Beitrag im Newsletter Nr. 25 vom 16.12.2021

Gestalter:innen der Ziviligesellschaft. Ein Wettbewerb der Landesfreiwilligenagentur Berlin 2021

Carola Schaaf-Derichs

Inhalt

Die Sichtbarmachung bürgerschaftlichen Engagements
Zivilgesellschaft.Gestalten.Wir!
Europa als wichtiger Bezugsrahmen für das Engagement
Die Jury
Die Gestalter:innen der Zivilgesellschaft
Autorin
Redaktion

Die Sichtbarmachung bürgerschaftlichen Engagements

Die Anerkennungskulturen freiwilligen Engagements zeichnen sich seit einiger Zeit durch einen bemerkenswerten Wandel aus: weg vom inszenierten Event am besonderen Tag oder Ort, hin zur eindrücklich beispielgebenden, nachhaltigen medialen Präsentation des jeweils besonderen und persönlichem Engagements der freiwillig Tätigen für unsere Gesellschaft in Wort, Bild und Ton. Die Einschränkungen der aktuellen Coronazeit haben diesen Trend sicher befördert. Vor allem aber sind es die technischen Möglichkeiten der Digitalisierung, die solche Präsentationen online ermöglichen. Sie sind heute teilweise bereits niedrigschwellig und wenig aufwändig zugänglich.

Dies brachte uns auf die Idee für eine weitere Form der Anerkennung, der Sichtbarmachung bürgerschaftlichen Engagements. Denn dieses Anliegen verfolgt die Landesfreiwilligenagentur Berlin seit über zwanzig Jahren, entwickelt die Formen immer weiter, zunächst mit den Berliner Freiwilligentagen und seit 2010 mit der Berliner Engagementwoche. In unserem Aufruf zur 11. Berliner Engagementwoche 2021 setzten wir die Idee nun um:

»Die Landesfreiwilligenagentur Berlin leitet nach zwei vollendeten Dekaden in der Kampagnenarbeit für die Sichtbarmachung des Bürgerschaftlichen Engagements eine neue Entwicklung ein: von den »Übersichten« und detailgetreuen Hinweisen auf die vielfältige und vielschichtige Engagementlandschaft in Berlin hin zum Portrait von den Akteur:innen, zur Nahaufnahme und Wertschätzung derjenigen, die all dieses Engagement gestalten – und damit unsere Gesellschaft und unser Zusammenleben enorm bereichern. Wir finden, es ist höchste Zeit, diesen »Gestalter:innen der Zivilgesellschaft« einen besonderen Auftritt zu ermöglichen und sie vorzustellen.

Mit dem Wettbewerb wollen wir all jene »Gestalter:innen der Zivilgesellschaft« in Berlin erreichen, die vielleicht noch nicht so bekannt und ausgezeichnet wurden. Gerade sie sollen deshalb für ihren besonderen Einsatz von uns gewürdigt und im Rahmen der 11. Berliner Engagementwoche in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt werden.«

Zivilgesellschaft.Gestalten.Wir!

Motiviert durch unser Jahresmotto »Zivilgesellschaft.Gestalten.Wir!« hat die Landesfreiwilligenagentur Berlin in Kooperation mit dem Landesnetzwerk Bürgerengagement Berlin damit eine digitale Bühne zur Anerkennung geschaffen und erstmalig zu einem Wettbewerb »Gestalter:innen der Zivilgesellschaft« aufgerufen. Angesprochen fühlen durften sich alle Engagierten, die folgende sieben Merkmale in ihrem Engagement bewegt haben:

  • Engagement leisten: im freiwilligen, ehrenamtlichen, bürgerschaftlichen Engagement tätig sein, das nicht auf materiellen Gewinn ausgerichtet ist.
  • Integratives Handeln vorantreiben: d.h. integrative Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen entwickeln und umsetzen.
  • Inklusion und Diversity fördern: d.h. davon ausgehen, dass jeder Mensch ganz natürlich zur Gesellschaft und zur Einen Welt dazu gehört. Es geht um die Anerkennung und Wertschätzung aller Menschen unabhängig von ihrer sozialen, ethnischen etc. Herkunft, ihrem Geschlecht, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Religionszugehörigkeit oder Weltanschauung, ihrem Lebensalter, ihrer physischen oder psychischen Fähigkeiten oder anderer Merkmale. Wir sind alle gleichwertig zu behandeln.
  • Transparent und verantwortungsvoll handeln: d.h. freiwillige Arbeit transparent und nachvollziehbar kommunizieren sowie öffentlich machen, verantwortungsvoll agieren.
  • Wirksamkeit erzielen: d.h. wirksame Methoden für eigene Arbeit und Projekte einsetzen und sie kritisch evaluieren.
  • Europäische Werte einbeziehen: d.h. einen Beitrag zum europäischen Gemeinschaftsgedanken leisten und über die Grenzen Berlins und Deutschlands hinaus verantwortungsvoll im Sinne der europäischen Gemeinschaft handeln, oder auch der internationalen.
  • Vorbild und Anstifter:innen sein: d.h. mit eigenem Handeln auch andere zivilgesellschaftliche Akteur:innen ansprechen und inspirieren.

Europa als wichtiger Bezugsrahmen für das Engagement

Berlin war im Jahr 2021 die Europäische Hauptstadt der Freiwilligen (European Volunteer Capital, kurz: EVC), ausgezeichnet vom CEV, dem Centre for European Volunteering, mit Sitz in Brüssel, und somit auch siebte Stadt in Europa mit diesem Titel. Überzeugt von der zunehmenden Bedeutung Europas für die zivilgesellschaftlichen Fragen, aber natürlich auch aus Anlass des EVC-Titels, hat die Landesfreiwilligenagentur Berlin speziell auch nach den Europabezügen der engagierten Gestalter:innen gefragt. Erstaunlich viele Bewerbungen kamen trotz dieser sieben hohen Hürden zusammen. Sie machten allesamt deutlich, dass Europa weitaus öfter als Bezugs- und Ausrichtungsrahmen für die Gestaltung Bürgerschaftlichen Engagements ist, als es auf den ersten Blick den Anschein haben mag. Eine für uns als überzeugte Europäer:innen sehr gute Nachricht!

Was wir außerdem ermöglichen wollten, war die Chance zur Selbstbewerbung der Hochengagierten in einem Wettbewerb. Denn viele von ihnen, vor allem in Vorständen und besonderen Funktionen Tätige, weichen einer Anerkennungskultur eher aus – aus Bescheidenheit, aus Mangel an Zeit oder aufgrund eigener anderer Prioritäten. Indem wir die Selbstbewerbung aber explizit hervorhoben, waren beide Wege eröffnet: das Vorschlagen einer Person, sofern diese einverstanden ist, als auch der Eigenvorschlag. Unser Anliegen galt hier der Aufmerksamkeit für die eigene Selbstwirksamkeit, für das so notwendige Selbstvertrauen und letztlich auch einer Selbstsicherheit im Tun von Engagierten. Der Gedanke, mit den eigenen Kompetenzen, Erfahrungen und Überzeugungen demokratie- und entwicklungsfördernd zur Gesellschaft beizutragen, ist aus heutiger Sicht unbedingt als Eigenwert zu unterstreichen, den zivilgesellschaftliche Akteur:innen auch im besten Sinne selbstbewusst und konstruktiv-kritisch leisten können sollen.

Die Jury

In der Jury legten wir dementsprechend Wert auf diese zentralen Aspekte als Bewertungskriterien: gesellschaftliche Vielfalt, Inklusion und umfassende eigene Erfahrungshintergründe zu den Feldern diversen Engagements. Die Landesfreiwilligenagentur Berlin hat seit über zehn Jahren ihren Schwerpunkt auf Diversitätsoffenheit / Diversity und auf das Leitbild einer inklusiven Gesellschaft gelegt und daher ein reichhaltiges Netzwerk an einschlägigen Kontakten.

Aus dem Landesnetzwerk Bürgerengagement Berlin konnten wir für die Jury gewinnen:

  • Guido Monreal, Netzwerk Großbeerenstraße (Unternehmensnetzwerk mit Schwerpunkt Übergang Schule – Beruf, Förderung von Patenschaften, Mentoring, Azubi-Inis, Antirassismus-Projekte u.v.a.m.)
  • Dagmar Wehle, VdK Berlin-Brandenburg (Schwerpunkt Ältere, Alleinlebende, soziale Not, Zusammenhalt u.v.a.m.)
  • Marie Höpfner, Miteinander ohne Grenzen 61 e.V. (mog61), (lokale Initiative in Kreuzberg, Schwerpunkt Nachbarschaft, Toleranz, Teilhabe, Zusammenhalt, Inklusion, lokale Kooperation u.v.a.m.)

Aus anderen Netzwerk-Kontakten:

  • Gerlinde Bendzuck, Landesverband Selbsthilfe Berlin e.V. (Schwerpunkt Teilhabe für Menschen mit Behinderung, Inklusion, Digitalisierung, Vernetzung u.v.a.m.)
  • Nino Kavelashvili, BBE für Europa (Schwerpunkt Europa Newsletter, Information, Europapolitik, europäische Initiativen und Netzwerke, Europäische Bürgerinitiative, Zukunftskongress für Europa, u.v.a.m.)
  • Tobias Frietzsche, Leiter des Büros des EVC 2021 Berlin (Schwerpunkte im EVC-Programm u.a. Seelische Gesundheit, Digitalisierung, Zusammenhalt, neue Freiwillige u.v.a.m.)
  • Petra Götze, Engagement-Newsletter der Berliner Morgenpost (Schwerpunkt Engagement für Berlin, Stadtgesellschaft, Zusammenhalt, Medien und Öffentlichkeit, u.v.a.m.)

Die Einladung zum Wettbewerb sprach die Landesfreiwilligenagentur Berlin digital aus.

Zur Wettbewerbseinladung

Alle Jury-Mitglieder waren ehrenamtlich tätig und wurden in Form von Kurz-Interviews zu ihrer Motivation, an diesem Wettbewerb teilzunehmen, vorgestellt. Mit diesen wirklich eindrucksvollen Portraits und Beiträgen als Testimonials der Jury konnte der Auftakt zum Wettbewerb am Europatag 2021 gelauncht werden.

Zu den Testimonials der Jury

Vorab konnten wir die Förderin des Wettbewerbs zugleich als Schirmherrin gewinnen: Senatorin Elke Breitenbach aus der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales Berlin. Auch sie stellte sich in ihrer Funktion digital vor.

Zur Vorstellung von Elke Breitenbach

Unser Zeitablauf war vom Kick-off am Europatag, 05. Mai 2021, bis zur Vorstellung der Gewinner:innen am 14. September 2021 im Rahmen der 11. Berliner Engagementwoche eng getaktet.

Dreißig hochkarätige Bewerbungen trafen im Bewerbungszeitraum bis Ende Juni ein, die Auswahl von fünf Gewinner:innen war bei der Videokonferenz der Jury im August keine leichte.

Am 14. September 2021 konnten wir einen Open Air Live Act zur Verleihung der Urkunden und Übergabe der Preise (Demokratie-Box der Offenen Gesellschaft, EVC-Study-Visit-Tasche, Pressemitteilung und Urkunde im Rahmen) bei schönster Sonne an zentraler Stelle inszenieren: Am Pariser Platz, direkt vor dem Haus der Europäischen Kommission in Berlin, in der gerade an diesem Tag der Study Visit von CEV-Mitgliedern stattfand. Die Schirmherrin hatte sich über eine Stunde Zeit genommen und auch das Jury-Mitglied Tobias Fritsche vom ECV-Büro kam zu diesem Anlass von der CEV-Konferenz zur Verleihung. Von unserer Seite waren die beiden Kollegen für Presse und für Online-Journalismus dabei, Bernd Schüler und René Tauschke, sowie ich, Carola Schaaf-Derichs, als Ideengeberin und Verantwortliche.

Mit einem kleinen Drehbuch unterstützt, konnte die feierliche Verleihung von statten gehen und in fröhlicher Runde anschließend noch mit reichlich Gesprächen nach dem Foto-Shooting und einem Umtrunk ausklingen.

Hier ein paar Eindrücke

Mein persönliches Erleben war, dass die so Ausgezeichneten große, aufrichtig tiefe Freude empfanden, dass die Jury zurecht die Endauswahl lange diskutiert hatte und nun stellvertretend für alle Preiswürdigen fünf beeindruckende, sehr verschiedene Persönlichkeiten auf unserem Podium der Anerkennung standen.

Ihnen gebührt daher auch der Auftritt am Ende dieses Beitrages, denn das Beste kommt zum Schluss:

Die Gestalter:innen der Zivilgesellschaft

Unsere Gestalter:innen der Zivilgesellschaft 2021, zunächst im Interview auf der für sie bereiteten digitalen Bühne.

Zum Interview

Und zitiert aus unserer Pressemitteilung:

Er kennt den Krieg, liebt den Frieden - und engagiert sich für obdachlose Menschen: Maseihulla Nabizada

Vor Jahren migriert aus Afghanistan, muss ihm niemand erzählen, was es bedeutet, notleidend zu sein. Vielleicht scheut er deshalb auch in der Notübernachtung für obdachlose Menschen am Hauptbahnhof keinen Einsatz, die Dusche für Rollstuhlfahrer und das Bettenabziehen ebenso wenig wie Gespräche mit den besonders gebeutelten Klient:innen. Seine vielfältigen Sprachkenntnisse und sein großes Herz helfen dem ›Brücken¬bauer‹ dabei – und der Umstand, dass seine Herkunft für niemanden eine Rolle spielt.

Sie verkuppelt Bücherwürmer mit Kindern zum Lese-Date: Ursula Frommholz

Seit 2007 ehrenamtliche Vorständin von Lesewelt Berlin e.V., hat sie wirklich einen langen Atem bewiesen. Ein beharrliches Engagement für etwas, was vieles auf- und erschließt: Lese-Interesse und -Kompetenz von Kindern, denen das nicht in die Wiege gelegt ist. Ihr Verein organisiert Vorlesestunden für bildungsbenachteiligte Kinder im Alter von vier bis zwölf Jahren in Berliner Bibliotheken und Kitas mit Hilfe von ehrenamtlichen Vorlesepaten.

Sie sammelt Stimmen, die Vergangenheiten erzählen und deren Lektionen bewahren: Dr. Gertrud Achinger

Mittlerweile 84 Jahre, kann sie selbst von vielem erzählen. Aber als langjährige Vorständin der ZeitZeugenBörse Berlin e.V., für den sie seit 20 Jahren aktiv ist, sucht die Soziologin immer noch Menschen, in deren Berichten Vergangenes gegenwärtig bleiben kann. Aktuell betreut sie dafür Zeitzeug:innen mit Migrationshintergrund. Nie scheut sie die Bürokratie, das Anträge schreiben. Aber lieber gewinnt sie junge Menschen, die ehrenamtlich im Verein mitarbeiten.

Sie sorgt für einen sicheren Hafen, in dem ehemalige Heimkinder zu sich kommen können: Sabrina Knüppel

Unermüdlich ist ihr Engagement zugunsten der Königsheider Eichhörnchen e. V. Ein Verein, der Bewohner:innen des ehemals größten Kinderheimes der DDR zusammenbringt und betreut. Lange war deren Leid tabuisiert, ihre Traumata nicht anerkannt, ihre körperliche Versehrung bagatellisiert. Betroffene schämten sich, ›Heimkind‹ zu sein. Umso wertvoller, wenn Sabrina Knüppel als Vorständin Gemeinschaftserlebnisse ermöglicht, die Aufgehobensein und Selbstvertrauen vermitteln.

Sie bietet eine starke Schulter, wenn die ganze Welt voller Hürden und Widerstände ist: Theresa Kupke

Gut möglich, dass sie die schwerste Aufgabe hat, die man sich ehrenamtlich vorstellen kann. Seit 2015 hat sie fünf junge Menschen aus Syrien, Afghanistan und Guinea begleitet – im Rahmen ehrenamtlicher Einzelvormundschaften für unbegleitete minderjährige Geflüchtete. Das bedeutet: die Mündel rechtlich vertreten, sie menschlich stärken, ihnen dauerhafte Perspektiven bieten. Im Hintergrund die Armut, die Gewalt, die Entwurzelung, die sie erfahren haben. Das braucht so viel Herz wie Expertise. akinda, das Berliner Netzwerk Einzelvormundschaften, ist ihr und vielen anderen sehr dankbar dafür.


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Autorin

Carola Schaaf-Derichs ist Mitglied des BBE-Sprecher*innenrates und Geschäftsführerin der Landesfreiwilligenagentur Berlin e.V.

Kontakt: schaaf-derichs@landesfreiwilligenagentur.berlin


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