Beitrag im Newsletter Nr. 20 vom 13.10.2022

Gesellschaft selbstwirksam gestalten

Interview mit Dr. Dirk Tröndle

Gesellschaft selbstwirksam gestalten

Dirk Tröndle beschäftigt sich mit Themen der Fördermittelakquise und des Fundraisings. Als Solopreneur berät er zivilgesellschaftliche und sozialuntenehmerisch tätige Organisationen bei der Übertragung ihrer Projektideen in die Logik des Antragswesens und fördert deren Fähigkeiten zur Nutzung zentraler Instrumente des Projektmanagements. In Funktion des Gutachters blickt er aber auch regelmäßig durch die Brille von Fördermittelgebern und dieser Perspektivwechsel ermöglicht neue Zugänge zum Themenkomplex Ehrenamt, Engagement und Finanzierung.
Das Interview wurde vom STAEpolSEL Projekt-Team geführt.

Ist es wirklich so schwierig für Engagierte und insbesondere junge Menschen eine finanzielle Förderung für ihre Vorhaben zu erhalten? Wo liegen die Herausforderungen?

Dr. Dirk Tröndle: Für Organisationen der Sozialwirtschaft, NGOs und Vereine usw. stehen jährlich je nach Berechnung bis zu 50 Mrd. Euro an Fördergeldern zur Verfügung. Auch wenn erhebliche Teile dieser Mittel in Form von Regelfinanzierungen gebunden sind, können zweistellige Milliardenbeträge p.a. durch die Zivilgesellschaft eingeworben werden; dies ist ein starkes Merkmal des subsidiären Systems unseres Landes.
Natürlich bestehen vielfältige Herausforderungen, um an diese Gelder zu gelangen; diese gestalten sich jedoch großteils nicht spezifisch nur für Engagierte oder junge Menschen. Die typischen Herausforderungen betreffen das engmaschige Dickicht bzw. den Förderdschungel, den auch erfahrende Organisationen immer wieder neu durchforsten müssen. Grundlegend muss man anerkennen, dass sich trotz unzähliger Fördermöglichkeiten mit einer großen Wahrscheinlichkeit kaum eine Ausschreibung oder Förderkulisse finden lassen wird, die vollständig auf die jeweilige Projektidee passt. Die eigenen Projektideen müssen immer wieder pragmatisch an die bestehenden Richtlinien von Ausschreibungen angepasst werden, und es gilt strategische Partnerschaften einzugehen nach dem Motto: Gemeinsam sind wir stark. Strategisch zu entscheiden gilt auch, dass es zielführender sein kann, unterjährig bei einer kleineren Institution ohne Fördermittelausschreibung einen Antrag zu stellen als bei öffentlichen Ausschreibungen mit einer großen Reichweite, bei der dann vielleicht hunderte oder tausende Anträge eingehen und eine Bewilligung alleine schon aufgrund der Antragsvielzahl in weite Ferne rückt.  Grundsätzlich lässt sich sagen, und das gilt für die meisten Fördergelder: Mit einem oder mehreren (empirisch) nachweisbaren Bedarfe(en), einer oder mehrerer Zielgruppen, nachweisbaren Zugängen zu dieser/n Zielgruppe(en) und einer logischen Beschreibung der Wirkungen angestrebter Interventionen, kann man generell jederzeit guten Gewissens ein Projekt beantragen. Engagierte und junge Menschen ohne größere Vorerfahrungen in der Akquise von Fördergeldern sollten neben ihrer eigenen Idee diese vier grundlegenden Aspekte immer mitdenken. Früher oder später werden sie dann erfolgreich sein.

Was müsste sich bei der Antragstellung ändern, damit mehr Menschen, insbesondere mit Migrationsgeschichte, von Förderprogrammen profitieren können?

Dr. Dirk Tröndle: Nicht wenige Migrant*innen und migrantisch geprägte Communities beklagen hohe Hürden bei der Antragsstellung, insbesondere sprachliche Barrieren beim Verstehen von Ausschreibungstexten und Richtlinien, aber auch z.B. Forderungen nach Kompetenzen und institutionelle Fähigkeiten der antragstellenden Organisation. Hier wünschen sich viele mehr niedrigschwellige Zugänge, eine leichtere einfachere Sprache der Ausschreibungen und der Antragsdokumente sowie mögliche alternative Antragswege. Viele Fördermittelgeber zielen schon seit längerem mit dem Abbau von Zugangsbarrieren, der speziellen Beförderung und Befähigung von jungen Organisationen (und damit auch MO) durch Weiterbildung und durch diverse Instrumente wie Projektantragsstätten oder Projektschmieden auf eine größere Beteiligung von Menschen mit Migrationsgeschichte und deren Organisationen. Ein Ziel ist, den prozentualen Anteil von MO als Empfänger von Fördermitteln deutlich zu erhöhen. Letztlich lassen sich damit die Teilhabechancen deutlich stärken. Nicht zuletzt sind dies geeignete Maßnahmen, um den oft geäußerten Vorwürfen nach struktureller Diskriminierung alteingesessener Strukturen tendenziell entgegenzuwirken.
Will man mehr Beteiligung von MO und jungen Organisationen an Förderprogrammen erreichen, so scheint der weitere Ausbau von institutionellen Förderungen zum Aufbau von nachhaltigen hauptamtlichen Vereinsstrukturen ein probates Mittel. Weiter ausbaufähig wären Öffnungs- und Beteiligungsformate wie die Veröffentlichung von Ausschreibungstexten in Anerkennung der Mehrsprachigkeit in anderen Sprachen und auch die Möglichkeit der Antragsstellung in einigen anderen Sprachen. Von Vorteil wären auch die weitere interkulturelle Öffnung von Bewilligungsbehörden und ein stärkerer Fokus auf mehrsprachige Mitarbeiter*innen, die in anderen Sprachen Fördermittelantragstellende beraten könnten. Nach dem Grundsatz »Fördern und Fordern« sind aber auch Menschen mit Migrationshintergrund aufgefordert, sich im Kontext einer post-migrantischen Gesellschaft für andere Themen mit gesamtgesellschaftlicher Relevanz wie den Klimawandel etc. stärker einzubringen.

Sie haben im Rahmen der Civic Ideas Factory von STAEpolSEL einen Workshop zur Finanzierung und Antragstellung (»Einführung in Antragsstellung und Finanzplanung«) von Projekten gehalten. Was hat die jungen Menschen zu diesem Thema besonders bewegt?

Dr. Dirk Tröndle: Die Civic Ideas Factory von STAEpolSEL hatte grundsätzlich gerade dieses Ungleichgewicht von gesellschaftspolitischen Ansprüchen und Teilhabechancen im Sinn. Jungen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, die sich ehrenamtlich und gemeinwesenorientiert einbringen wollen, sollen bestehende Möglichkeiten der Projektfinanzierung aufgezeigt werden; beispielhaft im Rahmen einer Kleinstprojektausschreibung durch die Civic Ideas Factory. Es ist schwer zu beurteilen, was die Teilnehmenden besonders bewegt hat, weil sie sehr unterschiedlich motiviert waren. Sie waren aber durchweg positiv überrascht über die Vielzahl bestehender klassischer Fördermöglichkeiten oder auch über neue Instrumente des Fundraisings wie dem Crowdfunding. Eine allgemeine Beobachtung war, dass jüngere Generationen, entgegen einiger Stimmen in aktuellen Debatten, sehr wohl begeistert sind vom Ehrenamt, und dem Thema Gemeinwesenorientierung sehr verbunden sind. Die Form und die Vehemenz des Engagements hat sich aber grundlegend verändert. Jüngere Generationen wollen sich nicht dauerhaft in Vereinen engagieren, sondern eher in kürzeren Zeiträumen, aber dann auch zeitintensiver für einzelne fassbare Projekte einsetzen. Und sie wollen das auf Augenhöhe tun, eher unabhängig und selbstverantwortlich und ohne hierarchische Strukturen, die sich leider auch in vielen Vereinen in einer Form etabliert haben, die deutlich über gesetzlich vorgeschriebene Vereinsstrukturen hinausgehen. Die klassischen ehrenamtlichen Strukturen müssen lernen, flexibler auf die neuen Formen des Engagements zu reagieren und für Innovationen offen zu sein.

Wie könnte eine gute Zusammenarbeit zwischen MOs und etablierten Organisationen der hiesigen Zivilgesellschaft in diesem Themenfeld aussehen?

Dr. Dirk Tröndle: Eine gute Zusammenarbeit zwischen MOs und etablierten Organisationen ist ja glücklicherweise in einigen Bereichen schon längst etabliert. Und diese Kooperationen finden auch sehr oft auf gleicher Augenhöhe statt. Wie sich die zukünftige Zusammenarbeit gestaltet, hängt sowohl von den MOs als auch von den sog. mehrheitsgesellschaftlich orientierten Organisationen ab. Entscheidend wird die Bereitschaft großer etablierter Organisationen für eine weitere interkulturelle Öffnung sein sowohl bei der Diversität ihrer Mitarbeitenden als auch bei der Diversität ihrer Themen. Das Thema Diversität darf dabei aber weder zu einem Feigenblatt werden, indem z.B. stoisch Quoten abgearbeitet werden, noch sollte es als einziger höchster Wert als Alleinstellungsmerkmal stehen. Viele MOs der ersten Stunde wiederum stehen gerade vor einem entscheidenden Generationenwechsel und damit verbunden sind Debatten über die Schwerpunkte ihrer zukünftigen Arbeit. Anstelle von Diasporathemen der ersten Migrant*innengenerationen treten u. a. verstärkt Themen des gesellschaftlichen Zusammenhalts, der Teilhabe, der Diversität und Antidiskriminierung. Damit ist automatisch schon eine gute Grundlage für Kooperationen in diesen Arbeitsfeldern von MOs und mehrheitsgesellschaftlich gelesenen Organisationen gelegt. Gesamtgesellschaftlich wird das Verbindende und Gemeinsame immer mehr als das Trennende im Vordergrund stehen müssen.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Was würden Sie bei der Förderung des Engagements in Deutschland anders machen?

Dr. Dirk Tröndle: Die Hürden eines rein von Mitgliedsbeiträgen finanzierten ehrenamtlichen Vereins zum ersten Projektantrag und dann nochmals zur ersten Bewilligung sind sehr hoch. Selbst bei kleineren Fördersummen von einigen tausend Euro ist der Prozess der Projektantragsstellung bis zur finanztechnisch und administrativ geregelten Umsetzung eines Projektes sehr herausfordernd für alle Beteiligten und mit etlichen Gefahren verbunden. Ehrenamtliche verausgaben sich nicht selten mit Zeit und eigenem Geld über vertretbare Grenzen hinaus. Wünschen würde ich mir, dass für Antragsprozesse von Seiten der Fördermittelgeber weitere Instrumente der individuellen Fördermittelberatung entwickelt werden. Insbesondere sollten für Förderanträge im Vorfeld Finanzmittel bereitgestellt werden, mit denen sich neue junge Organisationen Dienstleistungen bei externen Fördermittelberatern und Projektentwicklern einkaufen können. Damit könnten kleinere neue Organisationen leichter in die Lage versetzt werden mit etablierten Organisationen, die hauptamtliches Personal beschäftigten, mitzuhalten.


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