Beitrag im Newsletter Nr. 21 vom 22.10.2020

Bürgerschaftliches Engagement in, für und mit der Kommune und ihre Entwicklung

Dieter Schöffmann

Inhalt

1 Die BBE-AG »Bürgerschaftliches Engagement und Kommune« …
2 … und erste Erkenntnisse
3 Die AG und das Programm »Engagierte Stadt«
Endnoten
Autor
Redaktion

1 Die BBE-AG »Bürgerschaftliches Engagement und Kommune« …

Die Anfang 2019 gebildete BBE-Arbeitsgruppe »Bürgerschaftliches Engagement und Kommune« befasst sich mit der kommunalen Handlungsebene des bürgerschaftlichen Engagements, seiner Förderung, Wertschätzung und Einbindung, und zwar insbesondere mit kommunalen Strategien, Konzepten, Instrumenten und Praxiserfahrungen

  • der Engagementförderung – im weiten Engagementsinne des Zweiten Engagementberichts der Bundesregierung (Bürgerengagement, Freiwilligenarbeit, Bürgerbeteiligung, Bürgerinitiative, Protest, informelles Engagement …) und
  • der kommunalen Selbstverwaltung unter Beteiligung und Mit-Verantwortung einer »engagierten Bürgerschaft« (etwa im Sinne der »Bürgerkommune« bzw. der »Good Urban Governance«) zur Adressierung und gemeinsam wirksamen Bewältigung gesellschaftlicher Entwicklungen (Demografie, Migration & Integration, Wirtschaft, Technologie, Bildung, Soziales u. a. m.), die sich auf kommunaler Ebene auswirken bzw. von hier aus in Angriff genommen werden können.

Die AG will dazu beitragen, dass mehr Kommunen ein strategisches Verständnis von »Engagementförderung« und »kommunaler Selbstverwaltung mit aktiver Bürgerschaft« in Politik und Verwaltung verankern und in eine entsprechende Praxis umsetzen.

Nach der Konstituierungs- und Themenfindungsphase im Jahr 2019 fanden 2020 bislang drei Präsenz- bzw. Onlinetreffen statt, die der Sammlung kommunaler Praxiserfahrung dienten, und zwar: Köln mit den beiden bei der Oberbürgermeisterin angesiedelten Stellen »FABE – Förderung und Anerkennung bürgerschaftlichen Engagements« und »Büro für Öffentlichkeitsbeteiligung«, der Engagierten Stadt Wetzlar mit dem Freiwilligenzentrum Mittelhessen, der Gemeinde Bad Grund (Harz) mit der Initiative »Zukunftsbergstadt Bad Grund« sowie der Landkreise Oberbergischer Kreis und Göttingen mit ihren kreisweiten, auf die Gemeinden ausgerichteten, Programmen für eine systematische Engagementförderung. Außerdem wurden die Erfahrungen des »Kommunennetzwerk: engagiert in NRW« und des Programms »Engagierte Stadt« beleuchtet.

2 … und erste Erkenntnisse

Die Erkenntnisse aus diesen Praxisdialogen werden zurzeit systematisch aufbereitet, um auf dieser Grundlage bei der nächsten AG-Sitzung am 13. November (online) die Themen- und Arbeitsplanung für das Jahr 2021 vorzunehmen, die nach Stand der bisherigen Überlegungen in einer Fachtagung (Präsenz) gegen Ende 2021 münden soll.

Ein erster Zwischenstand dieser Erkenntnisaufbereitung umfasst stichwortartig folgende Aspekte, die für eine strategische Ausrichtung kommunaler Engagementförderung und Kooperation mit einer engagierten Stadtgesellschaft relevant sein könnten:

Vom Blindflug zum gezielten Navigieren: Vielerorts werden Maßnahmen der Engagementförderung eher unspezifisch geplant und realisiert: »Infrastrukturförderung«, »Ehrenamtskarte«, »Öffentliche Anerkennungsveranstaltungen einmal im Jahr« …. Mehrere Praxisbeispiele haben gezeigt, dass eine der Engagementförderung zugrundeliegende Diagnose des Handlungsbedarfs die strategische Qualität wesentlich erhöht. Hierzu kann ein regelmäßiges Monitoring der Engagement- und Vereinslandschaft gehören, mit ihren Entwicklungen, Problemen und entsprechenden Förder- oder Interventionsbedarfen vonseiten der Kommune. Oder (Be-darfs)Erhebungen hinsichtlich akuter Problemlagen in der kommunalen Entwicklung, der Lebensqualität u. a. m. sowie der Möglichkeiten, zur Problemlösung mit einer engagierten Stadtgesellschaft beizutragen.

Bürgerengagement und Bürgerbeteiligung haben viele Verbindungen: In vielen Kommunen werden das bürgerschaftliche Engagement und seine Förderung und die Anregung und Koordination von Bürgerbeteiligung bzw. politischer Partizipation verwaltungsorganisatorisch wie auch sachlich immer noch mehr oder weniger getrennt behandelt. Dabei gibt es hier in der Praxis viele Schnittstellen und Wechselwirkungen: Bürgerbeteiligung im Sinne von Mitberatung und -entscheidung kann und muss manchmal auch in eine längerfristige, über das eigentliche Beteiligungsverfahren hinausgehende und bürgerschaftlich getragene Ko-Produktion münden. Bürgerschaftliches Engagement, Ehrenamt bzw. Freiwilligenarbeit ist auch eine Form der Partizipation an der Entwicklung der Stadt und braucht auch die Beteiligung der Engagierten an der Definition der Engagementziele und ihrer Rahmenbedingungen.

Bürgerengagement – eigensinnig und »zweckfrei« oder zweckorientierte Ko-Produktion: Dieses Spannungsverhältnis wurde immer wieder bei den AG-Sitzungen, aber auch anderen einschlägigen Veranstaltungen des BBE thematisiert. Eine engagementförderliche Kommune sollte beide Pole und den Zwischenraum im Blick haben und verfolgen. Zum einen sollte sie beachten, dass die in der Regel größeren finanziellen Ressourcen für die zweite Perspektive sich konkurrenzhaft abwerbend auf das freie, materiell geringer ausgestattetet Engagement der ersten Perspektive auswirkt. Zum anderen sollte sie erkennen, dass der Erhalt und die Entwicklung guter Lebensverhältnisse, die »Ko-Produktion« von Offenheit und Zusammenhalt der Stadtgesellschaft, die Gewährleistung eines guten Lebens im Alter bei Pflegebedürftigkeit (»sorgende Gemeinschaften«) und die Gewährleistung weiterer Aspekte der Daseinsvorsorge heutzutage nicht alleine durch die Kommunalverwaltung und die Beauftragung professioneller Dienstleisterinnen oder Dienstleister – qualitätsvoll – zu erreichen ist. Es braucht hier auch die Mitwirkung einer engagierten Stadtgesellschaft – mit einer ziel- und zweckorientierten Ausrichtung. Der Eigensinn und die Freiheit des Engagements können auch hier respektiert und bewahrt werden, und zwar durch Partizipation, durch die Beteiligung der Engagierten an den Planungen und Entscheidungen über die Ausrichtung der Maßnahmen, für die sie sich (dann) engagieren.

Gemeinsames Verständnis und Kompetenz der Verwaltungs-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter hinsichtlich Bürgerengagement, seine Förderung und partnerschaftliche Einbindung: In der Verwaltungsausbildung kommt der Aspekt des bürgerschaftlichen Engagements bislang so gut wie gar nicht vor. Einzelne Kommunen bieten ihren Auszubildenden deshalb die Möglichkeit, entsprechende Erfahrungen mit gemeinnützigen Aktionstagen oder »Praktika« zu sammeln. Auf jeden Fall sollte dieses Thema verstärkt in die Aus- und Weiterbildung eingebunden werden. (Bei unserer AG-Sitzung im November werden wir hierzu Praxiserfahrungen aus zwei Kommunen kennenlernen.)

Eine weitere Maßnahme in diese Richtung ist die Etablierung eines verwaltungsinternen Arbeitskreises »Ehrenamt« oder »Bürgerengagement« als Querschnitts-AG, in den alle Verwaltungseinheiten eingebunden werden, die in der einen oder anderen Weise mit Bürgerengagement, Ehrenamt, Freiwilligenarbeit u. ä. m. – seine Förderung oder Einbindung – befasst sind.

Bildung engagementförderlicher Netzwerke und sektorübergreifender Kooperationen: Unter anderem die Erfahrungen der »Engagierten Städte« wie auch der engagierten Kommunen im »Kommunennetzwerk: engagiert in NRW« weisen darauf hin, dass die Bildung von Netzwerken und wirkungsorientierter Kooperationen zwischen Kommunalverwaltung, gemeinnützigen bzw. zivilgesellschaftlichen Organisationen, engagierten Unternehmen u. a. m. ein wesentlicher Gelingensfaktor sind für Maßnahmen der Engagementförderung, für die Bewältigung kommunaler Herausforderungen mit einer engagierten Stadtgesellschaft u. a. m. sind.

Engagementförderung – vom persönlichen Anliegen zur verankerten »Pflichtaufgabe«: Häufig ist die Entwicklung strategischer Engagementförderung in Kommunen abhängig von z. B. der oder dem von der Sache überzeugten Bürgermeisterin oder Bürgermeister. Was geschieht, wenn es bei der nächsten Wahl einen Wechsel der politischen Farben gibt und die nachfolgende kommunale Führung andere Prioritäten setzt? U. a. vor diesem Hintergrund braucht es eine systematische Verankerung der Engagementförderung und des kommunalen Zusammenwirkens mit einer aktiven Bürgerschaft in den Leitlinien des Verwaltungshandelns und in der Organisationsstruktur der Verwaltung wie auch des Rates (z. B. durch einen »Bürgerausschuss« oder »Ausschuss für Partizipation«).

Investitionsbereitschaft und Wirkungsbeleg: »Wie kann die Kämmerin, der Kämmerer davon überzeugt werden, dass der Mitteleinsatz für Engagementförderung eine sinnvolle Investition ist?« Dies war eine immer wieder aufgeworfene Frage. Die Antwort: Es braucht ein Beleg der Wirksamkeit des Bürgerengagements und seiner Förderung, der nicht nur für die engagementpolitisch Versierten überzeugend ist, sondern auch für die Akteurinnen und Akteure in Kommunalpolitik und Verwaltung nachvollziehbar sind, die sich in der Regel nicht mit »Bürgerengagement« und seiner Förderung befassen. [1]

Strategische Qualität von »Engagement(förder)strategien«: Wie strategisch sind »Engagement(förder)strategien« wirklich? »Engagement(förder)strategien«, die sich in Ehrenamtskarten, jährlichen Ehrenamtstage und Preisverleihungen erschöpfen, verdienen sicher nicht das Prädikat »strategisch«. Strategien, die diesen Namen verdienen, sollten mindestens Antworten auf die vorgenannten Aspekte geben können und damit auf einer soliden Problemdiagnose und entsprechenden Lösungsansätzen aufbauen.

3 Die AG und das Programm »Engagierte Stadt«

Nachdem das BBE die Funktion des Programmbüros für das Förderprogramm »Engagierte Stadt« übernommen hat, ist dieses Programmfeld mitsamt seinen Erfahrungen und Entwicklungen ein kontinuierliches Thema auf der AG-Agenda. Außerdem beraten die AG-Sprecherinnen Dieter Schöffmann und Ute Bertel das Programmbüro auf Anfrage.

Aus der AG-Perspektive wurden bislang zwei Aspekte thematisiert, die für die weitere Entwicklung des Programms und das BBE relevant sind:

Erstens: Das Förderprogramm »Engagierte Stadt« ist nicht die einzige Förderprogrammatik für engagementförderliche Kommunen und eine entsprechende Netzwerkbildung. Das Land Nordrhein-Westfalen fördert schon länger die Entwicklung kommunaler Engagementstrategien durch die Kommunalverwaltung mit Entwicklungswerkstätten und dem »Kommunennetzwerk: engagiert in NRW«. In Baden-Württemberg gibt es das Gemeindenetzwerk BE. Und das dürften nicht die einzigen Förderungen und Netzwerke sein. Aus Sicht der AG Bürgerengagement und Kommune, wie auch des BBE insgesamt, ist es daher wesentlich, alle diese Förderinitiativen und Netzwerke wahrzunehmen, ihre Erfahrungen aufzugreifen und auch zum Dialog und Erfahrungsaustausch zwischen ihnen beizutragen.

Zweitens: Interessant für den Erfahrungsaustausch sind die Wahrnehmung und der Vergleich zwischen den unterschiedlichen Förderlogiken und Handlungsdynamiken. So setzt das Programm »Engagierte Stadt« grundsätzlich bei einem gemeinnützigen Akteur (z. B. einer Freiwilligenagentur) in der Kommune an, der dann als Förderbedingung weitere Partner (u. a. die Kommune) ins Boot holen muss. In NRW ist der Ausgangspunkt jeweils die Kommunalverwaltung, die sich durch die Bürgermeisterin oder den Bürgermeister dazu verpflichtet, zwei Personen aus der Verwaltung in die mehrteiligen Entwicklungswerkstätten zu entsenden und die Engagementstrategien, die dort erarbeitet werden, auch weiter zu verfolgen. Erfahrungsgemäß entwickeln sich hieraus dann auch kommunale Netzwerke bzw. sektorübergreifende Kooperationen. Beide (und vielleicht weitere) Vorgehensweisen sind sinnvoll. Interessant wird der Vergleich z. B. unter folgenden Aspekten: Wo liegen die jeweils förderlichen und behindernden Faktoren auf dem Weg? Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt es zwischen den jeweils entwickelten Strategien und Umsetzungsschwerpunkten und -praktiken? Wie weit reicht die Verankerung der Strategien, Konzepte, Handlungsleitlinien u. a. m. in der Kommunalverwaltung und -politik – auch über Wechsel der Personen oder politischen Mehrheiten hinausgehend?


Endnoten

[1] Mit dieser Fragestellung habe ich in einem Artikel vier Wirkungsdimensionen des Bürgerengagements herausgearbeitet mitsamt Ansätzen für Wirkungsindikatoren und des kommunalen Handelns: Dieter Schöffmann: Bürgerengagement macht den Unterschied: Zur Wirksamkeit Bürgerschaftlichen Engagements und seiner wirksamen Förderung; in: Paritätischer Wohlfahrtsverband Landesverband Bayern e. V. (Hrsg.): Luise Kiesselbach Preis 2013. Bürgerschaftliches Engagement im Paritätischen in Bayern. München, 2013 – als PDF herunterladbar unter: https://t1p.de/goq5

Ebenfalls in diese Richtung geht die Wertbeitragsanalyse für die ehrenamtlich getragene Vorleseinitiativen »LeseWelten« der Kölner Freiwilligen Agentur – als PDF herunterladbar unter: https://t1p.de/k9ws


Beitrag im Newsletter Nr. 21 vom 22.10.2020
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.

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Dieter Schöffmann ist Sprecher der BBE-AG »Bürgerengagement & Kommune« und Inhaber von VIS a VIS Beratung – Konzepte – Projekte

Kontakt: ds@visavis-wirkt.de


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