Frühe Fragen, späte Einsichten. Digitaler Wandel und Zivilgesellschaft auf dem Podium
Serge Embacher
Inhalt
Eine funktions- und widerstandsfähige Zivilgesellschaft braucht digitale Kompetenz
Die Stimme der Zivilgesellschaft
Fazit
Autor
Redaktion
Eine funktions- und widerstandsfähige Zivilgesellschaft braucht digitale Kompetenz
Bei der Abschlusskonferenz des »Forum Digitalisierung und Engagement« am 13. Oktober 2021 im Umweltforum Berlin gab es zwei Podien, die unterschiedlicher nicht sein konnten und doch am Ende in dieselbe Richtung liefen. Nach zwei Jahren Projektlaufzeit und vier Dialogforen ging es darum, die Ergebnisse an einem Tag gebündelt zu präsentieren und zu diskutieren. Das konnte natürlich nur ansatzweise gelingen, weswegen wir demnächst eine ausführliche Abschlussdokumentation vorlegen, die das Projekt dann noch einmal detailliert bilanzieren wird.
Das erste Podium bestand aus Abgeordneten des Deutschen Bundestages – Dr. Anna Christmann, MdB (Bündnis 90/Die Grünen), Falko Mohrs, MdB (SPD), Mario Brandenburg (FDP) – und des Berliner Abgeordnetenhauses (Hendrikje Klein / Die Linke). Die Union war nicht vertreten, weil sich auch nach wochenlangem Bemühen kein MdB aus der Fraktion hatte finden lassen, der Zeit und/oder Lust gehabt hätte, dabei zu sein. Wir hätten gerne etwas zu den Positionen der Union im Themenfeld Digitalisierung und Engagement gehört! Die AfD war nicht vertreten, weil sie wegen ihrer rechtspopulistischen und demokratiepolitisch problematischen Tendenzen bislang grundsätzlich aus den Veranstaltungen des BBE herausgehalten wird. Zusätzlich sei dazu festgehalten, dass die AfD in den bisherigen vier Jahren ihrer Parlamentszugehörigkeit auf Bundesebene noch nicht einen guten oder weiterführenden Beitrag zur engagementpolitischen Debatte geleistet hat.
Der Eindruck, der von dem Podium, das von Alexander Thamm sehr gekonnt moderiert wurde, mit Blick auf das Thema Digitalisierung und Engagement stehen bleibt, kann vorsichtig optimistisch resümiert werden. Angesichts der grassierenden Krisen, denen sich unsere Gesellschaft auf verschiedenen Feldern ausgesetzt sieht (Corona, Klimawandel, Zuwanderung, soziale Verwerfungen, demokratische Kultur), scheint die Bedeutung einer aktiven Zivilgesellschaft in den Reihen der professionellen Politik mittlerweile erkannt worden zu sein. Ohne gemeinnützige Organisationen (Vereine, Verbände, Initiativen) und das Engagement der Vielen werden sich die grundlegenden Probleme unserer Zeit nicht lösen lassen, das war unisono durchzuhören. Ebenso wenig übrigens wie ohne die richtigen politischen Rahmenbedingungen, die nur der Gesetzgeber auf den Weg bringen kann.
Dass zu einer funktions- und widerstandsfähigen Zivilgesellschaft auch die Digitalisierung gehört, schien ebenfalls parteiübergreifend Konsens zu sein. Dies in zweierlei Hinsicht: Zum einen braucht die Zivilgesellschaft – eine der vielen Einsichten aus Corona – einen Schub an digitaler Kompetenz und Organisationsentwicklung, zum anderen kann sie selbst dazu beitragen, dass der Digitale Wandel andere als die bislang eingeschlagenen Pfade nimmt und endlich Alternativen zur Digitalisierung im Dienste des Profits (Stichwort: Plattformökonomie) und der staatlichen Kontrolle (Stichworte: Staatstrojaner und Vorratsdatenspeicherung) gesucht und gefunden werden.
Am Ende dieser vormittäglichen Runde, der all die frühen, aber eben noch unbeantworteten Fragen schon aus Zeit der Enquete-Kommission zur Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements (2000 bis 2002) vorgelegt wurden, blieben einige Erkenntnisse stehen. Ja, man will sich parteiübergreifend um die Einsetzung eines ordentlichen Ausschusses für bürgerschaftliches Engagement im Bundestag einsetzen. Ja, man befürwortet die Aufwertung des Engagementthemas in der neu zu bildenden Bundesregierung. Und ja, man will sich für die Lösung der Probleme beim stockenden Breitbandausbau und für eine stärkere Förderung digitaler Kompetenz in gemeinnützigen Organisationen einsetzen. Dass eine Einrichtung wie das Forum Digitalisierung und Engagement eine Fortsetzung verdienen würde, wurde ebenfalls zugestanden. Man wird gespannt sein dürfen, wie die am Anfang der Legislaturperiode immer starken Ambitionen in gestaltende Politik umgesetzt werden.
Die Stimme der Zivilgesellschaft
Das zweite Podium unter dem Titel »Zivilgesellschaft am Katzentisch? Perspektiven der Selbstermächtigung« besetzten Vertreter*innen der Zivilgesellschaft – Jochim Selzer vom Chaos Computer Club (CCC), Anne-Sophie Pohl von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen (bagfa), Anna Wohlfahrt von der Stiftung Neue Verantwortung (snv) und Katarina Peranić von der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE). Okay, zugegeben, Katarina Peranić vertritt jetzt eine staatliche Einrichtung, doch wird sie durch ihre langjährige Tätigkeit für die Stiftung Bürgermut für viele immer noch in die Abteilung Zivilgesellschaft einsortiert. Und zivilgesellschaftlich geprägt ist auch ihr Denken, weshalb es für »das Feld« eine glückliche Fügung ist, dass sie aus »dem Feld« stammt und die immer noch neue Stiftung mit dieser Perspektive versieht.
Man könnte sagen, dass diese zweite – nachmittägliche – Podiumsrunde die frühen Fragen der ersten Runde mit späten Einsichten versah, die gleichfalls schon lange in der Luft liegen. Katarina Peranić bestätigte anhand der Erfahrungen aus ihrer bisherigen Arbeit für die DSEE den riesigen Bedarf an Orientierung und Ausstattung im Prozess der Digitalisierung der Zivilgesellschaft. Anne-Sophie Pahl sah bei den Freiwilligenagenturen ebenfalls einen Aufbruch in neue Formen des Engagements, der Beratung und der Qualifizierung. Jochim Selzer bestätigte die Funktion der Zivilgesellschaft als Antreiberin für eine andere, bessere Digitalisierung. Und Anna Wohlfahrt betonte die Notwendigkeit einer viel stärkeren Vernetzung der Zivilgesellschaft in Fragen des Digitalen Wandels, um zu mehr Gemeinsamkeiten und »Voice« zu gelangen.
Zur titelgebenden Frage, ob die Zivilgesellschaft denn nun bei den großen Themen der Digitalisierung am Katzentisch sitzt oder eher nicht, setzte man dem leicht pessimistischen Grundton des Moderators doch deutlich andere Akzente entgegen. Die Zivilgesellschaft sei in den letzten Jahren deutlich hörbar geworden, auch wenn diese Entwicklung natürlich noch weitergehen müsse. Vielleicht verhalte es sich so, dass die Zivilgesellschaft es nicht gewohnt sei, die eigene Expertise in den Vordergrund der Debatte zu rücken, war eine Vermutung, die geäußert wurde. Dass diese Expertise vorhanden ist, machte vor allem Jochim Selzer am Beispiel der regelmäßigen Interventionen des CCC in die laufende digitalpolitische Debatte deutlich. Wenn es tatsächlich irgendwo hapern sollte, dann am gemeinsamen strategischen Denken und Handeln im Digitalen Wandel, so Selzer. Die Auseinandersetzung mit der Digitalisierung könnte noch viel stärker forciert, Positionen viel stärker gemeinsam artikuliert werden; eine Aufgabe, bei der das BBE künftig eher mehr als weniger gefragt sein wird.
Fazit
Am Ende wurde sehr schön deutlich, dass es für gemeinnützige Organisationen zwei Digitalisierungsperspektiven gibt. Die eine kreist um Fragen der Ausstattung und der Kompetenz, die andere um die Frage der Positionierung und kollektiven Artikulierung von engagement- und digitalpolitischen Interessen. Die Podien auf der Abschlusskonferenz des »Forum Digitalisierung und Engagement« haben gezeigt, dass der vielbeschworene Aufbruch der Zivilgesellschaft in den Digitalen Wandel längst im vollen Gange ist. Auf jeden Fall müssen wir hier künftig noch viel mehr Gelegenheiten und Formate für Debatte und Diskurs schaffen, eine netzwerkpolitische Aufgabe par excellence.
Beitrag im Newsletter Nr. 24 vom 2.12.2021
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.
Autor
Dr. Serge Embacher ist Mitarbeiter der BBE-Geschäftsstelle und leitet die Projekte »STUDI-UM HOCH E« und »Forum Digitalisierung und Engagement«.
Kontakt: serge.embacher@b-b-e.de
Redaktion
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