Beitrag im Newsletter Nr. 22 vom 5.11.2020

Was junge Menschen brauchen, um sich zu engagieren

Ana-Maria Stuth & Franziska Wendt

Inhalt

Ergebnisse und Handlungsempfehlungen aus dem Programm u_count
Die Ergebnisse von u_count
Handlungsempfehlungen für die Nachwuchsgewinnung
Autorinnen
Redaktion

Ergebnisse und Handlungsempfehlungen aus dem Programm u_count

Viele Vereine klagen: Ihnen fehlt der Nachwuchs. Aber lässt sich daraus wirklich ableiten, dass Engagement in gemeinnützigen Organisationen für junge Menschen unattraktiv ist? Und das Interesse, sich zu engagieren generell sinkt?

Die Ergebnisse der vorliegenden Befragung zeigen: Junge Menschen wollen sich gesellschaftlich einbringen und mitgestalten. Was sie dafür brauchen? Informationen zu den vielfältigen Engagementmöglichkeiten sowie die richtigen Rahmenbedingungen. Der nachfolgende Beitrag gibt Einblicke in junges Engagement und leitet daraus Handlungsempfehlungen ab: Wie können gemeinnützige Organisationen die Generationen Y und Z noch besser erreichen?

Die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) hat im Rahmen des Programms u_count von Juni bis November 2019 engagierte und nicht engagierte junge Menschen im Alter von 15 bis 27 Jahren befragt. Im Auftrag des Bundesjugendministeriums hat sie so erkundet, welche Rahmenbedingungen junge Menschen für (ihr) freiwilliges Engagement brauchen. Damit liegen nun Erkenntnisse über diese Zielgruppe vor, die bisher noch nicht systematisch erhoben wurden und die zur bedarfsgerechten Ausgestaltung von freiwilligem Engagement und Freiwilligendiensten dienen können.

Insgesamt diskutierten bei u_count 1.187 Jugendliche und junge Erwachsene in 48 Zukunftswerkstätten und Jugendhearings über ihr Verständnis von Engagement und ihre Motive, sich einzusetzen. Sie entwickelten Ideen, wie freiwilliges Engagement gefördert werden kann und formulierten Handlungsempfehlungen für Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft. Die Teilnehmenden nutzten die Formate aber auch zum Erfahrungsaustausch und ließen sich inspirieren und motivieren, selbst erste Schritte im freiwilligen Engagement zu gehen oder innerhalb ihres Engagements Veränderungen anzustoßen.

Die Ergebnisse von u_count

Junge Menschen wollen sich engagieren und möchten ihr Umfeld und die Gesellschaft mitgestalten, dies bestätigen die von der DKJS im Rahmen von u_count durchgeführten Jugendhearings. Dabei wollen sich die Jugendlichen und jungen Erwachsenen für die Themen und Belange engagieren, die sie selbst beschäftigen. Hierfür wünschen sie sich Unterstützung, wie zum Beispiel jugendgerechte Informationen zum Engagement sowie Anerkennung für das, was sie leisten. Sie möchten außerdem in ihrem Engagement mitbestimmen und wünschen sich ein besseres Ansehen für bürgerschaftliches Engagement in unserer Gesellschaft.

  • hohe Engagementbereitschaft

65,8 % der befragten jungen Menschen engagieren sich bereits freiwillig. Von den noch nicht Engagierten gaben – nachdem ihnen erläutert wurde, was freiwilliges Engagement im Sinne der u_count-Befragung bedeutet und welche Möglichkeiten es bietet – 58,9 % an, sich eine solche Tätigkeit vorstellen zu können.

  • fehlende Informationen

31,8 % der Teilnehmenden geben an, sich nicht zu engagieren, weil sie nicht wissen, welche Stärken sie in ein Engagement einbringen können. Öffentliche Informationen über Möglichkeiten sich freiwillig zu engagieren, erreichen junge Menschen häufig nicht. Von den nicht engagierten Teilnehmenden geben 45,5 % an, dass sie nicht wissen, wie und wo sie sich freiwillig engagieren können. Zu der Frage, was gegen einen Freiwilligendienst spricht, sagen 26,0 % ebenfalls, ihnen fehle Wissen über das Format. Junge Menschen wünschen sich deshalb insbesondere an Schulen mehr Informationen zu freiwilligem Engagement und Freiwilligendiensten. Auch soziale Medien, vor allem Instagram und YouTube, bieten Potenziale, um für freiwilliges Engagement zu werben.

  • Ansehen in der Gesellschaft stärken

Als besonders hemmenden Faktor beschreiben die Befragten das teilweise negative Ansehen von freiwilligem Engagement in unserer Gesellschaft. Gerade bei nicht engagierten Gleichaltrigen stoßen die Teilnehmenden punktuell auf abweisende Reaktionen, die sie davon abhalten, sich zu engagieren oder ihr Engagement öffentlich zu kommunizieren. Deshalb regen die jungen Menschen an, Maßnahmen und Kampagnen durchzuführen, die das Ansehen von freiwilligem Engagement in unserer Gesellschaft stärken.

  • Anerkennung aus dem direkten Umfeld

Für ihr Engagement wünschen sich die Teilnehmenden mehr Anerkennung, insbesondere Lob und Zuspruch aus dem Freundeskreis, von Lehrkräften oder der Familie, aber auch Qualifikationsnachweise und Zertifikate als wichtige Bausteine für ihren Lebenslauf. Von der Schule wünschen sie sich, dass ihr Engagement als Lernort anerkannt wird und sie deshalb dafür freigestellt werden.

  • junge Menschen wollen im Engagement mitbestimmen und mitgestalten

Insgesamt scheinen sich viele junge Menschen in ihrem Engagement noch nicht hinreichend gehört und beteiligt zu fühlen. 56,3 % der Befragten engagieren sich, weil sie mitbestimmen und ihr Umfeld mitgestalten wollen. Viele wünschen sich von Erwachsenen mehr Vertrauen und Kommunikation auf Augenhöhe, und sie wollen echte Entscheidungsspielräume in ihrem Engagement.

  • zwischen Verein und Selbstorganisation

51,5 % der befragten Jugendlichen und jungen Erwachsenen engagieren sich ganz klassisch – im Verein. Es ist aber eine Tendenz zu selbstorganisiertem Engagement zu erkennen: 47,4 % der befragten Teilnehmenden engagieren sich in anderen Formaten, wie z. B. in Projektgruppen.

  • großes Interesse an den Engagementfeldern Schule, Jugendarbeit und Umweltschutz

Die jungen Menschen engagieren sich am liebsten in folgenden Bereichen: Schule, außerschulische Bildungs- und Jugendarbeit sowie Felder, in denen man andere unterstützt, wie etwa bei der Obdachlosenhilfe. Auch herrscht großes Interesse am Umweltschutz, vor allem bei den noch nicht Engagierten.

  • Junge Menschen engagieren sich, um anderen zu helfen

Die Hauptgründe, warum sich junge Menschen engagieren, sind anderen helfen zu wollen und Spaß zu haben.

  • Freundeskreis ist wichtigster Zugang zu Engagement

Über die Hälfte der bereits Engagierten wurde von Freundinnen und Freunden dazu inspiriert, ein Engagement aufzunehmen. Darüber hinaus spielten weitere persönliche Kontakte aus dem Umfeld wie Lehrkräfte und Familie eine entscheidende Rolle für den Zugang zum Engagement.

  • hohe Bereitschaft einen Freiwilligendienst zu absolvieren

Die Bereitschaft, einen Freiwilligendienst zu absolvieren, ist hoch: 56,3 % der jungen Menschen können sich vorstellen, einen Freiwilligendienst aufzunehmen. Dabei wollen sie sich vor allem persönlich weiterentwickeln, anderen helfen oder etwas Neues erleben. Gegen einen Freiwilligendienst sprechen aus Sicht der Jugendlichen aber attraktivere Alternativen, wie Studium oder Ausbildung, sowie die finanziellen und zeitlich nicht ausreichend flexiblen Rahmenbedingungen. 

Handlungsempfehlungen für die Nachwuchsgewinnung

Die befragten Jugendlichen und jungen Erwachsenen sehen Schule als zentralen Informationsort, um mehr über freiwilliges Engagement und Freiwilligendienste zu erfahren. Vereine und Verbände könnten (intensiver) Kooperationen mit Schulen aufbauen und nutzen, um Informationsveranstaltungen zu organisieren, Materialien bereitzustellen oder Projekttage zum Engagement anzubieten. Lokale Engagementinfrastrukturen (wie Freiwilligenagenturen, Mehrgenerationshäuser) könnten als Vermittlungsinstanz zwischen Schule und Zivilgesellschaft bei dieser Aufgabe unterstützen.

Ein weiteres Feld, auf dem die organisierte Zivilgesellschaft junge Menschen erreichen könnte, ist die offene Jugendarbeit. Dabei lohnt es sich für Vereine, sich mit Orten und Angeboten der Freizeitgestaltung wie Jugendclubs und Jugendfreizeiten zu vernetzen und dabei nicht engagierten junge Menschen Engagementmöglichkeiten näherzubringen.

Ein weiterer Kooperationspunkt zwischen Schule, Jugendarbeit und Zivilgesellschaft könnten Projekte zur Ausarbeitung von Stärken und zum Sichtbarmachen von Kompetenzen sein, die dann im freiwilligen Engagement eingesetzt, reflektiert und ausgebaut werden könnten.

Damit die Angebote gemeinnütziger Organisationen Jugendliche und junge Erwachsene erreichen, sollten diese prüfen, ob sie jugendgerechte Informationskanäle, insbesondere Social-Media-Kanäle wie Instagram und YouTube, nutzen können.

Wenn gemeinnützige Organisationen junge Menschen gewinnen und binden wollen, müssen sie noch mehr Möglichkeiten zur Mitbestimmung anbieten und Partizipation ermöglichen. Auch Länder und Kommunen sollten reflektieren, inwiefern junge Menschen an den politischen Veränderungsprozessen – etwa an der Erarbeitung von Engagementstrategien, kommunalen Leitbildern oder Entwicklungskonzepten – beteiligt werden.

Für ihr Engagement wünschen sich die Jugendlichen und jungen Erwachsenen Anerkennung aus ihrem direkten Umfeld. Persönliches Lob und Zuspruch spielen hier eine besonders wichtige Rolle. Aufgabe der Organisationen sollte es also sein, ihre Kultur der Anerkennung zu stärken. Hier gilt es, Anerkennungsformate anzubieten, die individuell passen und jugendgerecht sind. Dafür bedarf es einer Kultur, in der Dank und Wertschätzung zum Engagementalltag gehören. Junge Menschen wünschen sich jedoch auch Zertifikate als Nachweis ihrer Tätigkeit sowie Erwachsene, die mit ihnen reflektieren, was sie in ihrem Engagement gelernt haben, um diese Fähigkeiten für den späteren Beruf nutzbar zu machen.

Mit Blick auf die Ressourcen der jungen Menschen ist den Organisationen folgendes zu empfehlen: Es sollten Angebote für das knappe Zeitbudget der Jugendlichen und jungen Erwachsenen entwickelt werden. Die zu erledigenden Aufgaben sollten in Aufgabenpakete geteilt werden, die in ein bis zwei Stunden in der Woche erledigt werden können. Digitale Tools können hierbei entscheidend unterstützen.

Den vollständige Ergebnisbericht von u_count und weitere Informationen finden Sie auf der Webseite der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung.


Beitrag im Newsletter Nr. 22 vom 5.11.2020
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.

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Autorinnen

Ana-Maria Stuth hat Politikwissenschaften, Romanistik und Psychologie studiert und ist Abteilungsleiterin Programme der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung. Sie verantwortet dort die Themen freiwilliges Engagement, Jugendbeteiligung, Inklusion und Entrepreneurship Education. Seit über 15 Jahren arbeitet sie im Bereich Engagementförderung, Jugendengagement und Freiwilligendienste.

Kontakt: ana-maria.stuth@dkjs.de

Franziska Wendt hat einen Masterabschluss in Erziehungswissenschaften und ist bei der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung im Bereich des jungen Engagements und der Jugendfreiwilligendienste tätig.

Kontakt: franziska.wendt@dkjs.de


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