Beitrag im Newsletter Nr. 23 vom 19.11.2020

Der erste Zyklus mit dem neuen Freiwilligendienste-Teilzeit-Gesetz – große Erlebnisse, weite Wege

Dr. Julia Schlicht

Inhalt

Worum geht es
Das Freiwilligendienste-Teilzeit-Gesetz
Wie gelingt die Umsetzung?
Einblicke aus der Freiwilligen-Praxis
Erfahrungen aus Sicht der Träger – Lerneffekte und Gelingfaktoren
Autorin
Redaktion

Worum geht es

Am 10. Mai 2019 ist das Freiwilligendienste-Teilzeit-Gesetz in Kraft getreten. Ein Jahrgang Freiwilliger hat unter den neuen gesetzlichen Vorgaben den Freiwilligendienst durchgeführt – darunter auch einige, die die neue Teilzeitlösung genutzt haben. Es ist daher an der Zeit, die ersten Erfahrungen zu reflektieren.

Das Freiwilligendienste-Teilzeit-Gesetz – gesetzliche Voraussetzung zur Erreichung »neuer« Zielgruppen

Jugendliche Interessierte bis 27 Jahre können intensive Erfahrungen in einem Freiwilligendienst – einem Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) oder einem Bundesfreiwilligendienst (BFD) für unter 27-Jährige – sammeln. Eine der Voraussetzungen ist, dass sie in Vollzeit in der jeweiligen gemeinnützigen Einrichtung aktiv sind (vgl. § 2 Abs. 2 a JFDG und § 2 Abs. 2 a BFDG). Die Vollzeittätigkeit ermöglicht den jungen Menschen ein intensives Erleben, eine beziehungsorientierte Begleitung durch die pädagogischen Fachkräfte und vermittelt ein realistisches Bild des Berufslebens. Ungeachtet der vielen Vorteile, die eine Vollzeittätigkeit insbesondere aus pädagogischer Sicht den Jugendlichen bietet, stellt dies auch ein Hinderungsgrund für einige Menschen dar. Um möglichst vielen Menschen den Zugang zu Freiwilligendiensten zu eröffnen, wurden mit der Einführung des Freiwilligendienste-Teilzeit-Gesetzes die Rahmenbedingungen hierfür geschaffen. Gehören interessierte Menschen zu einer bestimmten Personengruppe, ist es möglich, dass sie in Teilzeit, mit mehr als 20 Stunden die Woche, in einer gemeinnützigen Einrichtung aktiv sind. Dies sind bspw. Menschen, die ein eigenes Kind oder einen nahen Angehörigen zu betreuen haben, aufgrund von Krankheiten nicht die regelmäßige tägliche oder wöchentliche Zeit in der Dienststelle verbringen können oder eine Weiterbildung absolvieren. Anhand der Beispiele wird deutlich, dass ein Freiwilligendienst in Teilzeit für Personen gedacht ist, die aufgrund bestimmter individueller Voraussetzungen einen Vollzeitdienst nicht leisten können. Das Freiwilligendienste-Teilzeit-Gesetz zielt daher auf eine inklusive Öffnung.

Wie gelingt die Umsetzung?

Sofern eine interessierte Person ein berechtigtes Interesse aufweist, eine Einsatzstelle gefunden wird, die einen Dienst in Teilzeit ermöglicht und der Freiwilligendienst-Träger zustimmt, können Lösungen hinsichtlich der Dienstzeit für Menschen gefunden werden, um ihnen den Einstieg in den Freiwilligendienst zu erleichtern. Darüber hinaus ist es auch möglich, dass bei vorliegenden Voraussetzungen der Tätigkeitsumfang während des Freiwilligendienstes reduziert oder erhöht wird, um somit den individuellen Bedarfen der Freiwilligen entgegenzukommen.

Die Absprachen hinsichtlich des Dienstes erfolgen zwischen Freiwilligen, Träger und Einsatzstelle. Die Beantragung ist durch ein ergänzendes Beiblatt im BFD und in Form einer Dokumentation im FSJ durchzuführen. Ein Nachweis zum Vorliegen der Kriterien muss in der Einsatzstelle oder beim Träger zu Prüfungszwecken vorgehalten werden. Damit wird eine niedrigschwellige Nachweisführung ermöglicht und der Stigmatisierung von Freiwilligen entgegengewirkt.

Einblicke aus der Freiwilligen-Praxis

Ziel des neuen Gesetzes ist nicht die Einführung der Teilzeitoption für alle. Vielmehr geht es darum, bestimmten Personengruppen einen Freiwilligendienst zu ermöglichen, denen dies vorher nicht möglich war. Daher verwundert es nicht, dass lediglich vereinzelt jugendliche Freiwillige Erfahrungen mit dem Teilzeitdienst gemacht haben. Anhand der nachfolgenden Praxiseinblicke wird allerdings deutlich, welches Potenzial durch die neue gesetzliche Reglung entfaltet wurde:

• Eine interessierte Jugendliche hat im persönlichen Bewerbungsgespräch mit der zuständigen Pädagogin erwähnt, dass sie vor kurzer Zeit einen Klinikaufenthalt hatte. Die Pädagogin hat von der Möglichkeit eines Teilzeitdienstes berichtet. Zusammen mit der Einsatzstelle haben sich die drei Parteien darauf geeinigt, zunächst einen 30-Stunden-Dienst zu beginnen. Dies ermöglichte der Freiwilligen, sich ihre Tagesstruktur nach dem Klinikaufenthalt aufzubauen und schützte sie vor Überforderung. Als sie sich nach drei Monaten sicherer fühlte, hat sie den Wunsch geäußert, Vollzeit aktiv zu werden, um so den kompletten Tagesablauf in der Einsatzstelle mitzuerleben.

• Ebenfalls im Bewerbungsgespräch hat die Pädagogin einen jungen Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung über die Teilzeitmöglichkeit informiert. Die Pädagogin hat eine geeignete Einsatzstelle gesucht, die ein Tätigkeitsfeld nach dem Wunsch des Interessierten anbieten, eine geeignete fachliche Begleitung ermöglichen kann und dem jungen Menschen die Chance eröffnet, den Dienst in Teilzeit durchzuführen. Der junge Mensch erlebt seinen Dienst als sehr erfüllend, nicht zuletzt, weil er mit 80% des Tätigkeitsumfanges hinreichend Einblicke sammeln konnte, aber dennoch nicht über seine Leistungsgrenze ging. Das Engagement bewertet nicht nur der junge Mensch, sondern auch die Mitarbeitenden in der Einsatzstelle als Bereicherung, sodass beide sich entschlossen, den Freiwilligendienst um ein halbes Jahr zu verlängern.

• Eine junge Mutter hat einen Teilzeitdienst begonnen. Da sich die Krankheitstage häuften, hat sie die Einsatzstelle gewechselt. Auch in der neuen Einsatzstelle hat sie mitbekommen, dass sie der Verbindlichkeit eines regelmäßigen Einsatzes nicht nachkommen kann. Die junge Mutter hat frühzeitig ihren Dienst beendet. Sie konnte allerdings mehr als 6 Monate Erfahrungen im Freiwilligendienst sammeln. So hat sie an allen Seminaren teilgenommen und konnte ihre eigenen Kompetenzen schärfen und ihre Grenzen ausloten.

Die kurzen Praxisbeispiele zeigen, dass das Freiwilligendienste-Teilzeit-Gesetz seine Wirkung entfaltet. Besonders positiv ist, dass Menschen mit unterschiedlichen Bedarfen die Lösungen in Anspruch nehmen und zwar vor und während des Dienstes.

Erfahrungen aus Sicht der Träger – Lerneffekte und Gelingfaktoren

Das Freiwilligendienste-Teilzeit-Gesetz ist nicht als »Freiwilligendienst light«, also als generelle zeitlich reduzierte Lösung für junge Menschen gedacht. Um dennoch Interessensgruppen über die Möglichkeit aufzuklären, bedarf es eines individualisierten und engmaschigen Beratungs- und Bewerbungsverfahrens. Die Sammlung an Praxisbeispielen verdeutlicht, dass durch persönliche Bewerbungsgespräche in einem vertrauten Rahmen Unterstützungsbedarfe von Interessierten sichtbar und daraufhin Lösungen gesucht wurden. Auch eine enge Begleitung der Freiwilligen durch die pädagogische Fachkraft während des Dienstes konnte in Verbindung mit der Inanspruchnahme des Freiwilligendienstes in Teilzeit eine vorzeitige Beendigung verhindern. An diesen beiden Faktoren wird sichtbar, dass eine intensive Betreuung durch die pädagogische Fachkraft bereits vor dem, aber auch während des Freiwilligendienst(es) notwendig ist, um die gesetzlichen Möglichkeiten als positiv erlebbar umzusetzen. Diese intensive Betreuung ist allerdings nur mit einem angepassten Betreuungsschlüssel möglich, der aktuell entweder durch Eigenmittel der Träger oder durch zusätzliche Landesförderungen finanziert wird.

Neben den Trägern sind auch die Einsatzstellen gefragt, die einen Teilzeitplatz zur Verfügung stellen. Einsatzstellen sind angehalten, gute Rahmenbedienungen für Freiwillige zu ermöglichen, dazu gehört beispielsweise eine gute fachliche Anleitung. Freiwillige in Teilzeit benötigen über das Jahr gesehen ggf. eine längere Einarbeitungszeit, da das Erleben in der Einsatzstelle weniger intensiv ist. Lässt sich die Einsatzstelle darauf ein, kann auch sie von dem Einsatz der Freiwilligen profitieren, wie das Beispiel zeigt, indem der Freiwillige seinen Dienst verlängert. Ungeachtet dessen können oder wollen nicht alle Einsatzstellen diesen finanziellen oder personellen Mehraufwand tragen. Große Freiwilligendienst-Träger können Anreize für Einsatzstellen schaffen, indem sie bspw. eine geringere Einsatzstellenumlage für Freiwillige in Teilzeit erheben. Allerdings werden dann die Kosten der Einsatzstellen auf den Träger verlagert. Dieser ist dann gleich mehrfach mit einem finanziellen Mehraufwand konfrontiert. Kleine Träger haben solche finanziellen Spielräume nicht und können nur an die Haltung der Einsatzstellen appellieren.

Ganz gleich aber mit welchen Möglichkeiten sich die Träger für die Umsetzung eines inklusiven Freiwilligendienstes einsetzen, sie übernehmen dabei Aufgaben, die eigentlich gesamtgesellschaftlich und politisch getragen werden müssten – nämlich Menschen mit Unterstützungsbedarfen Möglichkeiten zur Teilhabe (an einem Freiwilligendienst) zu eröffnen.

Fazit: es gibt viel zu tun

Mit dem Freiwilligendienst-Teilzeit-Gesetz wurde ein erster Schritt in Richtung Öffnung von und Teilhabe an Freiwilligendiensten geschaffen. Die Umsetzung gelingt allerdings nur mit einer intensiven pädagogischen und fachlichen Begleitung. Die Refinanzierung der Anleitung muss daher ein weiterer Baustein sein, um die gesetzlichen Möglichkeiten flächendeckend umzusetzen. Länder wie Baden-Württemberg haben dies bereits erkannt und niedrigschwellige Fördermöglichkeiten im FSJ geschaffen, um für Freiwillige, die eine intensivere Begleitung benötigen, einen besseren Betreuungsschlüssel finanzieren zu können. Was aber passiert, wenn das Länderprogramm in 2021 ausläuft? Wie gelingt die Finanzierung flächendeckend? Was ist mit den anderen Freiwilligendienstformaten? Die Fragen könnten sich mit den Mitteln beantworten lassen, die seit 2018 vom Bund für die Finanzierung von Assistenzleistungen in den Freiwilligendiensten zur Verfügung gestellt und bis 2020 immer noch nicht ausgeschüttet wurden. Dieses Geld ist zwar nur ein »Tropfen auf den heißen Stein«, könnte aber dazu dienen, einen besseren Betreuungsschlüssel und den Mehraufwand von Einsatzstellen zu finanzieren sowie Freiwilligen notwendige Assistenzen für deren Dienst zu ermöglichen.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass durch das Freiwilligendienst-Teilzeit-Gesetz die Rahmenbedingungen für eine bestimmte Zielgruppe verbessert wurden. Das eigentliche Ziel eines inklusiven Freiwilligendienstes ist damit aber noch lange nicht erreicht.


Beitrag im Newsletter Nr. 23 vom 19.11.2020
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Dr. Julia Schlicht ist Referentin Bundesfreiwilligendienst beim Paritätischen Gesamtverband.

Kontakt: bfd@paritaet.org


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