Newsletter Nr. 24 vom 1.12.2022

Teilhabe ermöglichen!

Charlotte Reichardt

Inhalt

Barrieren in der internationalen Jugendarbeit erkennen

Handlungsempfehlungen: Barrieren abbauen – Inklusion ermöglichen

Inklusion braucht Kooperationen und Netzwerke

Inklusive Öffentlichkeitsarbeit – Diversität hat ALLE im Blick

Wer Inklusion will, sucht Wege!

Endnoten

Autorin

Redaktion

Barrieren in der internationalen Jugendarbeit erkennen

Ehrenamtliches Engagement gilt als ein wichtiger Pfeiler für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und als Stärkung der Demokratie, wie es auch derzeit im politischen Geschehen in Deutschland wieder thematisiert wird. Aber nicht nur für die Gesellschaft bringt ehrenamtliches Engagement einen Mehrwert, auch Arbeitgeber*innen bewerten soziales Engagement von Bewerbenden als sehr positiv. [1]

Für junge Menschen bedeutet ein Freiwilliges Jahr nach der Schule, nach der Ausbildung oder im bzw. nach dem Studium, Neues kennenzulernen, sich sozial zu engagieren und sich beruflich und persönlich weiterzuentwickeln. Bei Freiwilligendiensten im Ausland können weitere Kompetenzen und Eigenschaften erlangt werden, wie etwa Fremdsprachenkenntnisse, Selbstständigkeit, Anpassungsfähigkeit und kulturelle Sensibilität.

Diese Erfahrungen und Möglichkeiten, die eigene Persönlichkeit weiterzuentwickeln, bleibt jedoch oft marginalisierten Gruppen verwehrt. So stoßen junge Menschen mit Beeinträchtigung/Behinderung regelmäßig auf Barrieren, die die Teilhabe an Programmen des Auslandsfreiwilligendienstes erschweren.

Bei Teilnehmenden von staatlich geförderten internationalen Freiwilligendiensten handelt es sich um eine relativ homogene Gruppe mit einem Abiturient*innen-Anteil von rund 90%. [2] Der geringe Anteil an Jugendlichen ohne Abitur liegt nicht an ihrem fehlenden Interesse, wie die Zugangsstudie »Warum nicht? Studie zum internationalem Jugendaustausch: Zugänge und Barrieren« zeigt. [3] Es ergibt sich somit die Frage: Wo liegen die Barrieren, die eine Teilnahme von jungen Menschen in ihrer Diversität erschweren?

Am Beispiel von Menschen mit Beeinträchtigung/ Behinderung wurden mögliche Antworten auf die Frage in einer Handlungsempfehlung erarbeitet. Das Modellprojekt »Teilhabe fördern: Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigung/Behinderung im Rahmen von internationalem Engagement« hat sich näher mit Barrieren, die die Teilhabe von jungen Menschen mit Beeinträchtigung/Behinderung verhindern bzw. erschweren auseinandergesetzt und eine Handlungsempfehlung für Entscheidungsträger*innen und Akteur*innen der Internationalen Jugendarbeit erstellt. Das Projekt wurden von April 2017 bis März 2022 von der Organisation Behinderung und Entwicklungszusammenarbeit e.V. (bezev) umgesetzt und von der Aktion Mensch Stiftung gefördert. Im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung des Projektes durch die INBAS-Sozialforschung GmbH wurden Entsendeorganisationen und Beratungsstellen von Auslandsfreiwilligendiensten befragt, sowie ehemalige Freiwillige und Interessierte. Ein zentrales Erkenntnisinteresse lag in der Frage, wo mögliche Ansatzpunkte sind, um unterrepräsentierten Gruppen, in diesem Fall Menschen mit Beeinträchtigung/Behinderung, gleichberechtigte Teilhabechancen zu bieten.

Handlungsempfehlungen: Barrieren abbauen – Inklusion ermöglichen

Inklusion ist ein Leitprinzip und eine Vision, welche unterschiedliche Bereiche und Ebenen durchleuchtet. Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass ein Recht auf Teilhabe und Gleichbehandlung gesetzlich klar verankert ist und somit auch ein Anspruch auf dieses Recht besteht. Wie können also dieses Recht im Auslandsfreiwilligendienst umgesetzt und Barrieren abgebaut werden?

Bestehende Strukturen und Denkmuster sind an vielen Stellen noch geprägt von einem Behinderungsbegriff, der auf den sogenannten Fürsorgeansatz zurückgeht und einen stark defizitorientierten Blick auf Beeinträchtigung/Behinderung aufweist. Hier muss angesetzt werden und der durch die UN-Behindertenrechtskonvention eingeläutete Paradigmenwechsel hin zu einem sozial und menschenrechtlich basierten Verständnis von Behinderung vollzogen werden. Dieses versteht »Behinderung« als Wechselwirkung zwischen den Beeinträchtigungen von Menschen und den Barrieren in ihrer Umwelt, auf die sie stoßen und welche eine gleichberechtigte Teilhabe und Partizipation verhindern können. [4]

Auf der Basis dieses neuen Verständnisses von Behinderung können bestehende Barrieren der Teilhabe identifiziert und in einem weiteren Schritt abgebaut und somit inklusive Strukturen geschaffen werden. An diesen Schritten sollten alle Mitarbeitenden einer Organisation, Behörde oder eines Unternehmens beteiligt sein. Ziel sollte es sein, dass die internationalen Freiwilligendienst-Programme so gestaltet werden, dass die Teilhabe aller jungen Menschen selbstverständlich möglich ist, unabhängig von ihrer Herkunft, Bildungssituation, Beeinträchtigung etc. Aufbauend auf dieser Grundlage wurden in dem Modellprojekt zehn Handlungsempfehlungen erstellt, die zuständige Ministerien/Programmverantwortliche sowie Beratungsstellen und Entsendeorganisationen adressieren. [5] An dieser Stelle soll auf zwei Schwerpunkte eingegangen werden.

Inklusion braucht Kooperationen und Netzwerke

Im non-formalen Bildungsbereich, vor allem in Freiwilligendienstprogrammen, gibt es viele unterschiedliche Netzwerke, die sich immer wieder überschneiden. Hier ist ein wichtiger Ansatzpunkt und eine Chance, alle Akteur*innen in die Umsetzung von Inklusion miteinzubeziehen. Inklusion ist eine allumfassende Vision und erscheint am Anfang als Herausforderung. Jedoch gibt es einige Organisationen, die inklusiv arbeiten und von denen gelernt werden kann. Durch Kooperationen und Netzwerke, die sich organisationsübergreifend bilden, bieten sich Chancen, sich aktiv über die praktische Umsetzung der eigenen inklusiven Arbeit auszutauschen, und die Netzwerke können eine praxisnahe Hilfe für das pädagogische und administrative Personal der eigenen Organisationen sein.

Gleichzeitig bieten programmübergreifende Netzwerke und Gremien den Verantwortlichen aus unterschiedlichen Programmen eine gute Möglichkeit zum Austausch über aktuelle Themen. In diesem Austausch kann eine aktive Mitgestaltung von Inklusionsprozessen stattfinden, indem konkrete Bedarfe identifiziert werden, Forderungen formuliert und gemeinsam gegenüber Entscheidungsträger*innen kommuniziert werden. [6]

Inklusive Öffentlichkeitsarbeit – Diversität hat ALLE im Blick

Alle im Blick zu haben bedeutet, sich über die Diversität und Unterschiedlichkeit von Menschen, ihren Lebenswelten und ihren Bedarfen im Klaren zu sein und diese dann konkret anzusprechen und wahrzunehmen. In der Umsetzung bedarf es einer Ansprache und Aufbereitung der Informationen, die die Zielgruppe auch erreicht. Das Problem: Informationen und Zielgruppenansprachen von Entsendeorganisationen sind häufig nicht inklusiv ausgerichtet. Die Informationsmaterialien sind oft nicht barrierefrei, weil sie in schwerer Sprache formuliert sind oder durch einen Screen-Reader nicht lesbar sind. Neben der äußeren Form spielt jedoch auch der Inhalt eine signifikante Rolle. So berichten Interessierte mit Beeinträchtigung/Behinderung, die das Beratungsangebot von bezev in Anspruch nehmen, davon, dass sie erst aufgrund einer bezev-Veranstaltung von den Möglichkeiten eines inklusiven Auslandsengagements erfahren. Auch ist eine häufige Rückmeldung, dass durch exklusive Erfahrungen, die die einzelnen Personen erlebt haben, nicht davon ausgegangen wird, dass mit Formulierungen auf Informaterialien, wie »Wir sind offen für alle« auch Menschen mit Beeinträchtigung/Behinderung mitgedacht werden. [7]

Positiv wirkt es sich aus, wenn die Öffentlichkeitsarbeit das Thema Beeinträchtigung/Behinderung abdeckt, indem z.B. darauf hingewiesen wird, dass die Organisationen Erfahrungen mit Freiwilligen mit Beeinträchtigung/ Behinderung haben und sich über eine Bewerbung freuen. Auch der Ort der Zielgruppenansprache sollte so gewählt werden, dass es wahrscheinlich ist, dass Menschen mit Beeinträchtigung/Behinderung von den Möglichkeiten erfahren. Diese Orte müssen proaktiv aufgesucht werden, da sich im Laufe der letzten Jahrzehnte und bedingt durch den deutschen Bildungssektor Parallelstrukturen aufgebaut haben. [8]

Wer Inklusion will, sucht Wege!

Die beiden Ausschnitte aus den zehn Handlungsempfehlungen sollen zeigen, dass es bereits Möglichkeiten und gute Beispiele an Organisationen gibt, die inklusive Möglichkeiten für Auslandsengagement schaffen und von denen gelernt werden kann. In Schulungen, Beratungen und Gesprächen zeigt sich deutlich, dass viele Organisationen große Offenheit für einen inklusive Umgestaltung ihres Freiwilligendienstes haben, allerdings Unsicherheit darüber herrscht, wie Inklusion umgesetzt werden kann und erste Schritte aussehen könnten.


Endnoten

[1] Behinderung und Entwicklungszusammenarbeit e.V., Inklusive Gestaltung von ehrenamtlichem Engagement. Am Beispiel von internationalen Jugendfreiwilligendiensten. Handlungsempfehlung für Entscheidungsträgerinnen und Akteurinnen der Internationalen Jugendarbeit, Essen, 2022.

[2] Forschung und Praxis im Dialog (FPD), Warum nicht? Studie zum internationalen Jugendaustausch: Zugänge und Barrieren. Die Zugangsstudie - Ergebnisse des Forschungsprojektes, Köln 2019.

[3] Ebd.

[4] Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention/UN-BRK), 2016.

[5] Vgl. Handlungsempfehlung, 2022.

[6] Vgl. Handlungsempfehlung, 2022.

[7] Vgl. Ebd.

[8] Vgl. Handlungsempfehlung, 2022.


Beitrag im Newsletter Nr.24 vom 1.12.2022

Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.

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Autorin

Charlotte Reichardt ist Projektkoordination für Inklusives Auslandsengagement bei »Behinderung und Entwicklungszusammenarbeit e.V. (bezev)«.

Kontakt: reichardt@bezev.de

Web: www.bezev.de


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