Beitrag im Newsletter Nr. 23 vom 19.11.2020

»Das Schöne ist, du sagst immer, was du denkst« – Freiwilligendienste inklusiver gestalten

Malte Jelschen

Inhalt

Engagement in den Freiwilligendiensten
Diversität gehört zum Selbstverständnis des sfd Bremen
Positiv gestimmt in die Zukunft
Wie es weitergeht: Erkenntnisgewinn und Ziele
Autor
Redaktion

Engagement in den Freiwilligendiensten

Mit einer Förderung der Aktion Mensch will der Soziale Friedensdienst Bremen (sfd) seine pädagogische Arbeit in den Freiwilligendiensten inklusiver gestalten und als festen Bestandteil in die Arbeit integrieren.

Der sfd Bremen hat sich der Förderung des bürgerschaftlichen Engagements verschrieben. In der Vereinsabteilung Freiwilligen-Agentur Bremen sind zum Beispiel das Mentor*innenprojekt Balu und Du, das Grundschulprojekt Lesezeit oder die Ankommenspatenschaften für Geflüchtete zu Hause. Neben dem Ehrenamt unterhält der sfd mit der Abteilung Jugendfreiwilligendienste den größten Träger von Freiwilligendiensten in Bremen. Junge Menschen haben hier die Möglichkeit, für ein Jahr einen Freiwilligendienst in den Bereichen Soziales (FSJ), Ökologie (FÖJ), Politik (FSJ-Politik) und Kultur (FSJ-Kultur) in einer gemeinnützigen Organisation zu leisten. Außerdem gibt es für Menschen jeden Alters die Möglichkeit, einen Bundesfreiwilligendienst (BFD) zu absolvieren. Im folgenden Beitrag richten wir den Blick auf das Engagement in den Freiwilligendiensten.

Neben der Arbeit in der Einsatzstelle werden die Freiwilligen unter 27 Jahren an 25 Bildungstagen, aufgeteilt in fünf Seminarwochen, pädagogisch begleitet und erhalten einen Diskussionsraum für fachliche und politische Themen. Mit Blick auf die sehr unterschiedlichen Anforderungsprofile der Einsatzstellen ist bislang der Zugang zum Freiwilligendienst nicht für alle Jugendlichen gleichermaßen selbstverständlich. Wir stoßen sowohl in unserer pädagogischen Arbeit als auch organisatorisch bislang schnell an Grenzen, Einsatzbereiche zu finden, in denen Jugendliche mit komplexen Beeinträchtigungen arbeiten könnten. Menschen mit vermehrten Unterstützungsbedarfen können an den Angeboten in den Freiwilligendiensten bislang nur bedingt oder gar nicht teilnehmen. Bürgerschaftliches Engagement aber ist etwas, das als Möglichkeit prinzipiell allen offenstehen sollte. Und tatsächlich bietet die erwähnte Vielfalt der Freiwilligendienste und der Einsatzstellen genügend Potenzial für eine inklusivere Gestaltung. Was auch für die pädagogische Begleitung gilt.

Diversität gehört zum Selbstverständnis des sfd Bremen

Es war schon immer Teil des Selbstverständnisses des sfd Bremen, Heterogenität anzuerkennen und als Ressource für gemeinsames Lernen und Arbeiten zu begreifen. Um diesem Anspruch gerecht zu werden und nicht zuletzt eigene Barrieren infrage zu stellen, haben wir uns im sfd Bremen entschieden, junge Menschen mit geistiger Beeinträchtigung in unsere pädagogische Begleitung aufzunehmen und den Freiwilligendienst auch als Format für Menschen mit Beeinträchtigung zu gestalten.

Unsere ersten Versuche haben wir bereits im Jahrgang 2017/2018 unternommen. Bei unserem ersten Freiwilligen, nennen wir ihn Hannes, handelte es sich um einen jungen Mann mit Trisomie 21. Hannes war in einer Bremer Kita als Gruppenunterstützung tätig. Er nahm, wie alle Freiwilligen, an den 25 Seminartagen teil. Nach einem Jahr Pause ging es im Freiwilligen-Jahrgang 2019/2020 weiter. Hier wurden zwei junge Menschen von uns begleitet, eine Freiwillige wurde ebenfalls in einer Kita eingesetzt, der zweite in einer Krippe. Für den aktuellen Jahrgang ist es uns in enger Kooperation mit unseren Partnerorganisationen gelungen, drei Stellen bei Einsatzstellen einzurichten, die für junge Menschen mit geistiger Beeinträchtigung angedacht waren. Die konzeptuelle Vorarbeit, die Praxis und das Mehr an Arbeitszeit, die mit dem Projekt, Freiwillige mit Beeinträchtigungen zu begleiten, verbunden sind, werden dem sfd Bremen durch eine Projektförderung der Aktion Mensch ermöglicht. Durch die Förderung wird neben der Durchführung, wie sie auch in den vergangenen Jahren stattgefunden hat, in diesem Jahrgang eine intensive Beobachtung, Reflexion und Auswertung unserer Arbeit in Form einer Konzeptentwicklung möglich sein. Diese Mehrarbeit wird durch die im Förderungsrahmen verankerte Finanzierung einer halben Stelle, begrenzt auf ein Jahr, geleistet.

Positiv gestimmt in die Zukunft

Als Resümee aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre blicken wir sehr positiv in die Zukunft. Die Rückmeldung der Freiwilligen zeigt, dass die neue Diversität in den Gruppen von den Teilnehmenden als Bereicherung wahrgenommen wird. Der Satz »Das Schöne ist, du sagst immer, was du denkst« ist in einem Abschlussseminar gefallen. Hier reflektierten die Freiwilligen ihre Erfahrungen aus der Zeit in den Einsatzstellen, darüber, was sie gelernt haben, und über ihre gemeinsame Zeit in der Seminargruppe. Die Rückmeldung stammte von einer Teilnehmenden und war an Hannes gerichtet, unserem ersten Freiwilligen mit geistiger Beeinträchtigung. Hannes war dafür bekannt, seiner Gruppe und auch den Referent*innen sehr deutlich mitzuteilen, wenn beispielsweise der Unterhaltungswert gewisser Inhalte nicht seinen Vorstellungen entsprach. Ein lautes »LANGWEILIG« schallte dann ab und zu durch den Seminarraum.

Diese Situation verdeutlicht eine konkrete Herausforderung an uns Pädagog*innen: Sie zeigt, dass die Integration der Freiwilligen mit geistiger Beeinträchtigung in unsere Seminarkonzepte unterschiedliche Herausforderungen mitbringt – entsprechend der Möglichkeiten und Fähigkeiten der jeweiligen Freiwilligen.

Wie es weitergeht: Erkenntnisgewinn und Ziele

Um das Projekt die Freiwilligendienste inklusiver zu gestalten fest und langfristig im sfd Bremen zu integrieren, haben wir im Kolleg*innenkreis eine Arbeitsgruppe gebildet. Mit den unterschiedlichen Erfahrungen und Perspektiven auf Praxisbegleitung, Seminare und die Tätigkeit in der Einsatzstelle wurde eine erforschende Perspektive eingenommen. Durch die enge Zusammenarbeit und den stetigen Austausch über den Verlauf der Seminare gelang es uns hier, in einen reflexiven Prozess über unser bestehendes Curriculum zu gehen und erste Hürden zu identifizieren.

Uns wurde deutlich, dass es für die Fortführung in den kommenden Jahrgängen hier einer ausführlichen und umfangreichen Aufbereitung unserer bisherigen Seminarinhalte und -methoden bedurfte. Kennenlernsituationen oder Reflexionsgespräche über die Arbeit anzuleiten und alle Teilnehmenden mit einzubeziehen, stellte keine große Umstellung dar. Es zeigte uns sogar vielmehr, dass wir durch unsere Angebote bereits unterschiedliche Lernniveaus erreichen konnten. Die zum Teil sehr fachlichen Inhalte und deren didaktische Aufbereitung stellte sich allerdings als umfangreich und herausfordernd dar.

Konkretes Ziel soll es deshalb sein, ein Handlungskonzept zu entwickeln, das auf die veränderten Bedürfnisse des Lernens in den Seminargruppen anwendbar ist. Alle Kolleg*innen sollen so in diese Veränderungen miteinbezogen werden und die Chance bekommen, das eigene Handeln inklusiver zu gestalten. Dazu ein kleines Beispiel aus unserem Alltag: In der Kommunikation mit den Freiwilligen – zum Beispiel um Informationen weiterzugeben oder zu Seminaren einzuladen – greifen wir gerne auf den Kontakt per E-Mail zurück. Das funktioniert in der Regel auch sehr gut. Allerdings konnten wir im Austausch feststellen, dass zum Beispiel Hannes hier immer wieder auf die Hilfe anderer angewiesen war, um alle Infos zu erhalten. Als Reaktion darauf sind wir schon im Bewerbungsverfahren mit den Freiwilligen und, wenn nötig, mit deren Eltern in Kontakt gegangen und haben hier versucht, gemeinsame Wege zu entwickeln, die den jungen Menschen ein hohes Maß an Autonomie ermöglichen. Herausgekommen ist, dass für die entsprechende Seminargruppe alle entscheidenden Informationen und E-Mails in Leichter Sprache formuliert werden, damit zukünftig wieder alle erreichbar sind. Um dies zu ermöglichen, ist es von Seiten der Pädagog*innen zentral, sich mit Leichter Sprache auseinanderzusetzen und die Regeln zu lernen, um auch einschätzen zu können, inwiefern Unterstützung gebraucht wird. Verschiedene Weiterbildungsmöglichkeiten können uns hier unterstützen.

Innerhalb der Konzeptgestaltung werden, auf Grundlage unserer individuellen Erfahrungen in den fünf Seminarwochen, die jeweiligen Curricula pädagogisch aufbereitet und inhaltlich ergänzt. Insbesondere die von uns angebotenen Wahlseminare, welche sehr vielfältige Möglichkeiten bieten, können in ihren Komplexitäten für die Teilnehmende herausfordernd sein und müssen deshalb aufbereitet werden. Hier gibt es zum Beispiel die Möglichkeit einer Reise zur Biennale in Venedig, wie im Mai 2019, oder der Besuch der Stadt Krakau und der Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz. Außerdem bietet der sfd Bremen auch Seminare in Fotografie und Gebärdensprache an.

Wir planen nach der Auswertung des Freiwilligenjahres das Konzept zu veröffentlichen, um auch anderen Trägern zu ermöglichen, daran zu partizipieren.


Beitrag im Newsletter Nr. 23 vom 19.11.2020
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.

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Malte Jelschen ist pädagogischer Mitarbeiter im Sozialen Friedensdienst Bremen (sfd).

Kontakt: Jelschen@sfd-bremen.de


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