Beitrag im Newsletter Nr. 17 vom 25.8.2022

Kurz und gut – Gelingensfaktoren für das Engagement internationaler Studierender in und mit einer kleinen Stadtgesellschaft in Zeiten von Corona, digitaler Lehre und besonderen gesellschaftlichen Krisen

Steffi Schneemilch

Inhalt

Erfahrungen aus dem Projekt Studium Hoch E am Beispiel des Standortes Eberswalde.
Service Learning als Bestandteil der akademischen Lehre
Projektverantwortliche berichten aus ihrem Alltag
Gelingensfaktoren und Beispiele aus der Eberswalder Praxis
Weiterführende Links
Autorin
Redaktion


Erfahrungen aus dem Projekt Studium Hoch E am Beispiel des Standortes Eberswalde

Eberswalde ist einer von drei Standorten des Projektes Studium Hoch E. Im Rahmen des Projektes kooperierten die Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) und die Freiwilligenagentur Eberswalde der Bürgerstiftung Barnim Uckermark und erprobten Maßnahmen und Formate zur gezielten zivilgesellschaftlichen Vernetzung insbesondere der internationalen Studierenden und der Eberswalder Stadtgesellschaft. Das Projekt dauerte insgesamt 36 Monate und startete im Oktober 2019. Eberswalde liegt im Nordosten Brandenburgs und beherbergt mit rund 2.250 Studierenden und 20 Studiengängen bereits seit 1830 (neugegründet 1992) die kleinste staatliche Hochschule in diesem Bundesland. Der Anteil der internationalen Studierenden stieg in den letzten Jahren kontinuierlich an und bewegt sich z.Z. bei ca. 8%. Die Stadt selbst profitiert von der Nähe zu Berlin in ihrer Ausstrahlung auf Studieninteressierte als auch auf zuzugswillige Familien, Single-Haushalte oder generell »Großstadtflüchtige«. Somit entwickelt sich nicht nur durch die Anwesenheit der Hochschule das Stadtbild immer bunter und diverser. Das Projekt knüpfte mit seinen Inhalten an diese Entwicklung an und konnte vielfältige Handlungsfelder zur notwendigen Vernetzung der Stadtgesellschaft offenlegen und Bedarfe vor Ort vertiefen.

Service Learning als Bestandteil der akademischen Lehre

Seit 2019 ist das Ziel Service Learning im Hochschulrahmenvertrag der HNEE verankert, d.h. dass die Hochschule Studierenden ein Lernen durch Engagement in der akademischen Lehre ermöglichen möchte und demokratiebildende Prozesse an der Hochschule und gleichermaßen in der (Stadt-)Gesellschaft sichtbar machen möchte. Der Fokus auf internationale Studierende, d.h. auf spezifische Fragestellungen und Herausforderungen der internationalen Studierenden, wurde durch das vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geförderte Projekt erweitert. Professorin Heike Walk, Projektverantwortliche an der HNEE und Professorin für Innovative Transformation, begründet das folgendermaßen: »Für unsere Hochschule spielte das zivilgesellschaftliche Engagement unserer Studierenden schon immer eine sehr große Rolle, aber wir hatten tatsächlich nicht auf dem Radar, dass dieses Engagement für internationale Studierende noch viel bedeutsamer ist - für ihre Integration in die Stadtgesellschaft und die Erhöhung ihrer Berufsfähigkeit. Gleichzeitig ist es notwendig das freiwillige Engagement auf die Lebenswelt der Studierenden, d.h. auf ihre kurze Studiendauer und die jeweiligen Studienphasen, z.B. die Prüfungsphasen, abzustimmen«. Im Kern lassen sich diese Erfahrungen nach drei Jahren Projektarbeit in zwei Thesen formulieren, die das Engagement von Studierenden allgemein, aber auch im Besonderen umreißen:

  1. These: Die studentische Lebenswelt ist eher auf kurzfristiges Engagement ausgerichtet und zivilgesellschaftliche Akteure sollten das als Chance begreifen.
  2. These: Das kurzfristige Engagement sollte auf ein zeitlich begrenztes Produkt bzw. eine zeitlich begrenzte Aktivität ausgerichtet sein, um den Engagierten auch kleine Erfolge der Selbstwirksamkeit zu vermitteln.

Diese Thesen wurden auf einem Workshop der Abschlusstagung des Projektes im Juni 2022 an der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina in Halle (Saale) diskutiert. Die Teilnehmenden bestätigten die Thesen vor dem Hintergrund ihrer eigenen Erfahrungen und hielten fest, dass über kurzfristige Einsätze und Engagementformen, bei guter und verbindlicher Pflege der Netzwerke sowie einer guten Abstimmung mit der Lebensrealität der (internationalen) Studierenden (Semesterferien, Prüfungsphasen, Semesterrhythmen und Arbeitszeiten in Jobs und Praktika) ein Engagement während des Studiums möglich und realisierbar ist.

Projektverantwortliche berichten aus ihrem Alltag

Auch auf kulturelle Besonderheiten gilt es bei internationalen Studierenden zu achten, sodass beide Seiten offen und sicher aufeinander zugehen können. »Wir als Freiwilligenagenturen sehen uns unter anderem in der Rolle derer, die Akteur*innen und Teilnehmende dazu befähigt einen partnerschaftlichen und sensibilisierten Umgang miteinander zu finden, sodass ein nachgefragtes und ausgeübtes Engagement von beiden Seiten als Bereicherung verstanden wird.«, hält Katja Schmidt, Leiterin der Freiwilligenagentur Eberswalde fest. Steffi Schneemilch, Projektkoordinatorin an der HNEE, verantwortlich für die Etablierung von Service Learning Formaten im Hochschulbereich, führt weiter aus: »Wichtig ist auch, dass Hochschulen derartiges Engagement honorieren und in die Lehre einbinden und nicht nur ›tolerieren‹. Es muss eine curriculare Anerkennung stattfinden – soll heißen, eine Anrechnung von Credits im Rahmen der Studiengänge. Die Entwicklung von Modulen, welche zivilgesellschaftliches Engagement fördern und berücksichtigen, gilt es zu verstetigen. So ist die Verbindung von Studieninhalten und Engagementerfahrungen gewährleistet und ermöglicht einen Lernprozess, der die Selbstwirksamkeit der Studierenden mit der akademischen Lehre verbindet, als auch einen lebensnahen Blick und verantwortungsvolle Mitgestaltung der Gesellschaft schärft.«

Lernen durch Engagement muss also auch in der akademischen Lehre als didaktische Methode und nicht nur in der schulischen Ausbildung ankommen, um die gesellschaftliche Lebenswirklichkeit in der wissenschaftlichen Fachausbildung abzubilden. Junge Menschen haben somit die Chance, ein fundiertes Fachwissen gesellschaftsrelevant anzuwenden und über die berufliche Profession als aktive Bürger*innen hinaus wirksam zu werden.

Eine Frage wurde im Workshop der Abschlusskonferenz des Projektes aufgeworfen: Wie schafft man es als Institution über kleine und kurzfristige Einsätze positive »Klebeeffekte« der Studierenden zu erzielen, um aus kurzfristigen Engagements ein langfristiges Interesse bei den Engagierten aufzubauen? Eine gemeinsame Antwort darauf konnte vorsichtig formuliert werden. Selbstwirksamkeit der Studierenden muss sichtbar gemacht werden – intern wie extern. Für Institutionen, die vom Engagement der Freiwilligen profitieren, als auch für die Freiwilligen selbst ist es wichtig zu formulieren oder gesagt zu bekommen: »...Darum war es wichtig, dass Du heute hier geholfen hast!«. Das klingt sehr einfach und selbstverständlich, ist es aber im Alltag nicht immer, weil auch dieser Dank von Freiwilligkeit abhängt.

Gelingensfaktoren und Beispiele aus der Eberswalder Praxis

Nicht zuletzt auch die Berücksichtigung des Engagements in geeigneten Studienmodulen ist eine Möglichkeit, Vereinbarkeit von Engagement und Studium bei oftmals recht straffem Curriculum zu realisieren. Unterschiedliche Formate dazu hat Eberswalde erprobt, um Stadtgesellschaft und Studierende über Engagementplattformen zu vernetzen. Sie sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden. Bei allen Maßnahmen muss in der Rückschau beachtet werden, dass sie zumeist unter oftmals schwer planbaren Rahmenbedingungen der Corona-Pandemie stattgefunden haben. Insgesamt war der Umstand der Pandemie für alle Standorte, Akteur*innen und Partner*innen eine Zäsur für das Projekt und die Vorhaben an sich.

➡ »wir packen´s an«-Flüchtlingshilfe – »Brot und Hoffnung« – Deutsches Rotes Kreuz

Im Barnim gegründet und nun bundesweit aktiv, sucht der Verein regelmäßig kurzfristig helfende Hände u.a. beim Packen und Sortieren von Hilfsgütern. Informationen über aktuelle Angebote dieser und anderer Initiativen finden Interessierte im »Engagementfinder« auf der Website der Freiwilligenagentur, die für internationale Studierende und Freiwillige, die größtenteils in Englisch kommunizieren, eine extra Filterfunktion bietet. So wurden Studierende zum Beispiel auch an die Eberswalder Tafel, die Kleiderkammer, das Deutsche Rote Kreuz (DRK) oder für Englisch-Nachhilfe an Mentoringprojekte vermittelt.

➡ Freiwilligentag Eberswalde

Ein einmal jährlich stattfindender Aktionstag im Mai mit der Möglichkeit, an vielen kleinen städtischen Mikroprojekten teilzunehmen. Anmeldung und Kontakt laufen über die Website und Organisationsplattform der Freiwilligenagentur Eberswalde. Hier überzeugt die Vielfalt der Angebote – inhaltlich als auch örtlich, da die Einsätze sich im gesamten Stadtgebiet verteilen. Die Projekte werden meist sehr gut sichtbar, da viele Projekte outdoor stattfinden und unterschiedlichste Orte der Stadt in den Fokus rücken. So werden auch verschiedene Kieze mit ihren jeweiligen Zielgruppen einbezogen und zeigen ein breites Bild der Stadtgesellschaft insgesamt in den Projekten.

➡ online Kochstreaming (live via Youtube über den Kanal der Bürgerstiftung Barnim Uckermark, immer noch als Aufzeichnung online)

Internationale Studierende laden mit ihren Lieblingsgerichten aus der Heimat dazu ein, ins Gespräch zu kommen und mitzukochen. Ein Mehrwert insbesondere im Lockdown der Corona-Pandemie 2020/2021. Die Rezepte wurden vorher veröffentlicht, eine Lieferung der Zutaten nach Hause erfolgte bei vorheriger Anmeldung via Lastenrad im Stadtgebiet. Die Teilnahme und das Kochen erfolgten auch unter Beteiligung der Mitbewohner*innen der Studierenden-WGs. Somit gewährten sie als vielfältig gemischte Studierenden-Haushalte in ihre WG-Küchen Einblick und zeigten einen sehr offenen und lebendigen Austausch.

➡ Einführungsmodul für alle Erstsemester »Einführung in die nachhaltige Entwicklung«

Diese Vorlesung belegen alle Erstsemesterstudierenden der HNEE. Bei der Entwicklung des Moduls haben Heike Walk und Steffi Schneemilch, mit dem Anspruch, Service Learning Inhalte gezielt zu etablieren, aktiv mitgewirkt. Im ersten Semester in diesem Lehrformat bekommen die Studierenden in einem Input-Teil alle Fragen der Nachhaltigkeit von Lehrenden aus unterschiedlichsten Fachbereichen verdeutlicht. In interdisziplinären Teams von 8-12 Studierenden, gemischt aus verschiedensten Studiengängen, erarbeiten sie im zweiten Teilbereich, in Begleitung von internen und externen Mentor*innen stadt- und zivilgesellschaftliche Mikroprojekte und wenden den vermittelten Input gleich an. Die Projekte werden unter anderem von Praxispartner*innen aus Vereinen und Institutionen der Stadtgesellschaft betreut. Regelmäßig akquirieren, konzeptionieren und betreuen die Projektakteurinnen des Projektes diverse Mikroprojekte. Eines davon wird im Folgenden beschrieben:

➡ Gartenprojekt im Familiengarten (»grünes Klassenzimmer«)

Das Anlegen von Hochbeeten und der Bau eines Bienenhauses erfolgte in Zusammenarbeit mit Kindern aus Eberswalde mit Migrationshintergrund und/oder Fluchterfahrung und (internationalen) Studierenden der HNEE mit dem Ziel, ökologisch nachhaltige Wirkung gemeinsam sichtbar zu machen. Das Projekt organisierte erfolgreich einen Austausch in Inhalt und Sprache und gestaltete gemeinsame Umweltbildungsprojekte. Diese Teilnahme erfolgte beispielsweise im Zusammenhang mit einem Lehrformat an der HNEE direkt.

➡ Service Learning Module »transformation pioneers« und »nachhaltig engagiert«

Beide Module vergegenwärtigen und thematisieren zivilgesellschaftliches Engagement. Sie befähigen dazu, sich in unterschiedlichsten Bereichen und Handlungsfeldern der lokalen und regionalen Gesellschaft einzubringen und ermöglichen, dieses Engagement im Rahmen eines Leistungsnachweises in verschiedensten Formaten an der Hochschule zu reflektieren. Darüber hinaus wird in den Modulen für deutschsprachige als auch internationale Studierende beleuchtet, was »Zivilgesellschaft« ist, was sie trägt und schützt und warum zivilgesellschaftliches Bewusstsein geschaffen werden sollte. Demokratiebildende und -schützenden Prozesse und Rahmenbedingungen spielen hier ebenso eine Rolle wie auch die Auseinandersetzung mit diskriminierenden und gesellschaftsspaltenden Zuständen. Verantwortliches Handeln und das »über den Tellerrand schauen« soll Studierende dazu sensibilisieren, zu aktiven und mündigen Mitgliedern der Gesellschaft zu werden.

➡ Engagementspaziergänge

Die Engagementspaziergänge dienten dazu, den Studierenden während einer gemeinsamen Wanderung in der Stadt unterschiedliche zivilgesellschaftliche Institutionen und Projekte vorzustellen. Dadurch sollte ein erstes »Beschnuppern« ermöglicht werden mit dem Ziel, die Hemmschwelle des ersten Engagements zu senken. Dieses Format ließ sich in der Projektzeit durch die Corona-Auflagen nur sehr reduziert anbieten. Hier bleibt unter normalen Kontaktbedingungen abzuwarten und erneut auszuprobieren, ob diese Form der Vorstellung für internationale Studierende und darüber hinaus geeignet ist, klassisches Volunteering und Freiwilligenarbeit kennenzulernen. Ziel der Projektpartnerinnen ist es, die Stadtgesellschaft für andere Kulturen und Vielfalt weiter zu öffnen. Beide Institutionen, die Freiwilligenagentur gemeinsam mit der Bürgerstiftung Barnim Uckermark und die HNEE, stehen für den unbedingten Willen, unterschiedlichste Menschen immer willkommen zu heißen, sie als dringend notwendige Chance für die Gesellschaft zu begreifen und über Bildung, geförderte Gemeinschaft und möglichst auch niedrigschwelligen Austausch zusammenzubringen.


Weiterführende Links:

  1. Aufzeichnungen Koch Streaming mit internationalen Studierenden
  2. Website Studium Hoch E – Freiwilligenagentur Eberswalde (Videos Engagementformate)

Beitrag im Newsletter Nr. 17 vom 25.8.2022
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.

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Autorin

Steffi Schneemilch ist Dozentin in den Studienrichtungen Regionalmanagement und Nachhaltige Ökonomie & Management im Fachbereich Nachhaltige Wirtschaft und verantwortlich für die Etablierung von Service Learning Formaten im Hochschulbereich an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde.

Kontakt: Steffi.Schneemilch@hnee.de


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