Beitrag im Newsletter Nr. 22 vom 5.11.2020

Was wir bewegen! - Eine Beirätin* berichtet

Audrey Nyirenda

Inhalt

Sich als Gestalter*in des eigenen Lebens erleben
Der Mädchenbeirat wählt die zu fördernden Projekte aus
Räume schaffen, in denen sich marginalisierte Gruppen empowern kön-nen
Autorin
Redaktion

Sich als Gestalter*in des eigenen Lebens erleben

Was fällt Dir/Ihnen zum Wort Feminismus ein? Spricht man dieses Thema an, merkt man schnell, dass es einigen Menschen kein persönliches Anliegen zu sein scheint, tatsächlich für Frauenrechte zu kämpfen. Besonders online scheint es oft eher um erfüllte Quoten, Klicks und Likes auf Social Media zu gehen. Auf diese Weise kann schnell der Eindruck entstehen, dass es z. B. bei dem Hashtag #MeToo eher darum geht, Follower*innen zu gewinnen, als um das tatsächliche Thema…

Aber wofür steht Feminismus denn eigentlich? Geht es nicht um viel mehr als die bloße Gleichstellung? Geht es nicht darum, dass Mädchen* und Frauen* ihr eigenes Leben gestalten können, wie sie es möchten? Unabhängig von ihrer eigenen Sexualität oder der geschlechtlichen Identität? Geht es nicht darum, sich frei als Individuum entfalten zu können und gleichzeitig dafür wertgeschätzt und ernst genommen zu werden? Für mich gibt es dies bei filia.

filia die frauenstiftung ist eine Gemeinschaftsstiftung und die größte Frauenstiftung in Deutschland. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit dem ihr zur Verfügung stehenden Geld, weltweit Projekte zu fördern, die sich für strukturellen Wandel und Fortschritt einsetzen, um Räume zu schaffen in denen Mädchen* und Frauen* Mut fassen und sich als Gestalter*innen ihres Lebens erleben.

Der Mädchenbeirat wählt die zu fördernden Projekte aus

In Deutschland fördert filia seit 2012 Projekte von mehrfachdiskriminierten Mädchen* und jungen Frauen* – und seit 2019 zusätzlich auch Projekte von geflüchteten Frauen*. Das Besondere dabei ist, dass nicht die Frauen* der filia-Geschäftsstelle oder des Stiftungsrats die Entscheidung treffen, welche Projekte ausgewählt und finanziert werden, sondern dass diese Entscheidung von filias Beiräten getroffen werden, welche aus Mädchen* und Frauen* bestehen, die selbst zur Zielgruppe der beiden Empowerment-Programme gehören. Das Besondere daran ist, dass uns eine Plattform geboten wird, unsere Stimme zu äußern.

Der Mädchenbeirat wurde vor 9 Jahren gegründet, da die Frauen* bei filia erkannt haben, dass junge Frauen* und Mädchen* besser einschätzen können, was in unserem Alter, aber auch mit unseren unterschiedlichen Perspektiven gebraucht wird. Der Mädchenbeirat ist ein ehrenamtliches Gremium aus aktuell 12 Mitgliedern in einer Alterspanne von 15-25 Jahren. Wir sind eine diverse Gruppe junger Frauen* und kommen aus ganz Deutschland. Jedes Jahr kommen wir für ein Wochenende zusammen und diskutieren über Projektanträge von und für mehrfachdiskriminierte Mädchen* und junge Frauen*, oder anders ausgedrückt: Mädchen* und Frauen*, die intersektional von Diskriminierung betroffen sind. Dabei folgen wir unseren selbst erstellten Regeln und unserem Kriterienkatalog.

Räume schaffen, in denen sich marginalisierte Gruppen empowern können

Auch in Deutschland fehlen Plattformen, die Mädchen* und jungen Frauen* die Gelegenheit geben, ihre eigenen Visionen und Ideen zu äußern. Wir haben jedoch Stimmen und möchten ernst genommen werden!

Der Mädchenbeirat ist für mich daher etwas Besonderes, weil deutlich gemacht wird, dass unsere Meinung zählt und weil uns das Vertrauen geschenkt wird, dass wir über hohe Fördersummen – in der Regel 50.000 € bis 100.000 € pro Förderzyklus – selbstständig entscheiden können und auf diese Weise das Leben vieler jungen Frauen* und Mädchen* positiv beeinflussen können. Wir können sie empowern und wenn wir dann sehen, was durch das Geld möglich wird, bedeutet das wiederum Empowerment für uns!

Ich selbst war 13 Jahre alt, als ich das erste Mal am Mädchenbeirat teilnahm und hatte damals die Chance ergriffen, weil ich in einem Land geboren bin, in dem Frauen* systematisch unterdrückt werden. Bevor ich nach Deutschland kam, kannte ich dies nicht anders. Es war für mich die Norm, mich meinem Land und meiner Familie zu fügen: Keine Stimme, keine Rechte.

Mich hat filia und das MädchenEmpowermentProgramm sehr stark beeinflusst. Jetzt bin ich 22 Jahre alt und mit einigen Unterbrechungen immer noch mit dabei. In meiner Zeit bei filia hat sich sehr viel im Mädchenbeirat getan. Wir haben wunderbare, starke Projekte gefördert – darunter Projekte wie „Say no to FGM (Female Genital Mutilation)! Mein Körper gehört mir!“, wo Mädchen* of colour zusammenkommen und ausgebildet werden, Aufklärungsarbeit zu leisten, um in ihrer Community Gesundheitsmediatorinnen* und Vorbilder zu werden. Auch hatten wir Projekte zur Selbstverteidigung, Projekte, um Selbstbewusstsein zu stärken, verschiedene Ansätze für Mädchen*, die an einer Essstörung leiden, Projekte, in denen Mädchen* lernen, dass sie auch in handwerklichen Berufen gut sein können und vor allem auch dürfen. Das Ziel der meisten Projekte ist es, einen Schutzraum für Mädchen* zu schaffen, wo sie unter sich sind, sich sicher fühlen und Werkzeuge an die Hand bekommen, damit ihr Leben in der Gesellschaft leichter und selbstbestimmter wird.

Ein Generationenwechsel steht bevor!

Gesellschaftliche Umbruchprozesse, Covid-19 sowie ein bevorstehender Generationswechsel innerhalb der Stiftung beeinflusst auch uns als Mädchenbeirat. Wir befinden uns in einer Umbruchphase und beschäftigen uns vor allen mit den Fragen:

  • Wer sind wir?

  • Wo wollen wir hin?

  • Wer kann zukünftig mitmachen und wen schließen wir auch eventuell aus?

  • Ist ein Raum, in dem sich „alle“ wohlfühlen, überhaupt möglich?

Es geht auch um Positionen und strukturelle Fragen:

  • Wer darf wie lange am Beirat teilnehmen?

  • Welche Projekte möchten wir ansprechen?

  • Wie verändert sich durch gesellschaftliche Bedingungen und Diskurse unsere Zielgruppe?

Das sind Fragen, die immer häufiger im Gremium aufkommen. Wir befinden uns in Prozessen und arbeiten daran, gemeinsam und partizipativ Antworten auf diese Fragen zu finden. Wir haben uns weiterentwickelt als Individuen, aber auch als Gruppe. So wie auch der heutige Feminismus nicht mehr das ist, was er im 19. Jahrhundert oder auch Ende der 1970er Jahre in Deutschland war. Wir haben viel erreicht und ich bin unseren Vorkämpferinnen* sehr dankbar. Die Arbeit ist aber noch nicht vollbracht. Die Welt ist in einem steten Wandel. Veränderungen und Prozesse gehören zu diesem Wandel dazu. Somit muss sich auch der Feminismus immer wieder neu erfinden und sich den gegebenen Machtstrukturen anpassen, Menschen miteinbeziehen, die vorher nicht mitgedacht wurden, um nicht mehr auszugrenzen oder nach Regeln zu gehen, die vom Patriarchat vorgeben werden. Es geht darum, zu integrieren und sich selbst weiterzubilden, um auf diese Weise aufgeklärte Räume schaffen zu können, in denen sich marginalisierte Gruppen empowern können und lernen, dass sie eine Stimme haben, die zählt! Räume, in denen sich Menschen wohlfühlen können, um in ihre Kraft zu kommen, um Gesellschaft mitzugestalten.

In welche Richtung wir uns als »Mädchenbeirat« per se bewegen, ist noch ungewiss. Fakt ist: Wir möchten Weiterentwicklung und Fortschritt, und wir bewegen uns, und das ist das Wichtigste!


Beitrag im Newsletter Nr. 22 vom 5.11.2020
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.

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Autorin

Audrey Nyirenda ist Beirätin* in filias Mädchenbeirat.

Kontakt: info@filia-frauenstiftung.de
Kontakt: Janet Owusu, Referentin MädchenEmpowermentProgramm


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