenbedingungen
Nachhaltigkeit lässt sich mit Freiwilligkeit nicht erreichen.
Autor*innen
Redaktion

Seit der Neoliberalismus von Großbritannien und den USA aus in den 1980er Jahren seinen Siegeszug um die Welt antrat, gilt in der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Industrieländer die Devise: Deregulierung, Senkung der Unternehmenssteuern, Flexibilisierung der Arbeitsmärkte, Globalisierung der Märkte und »Wertschöpfungsketten«, Anpassung der Umweltpolitik an Marktmechanismen. Diese Politik findet ihren Ausdruck in zahlreichen internationalen Abkommen, die diese ideologischen Prämissen verbindlich vorgeben, vom Lissaboner EU-Abkommen über zahlreiche Handelsverträge bis zu den Verträgen über die Euro-Währungsunion. Schon die britische Premierministerin erklärte diese Politik für »alternativlos«. Kanzlerin Merkel beschrieb diese Politik treffend als »marktkonforme Demokratie«. Die Konsequenzen dieser Unterordnung der Politik unter die Märkte und die Interessen derjenigen, die Marktmacht haben, werden seitdem deutlich sichtbar: die Ungleichheit nimmt dramatisch zu, die »Wachstumsgewinne« kommen bei der ärmeren Hälfte der Menschheit nicht an. Niedriglohnsektoren und prekär Beschäftigte bestimmen immer mehr die Arbeitsmärkte; die meisten Menschen glauben nicht mehr, dass es ihren Kindern mal bessergehen wird. Die Umweltzerstörung erreicht inzwischen besorgniserregende Ausmaße, Klimawandel und Artensterben sind dafür nur die augenfälligsten Beispiele. All das ist für die Politik zwar ein Grund für viele Worte, aber nicht für eine grundlegende Neuorientierung der Politik der »marktkonformen Demokratie«. Nicht nur die organisierte und nichtorganisierte Zivilgesellschaft ist darüber besorgt und verlangt Kurskorrekturen, auch viele Entscheidungsträger in der Wirtschaft. Es gibt viele Unternehmen in den unterschiedlichsten Branchen, die deshalb freiwillige Initiativen starten, fair handeln wollen, grüner produzieren wollen, kurzum: nicht nur egoistisch an die Profite denken wollen, sondern verantwortungsbewusst ein Teil der Lösung statt des Problems sein wollen. Manche engagieren sich sogar für das umfassende Konzept der Gemeinwohlökonomie. Aber es ist klar, dass in der globalen Konkurrenz aller gegen alle die Grenzen solcher Initiativen schnell erreicht sind, wenn es die Kostenstruktur mehr als nur ein bisschen betrifft. Wenn die Konkurrenz mit Umwelt- und Sozialdumping Marktvorteile und höhere Renditen erwirtschaftet, ist schnell das Ende der Fahnenstange erreicht. Man sollte meinen, dass diejenigen, die verantwortungsbewusst arbeiten wollen, deshalb nach verbindlichen Vorgaben durch den Gesetzgeber rufen würden, damit solche Wettbewerbsnachteile aufhören.

Wirtschaftseliten lehnen Regulierung ab

Aber genau da trennt sich die Spreu vom Weizen, vor allem bei Großkonzernen. Alljährlich erscheint zum sogenannten »Weltwirtschaftsforum« in Davos der Globale Risikobericht, eine von diesem Forum selbst in Auftrag gegebene Untersuchung. Die 2020er-Ausgabe listet als 5 größte Risiken für die Weltwirtschaft sämtliche Umweltprobleme auf: Klimawandel, Natur –und Wetterkatastrophen, Artenverlust, Ökosystemkollaps. Fast gleichzeitig erschien die »Global CEO Survey« der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC, die offenbarte, dass die Wirtschaftslenker durchaus andere Sorgen haben: sie fürchten vor allem zunehmende Regulierung, die die Geschäfte behindern könnte. Handelskonflikte trüben ebenfalls die Stimmung der Wirtschaftselite. Die Angst vor Klimawandel findet sich dagegen noch nicht mal unter den zehn größten Sorgen. So sind die Prioritäten der Wirtschaftselite. Dabei geben so gut wie alle diese Konzerne heute natürlich auch Nachhaltigkeitsberichte heraus, und kaum ein Unternehmen kommt mehr ohne Corporate Social Responsibility (CSR)-Strategie oder gar ganze CSR-Abteilungen aus. In der Tat: Die freiwillige unternehmerische Gesellschaftsverantwortung hinsichtlich Nachhaltigkeit ist mittlerweile ein Faktor für Investoren-, Angestellten- und Kundenbindung, Produktdesign, Marketing und sogar die Risikobewertung von Lieferketten geworden. Es gibt internationale Vernetzung zu Nachhaltigkeit und CSR, Industriethementage und eigene UN-Institutionen, wie den UN Global Compact, dessen Unternehmensprinzipien für Nachhaltigkeit mittlerweile weltweit bereits 10.435 Firmen unterzeichnet haben. Sobald diese Prinzipien aber vom Staat verbindlich für alle vorgeschrieben werden sollen, herrscht Alarmstufe rot. Inhaltlich unterscheiden sich die CSR-Strategien von Unternehmen dabei sehr stark. Sind sie teilweise an international anerkannten Referenzdokumenten zur Unternehmensverantwortung wie der ILO-Grundsatzerklärung über Unternehmen und Sozialpolitik, den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen, den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte oder den Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen angelehnt, beschreiben sie an anderer Stelle lediglich ein grundsätzliche Zugeständnis der Rolle von Unternehmen bei sozialen, ökologischen und ökonomischen Aspekten.

CSR ist dann glaubhaft, wenn sie das Geschäftsmodell betrifft

Es lohnt sich also, genauer hinzuschauen, was drinsteckt, wo CSR draufsteht. Hat sich das Unternehmen dem Grundsatz der Nachhaltigkeit umfassend verschrieben und seine Produkte daran ausgerichtet? Führt die CSR-Strategie den Pfad für das Unternehmen auf, um zukünftig dort hinzukommen? Geht es vor allem um Kompensationsprojekte, um den negativen Einfluss der Produktion an anderer Stelle (und oft in einem völlig anderen Kontext) wettzumachen? Umfasst sie vor allem soziale Projekte in Produktionsstandorten ohne eine Veränderung des womöglich nicht nachhaltigen Geschäftsmodells? Verbessert dies die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Angestellten wirklich? Sind es Spenden an NGOs oder Wohltätigkeitsvereine, während die Auswirkungen des Kerngeschäfts weiterhin negativ für Mensch und Natur bleiben? Grundsätzlich gilt, dass die Umsetzung von CSR oder anderen Nachhaltigkeitsinitiativen dann als glaubhaft und sinnvoll erachtet werden kann, wenn sie die Kernkomponenten des Geschäftsmodells des Unternehmens betrifft. Bei aller Skepsis: Es gibt viele Beispiele für Unternehmen, die ihre gesellschaftliche und ökologische Verantwortung als Unternehmen ernst nehmen und Vorreiter in der Umsetzung von Nachhaltigkeit in ihrer Branche sind. Das ist begrüßens- und unterstützenswert. Insbesondere unter kleinen und mittelständischen Unternehmen finden sich zahlreiche Beispiele, die sowohl Lieferketten wie auch Produktionsweisen an klaren Nachhaltigkeitsstandards ausrichten, lebenswerte Löhne zahlen und regionale Wertschöpfung unterstützen.

CSR ist allzu oft nur eine Marketingstrategie

Allzu häufig betrifft CSR jedoch nicht das Geschäftsmodell des Unternehmens per se und hier beginnt die Schwierigkeit mit dem CSR-Ansatz. Denn dieser ist bisher freiwillig und von Unternehmen oder der Branche bis zu einem gewissen Grad auch frei definierbar. Die Tatsache, dass es schlichtweg dazu gehört, irgendeine Art von Nachhaltigkeitsstrategie zu definieren, lässt dessen Bedeutung verschwimmen. Wenn sich alle, wirklich alle für CSR einsetzen, was ist dann noch progressiv? Noch 2013 wurden beispielsweise Bayer und Volkswagen vom Dow Jones Sustainability Index als nachhaltige Vordenker in der Wirtschaft ausgezeichnet. Absurd angesichts der Agroindustrieproduktpalette von Bayer oder der Abgasskandale von VW. Hinzu kommt, dass CSR eben mittlerweile Standard in der internen und externen Unternehmenskommunikation ist. Das bedeutet zwar nicht immer, dass damit auch Nachhaltigkeit umgesetzt wird, aber dass ein entsprechendes Image an Kunden oder Investoren verkauft wird. Ein besonders drastisches Beispiel hierfür ist die Firma DeepGreen, die derzeit massiv für den Abbau von mineralischen Rohstoffen aus der Tiefsee wirbt. Das vom Unternehmen propagierte Narrativ spricht von sauberen Rohstoffen aus dem Meer, welche die Energiewende voranbringen und menschenrechtsverletzenden Bergbau an Land beenden werden. Dass Tiefseebergbau nach Ansicht zahlreicher Wissenschaftler und Zivilgesellschaft die dortige Umwelt zerstören und unvorhergesehene Auswirkungen auf das Meeresökosystem haben wird, wird vom Unternehmen bewusst heruntergespielt. Ebenso wird auch die Partnerschaft mit Glencore, der weltweit größten im Rohstoffbereich an Land tätigen Unternehmensgruppe, der u.a. Menschenrechtsverletzungen, Korruption und Umweltverschmutzung vorgeworfen wird, in der DeepGreen-Story als umweltfreundliche Investitionsanlage für grüne Energien nicht erwähnt.

Freiwilligkeit schränkt auch Konkurrenzfähigkeit ein

Das unternehmerische Engagement hinsichtlich Nachhaltigkeit beruht viel zu sehr auf Freiwilligkeit. Das ist zwar besser als nichts, aber letztlich schadet diese Freiwilligkeit der Glaubwürdigkeit von CSR. Man sollte also nicht der Illusion erliegen, dass die Anzahl der CSR-Strategien und die Dicke ihrer Berichte ein Indikator für die Nachhaltigkeit der Wirtschaft ist. Genauso wenig bedeuten die Worte von CEOs, wenn diese sich für gesellschaftliche Verantwortung aussprechen, das Geschäftsmodell ihres Unternehmens aber nicht ändern. Dies zeigte zuletzt eindrucksvoll Joe Kaeser von Siemens, der bei einer Konferenz Ende Februar zwar postulierte, Unternehmen sollten einem gesellschaftlichen Zweck dienen, sonst sollten sie eigentlich nicht existieren. Gleichzeitig hält Siemens aber weiterhin an seiner Beteiligung am kontroversen Adani-Kohlebergwerksprojekt in Australien fest.

Unternehmerisches Handeln braucht gesetzliche Rahmenbedingungen

Es braucht entsprechende gesetzgeberische Rahmenbedingungen, die jene Unternehmen stärken, die Nachhaltigkeit durch ihre Geschäftsmodelle realisieren und die bestrafen, die Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen begehen oder in Kauf nehmen. Ein Versuch, gesetzliche Regeln zu schaffen, ist der Vorstoß eines Lieferkettengesetzes. Vom BMZ und BMAS auf den Weg gebracht, stellt es den nächsten Schritt in der Umsetzung des Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte dar. 2016 hatte die damalige Große Koalition 2016 verabredet, dass ein Gesetz kommt, wenn sich nicht mindestens die Hälfte der Firmen freiwillig um die Einhaltung von Menschenrechten in ihren Lieferketten bemüht. Befragungen von Unternehmen laufen derzeit in der zweiten Runde. Auch ein Bündnis aus zivilgesellschaftlichen Organisationen fordert ein solches Lieferkettengesetz. Darin soll ein verbindlicher Rahmen festgelegt werden, durch den Unternehmen menschenrechtliche Sorgfaltspflichten auferlegt werden. Das bedeutet: Unternehmen, die Schäden an Mensch und Umwelt in ihren Lieferketten verursachen oder in Kauf nehmen, müssen dafür haften – und wer zu Schaden kommt, kann ein Unternehmen dafür zur Rechenschaft ziehen. Ein solches Gesetz ist ein erster Schritt. Grundsätzlich stellt sich aber auch die Frage, inwiefern es eigentlich überhaupt derart globalisierte Wertschöpfungsketten braucht und ob diese überhaupt nachhaltig sein können. Die globale Konkurrenz aller gegen alle führt dazu, dass heute so gut wie jedes Produkt viele Tausend Kilometer entlang sogenannter Wertschöpfungsketten um die Welt gefahren wird, bis es fertig ist. Schon der Transport trägt erheblich zum Klimawandel bei. Diese Form der Wirtschaft führt außerdem dazu, dass sich Umwelt- und Sozialdumping lohnen, weil es die Produkte verbilligt, und zudem von der Politik nicht mehr unterbunden werden können. Freihandelsabkommen aller Art sorgen seit Jahrzehnten dafür, dass so etwas möglich ist. So können sich Unternehmen leicht Versuchen entziehen, ihre Produktionsweisen regulativ nachhaltiger zu machen. Unternehmen, die umfassende Nachhaltigkeitsprinzipien in ihrer Unternehmensstrategie anwenden, bleiben so in der Nische– eigentlich in jedem Marktsegment.

Nachhaltigkeit lässt sich mit Freiwilligkeit nicht erreichen

Aus unserer Sicht sind CSR-Initiativen daher kein Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck. Wir halten nichts von der neoliberalen Ideologie, dass die Wirtschaft sich selbst reguliert und der Staat keine verbindlichen Vorgaben machen sollte. Wenn das heutige Wirtschaftssystem nachhaltiger werden soll, muss der Staat regulierend in Märkte eingreifen; bloße Appelle reichen nicht. Die Politik muss wieder ihren Job tun und gegenüber einer globalisierten Wirtschaft wieder handlungswillig und handlungsfähig werden. Und weil mehr soziale Gerechtigkeit zwingend auch eine Umverteilung wieder von oben nach unten statt umgekehrt voraussetzt, wird dies von der Wirtschaft auch nicht freiwillig gemacht. Ohne klare staatliche Vorgaben für eine Gemeinwohlorientierung der Wirtschaft geht es nicht. Unternehmen, die glaubwürdig bereits heute Schritte in diese Richtung gehen, zeigen, dass vieles möglich ist, wenn man will – und tragen deshalb zu diesem Zweck bei.


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Jürgen Maier ist Geschäftsführer und Marie-Luise Abshagen ist Referentin für nachhaltige Entwicklung beim Forum Umwelt und Entwicklung.

Kontakt: chef@forumue.de; abshagen@forumue.de


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