Beitrag im Newsletter Nr. 20 vom 7.10.2021

Ringen um Deutungshoheit und Bedrohung. Die extreme Rechte im kommunalen Raum Brandenburgs

Heinz-Joachim Lohmann

Inhalt

Die vier Phasen der extremen Rechten
Phase eins
Phase zwei
Phase drei
Phase vier
Praxisbeispiel
Endnoten
Autor
Redaktion

Die vier Phasen der extremen Rechten

Bei den Erscheinungsformen der extremen Rechten in Brandenburg lassen sich vier Phasen beobachten, wobei Phase vier neben die anhaltende Phase drei getreten ist.

Phase eins

Phase 1 beginnt in den Neunzigern. Neonazis organisieren sich und machen Jagd auf alle, die sie nicht mögen: Menschen mit Migrationsgeschichte, Obdachlose, Linke, People of Colour und Jugendliche mit langen Haaren. In vielen brandenburgischen Städten gibt es Tote und Verletzte. In manchen Städten entstehen national befreite Zonen: Ecken, in den zwischen Freitag- und Sonntagnacht kahlrasierte junge Männer mit Springerstiefeln und Schlagwaffen die Herrschaft ausüben. Deshalb hat sich für diese Zeit rückwirkend der Begriff »Baseballschlägerjahre« etabliert[1]. Die Politik brauchte relativ lange, bis sie das Problem überhaupt wahrnahm. Nach und nach wurden verschiedene Instrumente entwickelt: Das Mobile Beratungsteam und die RAA (heute: Regionale Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie), um kommunale Strukturen und Schulen zu beraten. Die Opferperspektive zur Sichtbarmachung und Unterstützung der Opfer rechter Gewalt. Das Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit als Stimme und Aktionsplattform einer imaginierten brandenburgischen Mehrheit und der Zivilgesellschaft gegen Rechtsextremismus und für Demokratie und Vielfalt. Alle gemeinsam fanden ihren Platz und sind Bestandteil im Toleranten Brandenburg, dem Handlungskonzept der Landesregierung.

Phase zwei

Phase 2 kennzeichnet eine erstarkende NPD (Nationaldemokratische Partei Deutschlands) und DVU (Deutsche Volksunion), rechte Kameradschaften und Aktionsgruppen, die den Platz in Parlamenten finden und das Land mit Demonstrationen überziehen. Parlamente und Öf-fentlichkeit einigen sich auf eine Strategie der Ausgrenzung. Die Demonstrationen begleiten Protestkundgebungen. Kulminationspunkt ist Halbe, südlich von Berlin gelegen und der größ-te europäische Soldatenfriedhof. In dieser Phase gelingt den vereinten Kräften von Politik und Zivilgesellschaft die Marginalisierung des Rechtsextremen. Die bürgerliche Mitte lehnt gemeinsame Aktionen mit Neonazis ab.

Phase drei

Phase 3 beginnt mit dem Aufstieg der AfD und ihrer Radikalisierung nach Rechts im Gefolge des Jahres 2015. Der Protest gegen die Aufnahme von Geflüchteten bringt erstmals die bür-gerliche Mitte zu gemeinsamen Aktionen mit eindeutig Rechtsextremen. Das braune Voka-bular wird geschmeidiger und anschlussfähiger. Reaktionäre Standpunkte zu Migrations-feindlichkeit, Europaskepsis, Parteienverachtung, Antidiversität finden Widerhall in einer breiteren Öffentlichkeit. In dieser Phase erreicht das Ausgrenzungsmodell seine Grenze. Die Rechte versucht, einen Platz in der Mitte der Gesellschaft einzunehmen.

Phase vier

Mit Covid-19 eröffnet sich eine Phase 4. Zusätzlich zu Bürgerlichen finden nun auch Esoteri-sche und Linke gemeinsame Aktionsformen mit eindeutig als Neonazis zu erkennende Perso-nen. Verschwörungserzählungen, in denen unterstellt wird, dass das Virus ein Instrument finsterer Eliten ist, finden ihren Weg in die Öffentlichkeit. Verschwörungserzählungen haben über die Jahrhunderte hinweg ihren Ursprung und ihre Auswüchse im Antisemitismus, so dass hier eine neue/alte Verdachts- und Ausgrenzungsstruktur in der politischen Arena sicht-bar wird.

Zum Brandenburger Weg des Umgangs mit der Bedrohung von Rechts gehört eine enge Zu-sammenarbeit zwischen Landespolitik, Lokalpolitik, Behörden, Polizei und dem im Toleran-ten Brandenburg zusammengefassten Beratungs- und Aktionsnetzwerk.

Praxisbeispiel

Nach Cottbus wird ein Blick als Praxisbeispiel geworfen. Dort existiert eine rechte Hooligan-, Sicherheits- und Rockerszene, mit »Zukunft Heimat« gibt es ein migrationsfeindliches rechtspopulistisches Bündnis, das mit der AfD und der Neonaziszene vernetzt ist.

Zur erfolgreichen Verankerung einer rechten Bewegung gehören normalerweise drei Vo-raussetzungen: 1. Ein allgemein brennendes politisches Thema, 2. Ein regionaler Anknüp-fungspunkt und 3. Akteure, die in der Lage sind, die Aktion zu spielen.

Für die Gegenbewegung ist es wichtig zu trennen zwischen Bewegungen, die mit zivilgesell-schaftlichen Mitteln anzugehen sind (»Zukunft Heimat«) und solchen, die nur von Sicher-heitskräften bearbeitet werden können (die Hooligan-, Sicherheits- und Rockerszene). Eine erfolgreiche Gegenbewegung braucht eine große politische Bandbreite, verbunden mit dem Engagement der Menschen, die Verantwortung in der Region tragen. Zentral ist dabei, dass der Begriff der Zivilgesellschaft nicht verwaschen wird, sondern als Aktionsgröße erhalten bleibt.


Endnoten

[1] https://www.zeit.de/video/2020-12/6213181541001/rechte-gewalt-es-konnte-ueberall-passieren


Beitrag im Newsletter Nr. 20 vom 7.10.2021
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.

Zurück zum Newsletter


Autor

Heinz-Joachim Lohmann ist stellvertretender Direktor und Studienleiter für Demokratische Kultur und Kirche im ländlichen Raum bei der Evangelischen Akademie zu Berlin.

Kontakt: lohmann@eaberlin.de


Redaktion

BBE-Newsletter für Engagement und Partizipation in Deutschland

Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE)
Michaelkirchstr. 17/18
10179 Berlin

Tel.: +49 30 62980-115

newsletter@b-b-e.de
www.b-b-e.de

Zum Seitenanfang