Beitrag im Newsletter Nr. 15 vom 30.7.2020

Vorhang zu und alle Fragen offen! Das Abschlusspodium der Auftaktkonferenz

Serge Embacher

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Vorhang zu und alle Fragen offen! Das Abschlusspodium der Auftaktkonferenz

Am 19. Juni 2020 fand zum Abschluss der Auftaktkonferenz des Forums Digitalisierung und Engagement eine virtuelle Podiumsdiskussion statt. Vollends virtuell war das Ganze allerdings nicht, denn sowohl die Moderatorin Paulina Fröhlich (Progressives Zentrum Berlin) als auch Ansgar Klein, Geschäftsführer des BBE, waren vor Ort im betterplace Umspannwerk Berlin, von wo aus die ganze Konferenz gefahren wurde. Im virtuellen Podiumsraum waren außer Ansgar Klein, Jutta Croll (Stiftung Digitale Chancen), Carola Schaaf-Derichs (Landesfreiwilligenagentur Berlin), Jochim Selzer (Chaos Computer Club) und Roland Roth (Prof. em. an der Hochschule Magdeburg-Stendal) unterwegs.

Durch diese illustre Besetzung entfaltete sich über eineinhalb Stunden ein lebhaftes Gespräch, bei dem es vor allem um die in den Tagen zuvor bearbeiteten Themen Digitale Kompetenz, Organisationsentwicklung, Datenschutz und Datensicherheit sowie Demokratieentwicklung ging. Gleich zu Beginn zeigte sich schon die Bandbreite der Positionen. Während Jutta Croll, Carola Schaaf-Derichs und Jochim Selzer den Zusammenhang von Digitalisierung und Engagement als unmittelbar gegeben bzw. unabdingbar und auch tendenziell positiv einschätzten, erkannte Roland Roth eher ein Spannungsverhältnis zwischen dem Engagement, das immer Physis und menschliche Nähe impliziert, und der Virtualität des Digitalen.

Gleichwohl verwiesen auch die eher affirmativen Stimmen auf Probleme und Herausforderungen im Zusammenhang mit dem digitalen Wandel. Jutta Croll verwies auf digitale Spaltungstendenzen, die das Internet immer schon mit sich geführt habe. Dabei sei es anfangs vor allem um den gleichen Zugang zum Internet gegangen, jetzt aber stünden viel stärker Fragen nach digitalen Kompetenzen im Vordergrund. Vernetzung, Informationsaustausch, Wirkung der eigenen Kommunikation, Bedeutung gesellschaftlicher Werte waren Stichworte, die dies illustrierten. Letztlich kreise die Diskussion um die Frage, wie man souverän an den sozialen Welten des Internets teilhaben könne. Die digitale Spaltung – ein Begriff ursprünglich aus der US-amerikanischen Debatte – verlaufe auffallend entlang der bereits existierenden gesellschaftlichen Gräben, das habe die COVID-19-Krise noch einmal sehr deutlich sichtbar gemacht. Der digitale Wandel sei aus genau diesem Grund, so in Ergänzung Ansgar Klein, als wichtige strategische Frage des Zugangs zum bürgerschaftlichen Engagement zu behandeln.

Carola Schaaf-Derichs beschrieb in ihrem Eingangsstatement den digitalen Wandel als enorme Chance für alle gemeinnützigen Organisationen. Die Teilhabegelegenheiten, die sich dadurch böten, seien bislang noch kaum richtig genutzt worden. Die Zivilgesellschaft befinde sich in einem Transformationsprozess, der durch »Corona« erheblich an Fahrt aufgenommen habe. Dieser Prozess fordere dazu auf herauszuarbeiten, was eigentlich den Kern des bürgerschaftlichen Engagements ausmache, welche Aktivitäten sich digitalisieren ließen und was nach wie vor nicht ohne Begegnung und Nähe funktioniere. Hier liege der Ausgangspunkt für Fragen der Organisationsentwicklung. Durch »Corona« sei klar geworden, wie stark alles von der Vernetzung abhänge, und hier könne Digitalisierung tatsächlich sehr hilfreich sein, hier läge die größte Chance des Digitalen.

In Bezug auf ein weiteres Schwerpunktthema der zurückliegenden Konferenz, nämlich Datenschutz und Datensicherheit, merkte Jochim Selzer zunächst an, dass viele der Gefahren, die im Internet gesehen werden, nicht so extrem seien wie häufig dargestellt. Mangelhafte oder auch veraltete Sachkenntnis wirkten oft verzerrend auf die Debatte um Datenschutz und Datensicherheit. Andererseits sei das anhaltende Problem, dass diese Themen – aller Datenskandale zum Trotz – immer noch nicht richtig ernst genommen würden. Die meisten Leute würden in ihrem Alltag diejenigen Tools und Anwendungen benutzen, die am einfachsten zu bedienen seien, da spiele der Datenschutz nur eine untergeordnete Rolle (z. B. bei der Nutzung von Zoom oder WhatsApp). Anspruchsvollere Technik überfordere sehr schnell, weswegen der Chaos Computer Club entsprechende Beratung und Infrastruktur zur Verfügung stelle (wie z. B. der Kölner Ableger des Clubs).

Roland Roth, der aufgerufen war, etwas zum Thema Internet und Demokratieentwicklung zu sagen, eröffnete mit der Frage, ob das Internet überhaupt jemals ein demokratischer Kommunikationsraum gewesen sei. Der amerikanischen Technikphilosophin Sherry Turkle zufolge sei das Internet zunächst eher ein Distanz- und Vereinsamungsmedium und als solches wenig geeignet für demokratische Deliberation. Andererseits gebe es aber mittlerweile auch positive Erfahrungen mit Formen des Widerstands und des Protests, die ohne Internet gar nicht denkbar wären (z. B. die Bewegung Fridays For Future). Zudem gebe es viele negative Legenden, z. B. die Behauptung, dass der Rechtsextremismus eine Ausgeburt des Internet sei, was völlig unplausibel sei. Generell könne man nicht die Technik selbst zum Akteur machen, es sei immer der Mensch, der sich technischer Mittel bediene und damit eben Sinnvolles oder weniger Sinnvolles tun könne.

Zudem betonte Roland Roth, dass man zwar über alle möglichen Maßnahmen und Forderungen im Rahmen eines Forums Digitalisierung und Engagement sprechen könne, wie dies etwa Ansgar Klein tat, indem er eine Art Bundeszentrale für digitale Kompetenz und generell mehr Infrastruktur für den digitalen Wandel forderte. Doch bevor man derart in die Feinheiten gehe, müsse, so Roland Roth, doch zunächst festgestellt werden, dass wir in Deutschland »auf einem ganz miesen Niveau« seien, was die digitale Grundversorgung angeht. Leider sei auch keine Perspektive zu erkennen, dass sich dies verändern könnte, weil man die Entwicklung der Struktur »in Konzernhände« gegeben habe. Nötig sei eine andere Zuständigkeit der öffentlichen Hand für digitale Grundversorgung, ansonsten würden sich die Ungleichheiten immer weiter verschärfen und das Internet könne beim besten Willen kein demokratischer Raum werden. Eine öffentliche Grundversorgung sei die wichtigste Grundvoraussetzung für die Demokratisierung des Internet, und dass das nicht möglich scheint, sei ein permanenter Skandal, über den so gut wie nie gesprochen werde.

Für eine demokratisch gestaltete Digitalisierung der Gesellschaft, so Roland Roth weiter, seien vor allem vier Voraussetzungen wichtig; erstens eine flächendeckende Grundversorgung mit Hardware, Software, entsprechenden Kompetenzen und der Verhinderung von Missbrauch; zweitens ein öffentliche Kontrolle über digitale Angebote; drittens wesentlich mehr zivilgesellschaftliche Mitsprache bei staatlichen Entscheidungen (Stichworte hier: Open Government und Open Budget); viertens der Erhalt demokratischer Kommunikationsräume durch direkte Kommunikation mitunter auch gegen den Trend, alles digitalisieren zu wollen.

Jochim Selzer schloss hier mit der Frage nach den Chancen für digitale Souveränität an. Wichtig seien die Dezentralität der technischen Infrastruktur und möglichst wenig zentrale Institutionen, auf die man dann angewiesen sei: Es dürfe möglichst keine Single Points of Failure geben, nicht das eine Glied in der Kette, von dem alles andere abhänge. Der Chaos Computer Club etwa zeige ganz praktisch, wie man den eigenen Rechner sicherer machen könne.

Als Aufgabe für das Forum Digitalisierung und Engagement wurde schließlich festgehalten, zu klären, wie man zu einem gesellschaftlichen Prozess kommen könne, an dessen Ende eine demokratische Aneignung der Digitalisierung stehe. In diesen Zusammenhang gehöre auch die Frage, wie die Zivilgesellschaft mithilfe einer eigenen Interessenvertretung »agendafähig« werden könne. Bislang sehe es so aus, dass sie in den entscheidenden Gremien systematisch nicht vertreten sei. Ein verstetigtes Forum Digitalisierung und Engagement könne ein Weg dorthin sein.

Insgesamt hat die Diskussion gezeigt, dass es bislang allenfalls gelungen ist, die richtigen Fragen zu formulieren. Dass diese Fragen auch nach Schließung des Vorhangs offengeblieben sind, liegt in der Natur des Prozesses, der jetzt – nach fünf Tagen virtueller Auftaktkonferenz – erst richtig beginnt.


Autor

Dr. Serge Embacher leitet den Arbeitsbereich Fachprojekte in der BBE-Geschäftsstelle und koordiniert in dieser Funktion das Forum Digitalisierung und Engagement.

Kontakt: serge.embacher(at)b-b-e.de


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