Beitrag im Newsletter Nr. 19 vom 22.9.2022

In einer Demokratie muss man bereit sein, Kompromisse einzugehen

Interview mit Stephan Wilhelm, Vorstandssprecher des Energieversorgers EWR AG

Das Interview wurde am 30. Juni 2022 von Daniel Helmes geführt, Stellvertretende Leitung des Arbeitsbereich Information und Kommunikation (IuK) und Mitarbeiter bei der 18. »Woche des bürgerschaftlichen Engagements«.

Klimawandel, Pandemie, Krieg in der Ukraine und Menschen, die an der Demokratie zweifeln – Unternehmen sind heute mehr gefordert denn je. Stephan Wilhelm ist Vorstandssprecher der EWR AG, einem mittelständischen Energieversorger und Infrastruktur-Dienstleister für die Region Rheinhessen Pfalz und dem Hessischen Ried. Im Interview beantwortet er Fragen, wie das Unternehmen mit gesellschaftlichem Engagement Verantwortung übernimmt.

Herr Wilhelm, geschäftlich erfolgreich zu sein, heißt Verantwortung zu übernehmen. Für sein Unternehmen, für die Umwelt und auch für die Menschen – so steht es etwas vereinfacht auf Ihrer Webseite. Wie bringen Sie Engagement und Geschäft zusammen?

Die Frage kommt so kurz und einfach daher – und doch brauche ich dafür sehr viel Antwort. Fangen wir mit unserem Selbstverständnis an: Wir verstehen uns als einen Teil der Region, als Teil der Gesellschaft und das seit über 100 Jahren. Das klingt einfach, ist aber eine ganz entscheidende Grundlage für unser Handeln. Denn als »Umsorger« tragen wir rund um die Uhr eine große Verantwortung. Und das in sämtlichen Bereichen des Lebens der Menschen vor Ort.

Wie sieht das konkret aus?

Für uns ist es keine Selbstverständlichkeit, dass man als Unternehmen einfach so ein Geschäft betreiben und Geld verdienen kann. Dafür braucht man gute Rahmenbedingungen. Wir wissen, dass es die demokratischen Grundpfeiler sind, die uns das so gut erlauben. In diesem Bewusstsein sehen auch wir uns in der Verantwortung mitzuhelfen, dass unsere Gesellschaft und unsere Demokratie erhalten bleiben. Insbesondere vor dem Hintergrund des Klimawandels, der Pandemie und den Folgen des Krieges in der Ukraine. Geschäftlicher Erfolg und gesellschaftliche Verantwortung gehören für uns einfach zusammen. Und so sind wir auch eigennützig, wenn wir Projekte starten oder unterstützen.

Im Bündnis »Demokratie gewinnt!« haben wir uns beteiligt, um junge Menschen frühzeitig an Demokratie heranzuführen. Wir wollen sie darin bestärken, sich mit den Fragen unserer Zeit auseinanderzusetzen, wie zum Beispiel Klimawandel, Fachkräftemangel oder Inklusion. Damit übernehmen sie letztlich selbst gesellschaftliche Verantwortung. Erst kürzlich beteiligten sich unsere Azubis am »Reallabor Demokratie«. In dem Projekt lernen die Teilnehmer* innen, wie demokratische Entscheidungen entstehen. Sie sitzen dabei in einem Plenarsaal und diskutieren wie Abgeordnete im Parlament. Dort haben wir auch Demokratie-Workshops für unsere Führungskräfte durchgeführt. In unserem EWR-Format »Feierabend-Standup« diskutierten daraufhin Azubis und Führungskräfte gemeinsam mit dem rheinland-pfälzischen Landtagspräsidenten Hendrik Hering über aktuelle gesellschaftspolitische Themen.

Moment, Führungskräfte in Demokratie-Workshops?

Das mag abgehoben klingen, zahlt aber sehr konkret auf unsere tägliche Arbeit, auf unser Geschäft ein. Natürlich wissen unsere Führungskräfte als Bürger* innen, was Demokratie bedeutet. Aber da ist noch mehr: Was sind denn demokratische Grundregeln in einem Unternehmen? Wie laufen politische Prozesse zwischen Bundesland und Kommune? Wie kommt zum Beispiel Geld aus dem Bundesland zur Kommune? Was sind Fördergelder des Bundeslandes, die wiederum von Kommunen gebraucht werden? Glauben Sie mir, da hatten wir alle schon einige Aha-Momente.

Zum Beispiel?

Wir alle haben so unsere Vorstellungen wie in Deutschland Bund, Land und Kommune funktionieren. Aber wenn Sie das einmal konkret besprechen wollen, dann zeigen sich Wissens- und Verständnislücken. Wenn wir Partner der Kommune sein wollen, dann müssen wir genau diese Prozesse kennen. Nur dann können wir die Kommune in Infrastruktur-Fragen gut beraten. Das heißt, wir müssen zum Beispiel wissen und verstehen, welche Aufgaben, Pflichten und Möglichkeiten eine Bürgermeisterin oder ein Bürgermeister hat, egal ob haupt- oder ehrenamtlich.

Ich glaube, das ist sehr wichtig. Dass man erstmal jeden einzelnen Menschen respektiert und versteht, in welchen Rollen diese Menschen sind. Dieses Grundverständnis bedeutet: Ich respektiere und verstehe dich in deiner Rolle und versuche diese Rolle mitzudenken – dann gelingt auch eine gute und respektvolle Zusammenarbeit.

Können Sie das anhand eines Beispiels erklären?

Nehmen Sie den Klimawandel und die Energiewende. Wenn jede einzelne Bürgerinitiative dafür sorgen kann, auch wenn sie nur aus zwei Personen besteht, dass ein Windrad nicht gebaut wird – stehen wir uns dann mit unserer Demokratie nicht selbst im Weg? Wie schaffen wir es gemeinschaftlich? Genau da müssen wir auf einander zugehen, einander verstehen und gemeinsam auch zu einem Kompromiss finden. Ein Leitspruch von mir ist: Der Reifegrad der Demokratie in einem Land bemisst sich an der Kompromissfähigkeit seiner Gesellschaft. Und die Frage ist: Sind wir alle bereit für Kompromisse?

Wie engagiert sich EWR in anderen Bereichen?

EWR bietet zum Beispiel die Crowdfunding-Plattform »EWR-Crowd« an. Über die Plattform können Kommunen, Vereine und gemeinnützige Organisationen ihre Projekte vorstellen und andere Menschen um Spenden bitten. EWR gibt immer einen Teil der Spendensumme dazu. Projekte können über die Plattform sogar Menschen finden, die gerne regelmäßig spenden wollen.

Im Projekt »Mehr Natur wagen« haben wir an unserer Hauptverwaltung Wildsträucher und Blumenwiesen gepflanzt. Wildbienen, Hummeln und auch andere Insekten und Tiere finden hier nun einen guten Platz zum Leben. Regionale Umwelt- und Naturschutzverbände haben uns dabei beraten und unterstützt.

Nachhaltigkeit bedeutet für uns auch, dass wir Infrastruktur ausbauen. Im Moment für uns besonders wichtig: Ausbau für schnelles Internet. Unsere Kund* innen brauchen modernes und schnelles Internet für Arbeit, Schule und Freizeit. Hierbei geht es auch um Teilhabe und Partizipation – da wären wir wieder beim Thema Demokratie.

Ein anderer sehr wichtiger Bereich für uns: Soziales Engagement vor Ort. Wir kooperieren mit der Lebenshilfe, mit Schulen und Kindergärten. Es gibt sogenannte »Anpack-Tage«, an denen Mitarbeiter* innen Kinder-Spielplätze erneuern, zum Beispiel Klettergerüst streichen, Schaukel reparieren oder Sand austauschen. Nach der Flut im Ahrtal haben wir Mitarbeiter* innen über Wochen freigestellt, damit sie beim Aufräumen und Wiederaufbauen helfen konnten.

Zu Anfang der Corona-Pandemie haben wir sofort eine Arbeitsgruppe gebildet, um unsere Mitarbeiter* innen zu informieren und zu schützen. Denn sie sind das Wichtigste in unserem Unternehmen. In kürzester Zeit haben alle Mitarbeiter* innen Rechner für das Home-Office bekommen. Wir haben Videokonferenz-Software eingeführt, Desinfektionsmittel und, das klingt heute verrückt, wenn man zurückdenkt, selbstgenähte Mundschutzmasken verteilt.

Und wo noch mehr zu tun ist, da spenden wir auch. So im Ahrtal vergangenes Jahr: Wir haben abends von der Katastrophe erfahren und am nächsten Morgen in einer kurzen Konferenz des Vorstandes festgelegt: Wir spenden 100.000 Euro. So viel Geld auf einmal hat unser Unternehmen noch nie gespendet.

Bitte ergänzen sie den Satz: Engagement macht stark, weil...

… man nicht nur etwas gibt, sondern auch etwas bekommt: Spaß, eine starke Demokratie, Netzwerke, Wissen für den Job aber auch fürs Leben. Und weil Unternehmen durch dieses Engagement auch zu einem Teil der Region werden. Und gemeinsam kann man viel mehr erreichen.

Danke, Herr Wilhelm, für Ihr Engagement und das Gespräch!

Redaktion

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