Beitrag im Newsletter Nr. 10 vom 20.5.2021

2. Rettungsschirm-Studie des Maecenata Instituts: Zivilgesellschaft in und nach der Pandemie

Malte Schrader

Inhalt

Multiple Herausforderungen der Zivilgesellschaft während der Pandemie
Auswirkungen der Pandemie auf die Zivilgesellschaft
Staatliche Hilfen
Potenziale
Fazit
Autor
Referenzen
Redaktion

Multiple Herausforderungen der Zivilgesellschaft während der Pandemie

Nach einem Jahr Corona-Pandemie ist das Ende noch nicht in Sicht. Kontaktbeschränkungen, Maskenpflicht sowie geschlossene Geschäfte und eingeschränkter Kindergarten- und Schulbetrieb prägen den Alltag. Die getroffenen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie sind in gewissen Teilen zur Normalität geworden, doch ihre Folgen und Auswirkungen werden immer deutlicher. Um die Krise abzumildern, hat die Zivilgesellschaft seit Beginn der Pandemie zahlreiche neue kreative Konzepte entwickelt und ihr Angebot an die gegenwärtige Situation angepasst. Während die Zivilgesellschaft zu Beginn meist spontan und durch informelle Solidarität agierte, entwickelte sie schnell selbstermächtigt und selbstorganisiert zahlreiche Corona-bezogene Projekte sowie Angebote. Es sind aber insbesondere zivilgesellschaftliche Dienstleistungen, die im weiteren Pandemieverlauf von den politischen Entscheidungsträger*innen völlig selbstverständlich in Anspruch genommen wurden. Mit ihren zahlreichen Angeboten im Sozial- und Gesundheitswesen übernahm die Zivilgesellschaft, oftmals, aber keineswegs nur, als Teil des staatlichen Gewährleistungsauftrags der Daseinsvorsorge völlig selbstverständlich wichtige und zentrale Aufgaben während der Pandemie.

Die Herausforderung der Zivilgesellschaft während der Pandemie ist eine mehrfache: Sie muss zum einen die Krise auffangen und die Rolle der Nothilfe einnehmen. Zum anderen muss sie auch eine positive Perspektive für die Zukunft der Gesellschaft entwickeln. Sie trägt dazu bei, der zunehmenden Isolation entgegenzuwirken und Gemeinschaft in und nach der Krise zu stiften, aber auch als Teil einer partizipativen und deliberativen Zivilgesellschaft, sich kritisch mit dem Krisenmanagement der Regierung auseinanderzusetzen und auf die schleichende Entmachtung des Parlaments und der autoritären Politikgestaltung hinzuweisen (vgl. Zimmer, Priller 2021: 12). Gleichzeitig sind die rund 800.000 kollektiven Akteur*innen der Zivilgesellschaft ebenso wie alle übrigen gesellschaftlichen Bereiche von der Pandemie betroffen und durch die auferlegten behördlichen Restriktionen stark in ihrem Handeln eingeschränkt sowie in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht. Das Vereins- und Verbandsleben ist in vielen Bereichen zum Erliegen gekommen und viele gewohnte Formen des zivilgesellschaftlichen Engagements sind nur erschwert umsetzbar.

Aufbauend auf den Ergebnissen der explorativen Maecenata Studie »Ein Rettungsschirm für die Zivilgesellschaft?«, die im Oktober 2020 einen ersten Einblick in einzelne Bereiche der Zivilgesellschaft in Zeiten der ersten Phase der Corona-Krise gab, untersuchte das Maecenata Institut für Philanthropie und Zivilgesellschaft mithilfe einer nicht repräsentativen bereichsübergreifenden Organisationsbefragung (N = 278) und Experteninterviews erneut, wie die Krise auf die Zivilgesellschaft wirkt und vor welchen Herausforderungen die befragten Akteur*innen stehen. Mit dem Ziel, ein aktuelles Stimmungsbild der Zivilgesellschaft zu erfassen, wurden die Auswirkungen der Krise auch im vorschreitenden Pandemieverlauf festgehalten. Zudem wurde ermittelt, wer von den staatlichen Hilfsprogrammen profitiert und wie zielführend diese sind. Darüber hinaus war ein zentrales Ziel der Studie unter anderem, den spezifischen Beitrag der Zivilgesellschaft zur Überwindung der Krise genauer zu untersuchen und ihre Potenziale während der Pandemie hervorzuheben.

Auswirkungen der Pandemie auf die Zivilgesellschaft

In der Maecenata Umfrage wird sichtbar, dass jede zweite zivilgesellschaftliche Organisation in starkem oder sehr starkem Maß von den Auswirkungen der Pandemie betroffen ist. Dies drückt sich vor allem durch einen veränderten Einsatz der Mitarbeitenden und Ausfälle oder Rückgänge der Leistungserbringung aus. Hinzu kommt, dass jede zweite zivilgesellschaftliche Organisation Projekte verschieben oder ganz abbrechen musste. Finanzielle Auswirkungen treten hingegen lediglich bei rund 40% der Befragten auf. Dies ist oftmals stark abhängig vom Tätigkeits- und Funktionsbereich der Akteur*innen und wirkt sich insbesondere auf Einnahmen aus Zweckbetrieben und wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben aus. Selbsterwirtschaftete Mittel sind im Vergleich zu 2019 um 45% gesunken. Auch hinsichtlich nicht-staatlicher Zuwendungen und Einnahmen durch Spenden kann tendenziell ein Rückgang beobachtet werden, gleichzeitig berichtet jede dritte Organisation auch von höheren Spendeneinnahmen. Perspektivisch wird sowohl kurzfristig bis Sommer 2021 als auch mittelfristig bis Ende 2022, bezogen auf den Gesamthaushalt, tendenziell von einer eher negativen Entwicklungstendenz ausgegangen. Doch nicht nur Einnahmen haben sich durch die Pandemie verändert, sondern auch unvorhersehbare Kosten sind entstanden. Bei über zwei Drittel der Befragten sind die Ausgaben vor allem für Digitalisierung und Hygienekonzepte gestiegen.

In der Umfrage wird sichtbar, dass die Auswirkungen der Pandemie vielfältig und mehr als nur finanzieller Natur sind. Fehlende Planungssicherheit und ein limitierter Handlungsspielraum schränken die Arbeit zivilgesellschaftlicher Akteur*innen massiv ein. Hinzu kommt ein nachlassendes Gemeinschaftsgefühl, welches insbesondere im Vereinswesen eine zentrale Rolle spielt und ein erschwerter und teilweise rückläufiger Kontakt zu bürgerschaftlich Engagierten. Gleichzeitig lässt sich jedoch auch einen Anstieg von neuen, internetaffinen Engagierten feststellen.

Die Pandemie-bedingte Verlagerung der Arbeit und der Angebote ins Digitale zeigt, dass viele gemeinnützige Organisationen vor der Pandemie in Bezug auf Digitalisierung stark zurücklagen. Die im Zuge der Krise vorangetriebene Digitalisierung geht oftmals mit Herausforderungen einher: Neben fehlendem digitalem Know-how und teilweise fehlender Hardware wird insbesondere im Bereich der Selbsthilfe und Gemeinschaftsbildung berichtet, dass Zielgruppen nur erschwert durch digitale Angebote zu erreichen sind. Hinzu kommt, dass jeder zweite Mitarbeitende durch digitale Formate aus den Arbeitsprozessen ausgeschlossen wird. Bereits in der ersten Maecenata Studie zeigt sich, dass durch fehlendes technisches Verständnis und der zunehmenden Digitalisierung des Alltags (Homeoffice, Homeschooling etc.) viele bürgerschaftlich Engagierte nicht bereit sind, die Digitalisierung des Ehrenamtes zu begleiten. Hinzu kommt, dass virtuelle Treffen oftmals nicht in der Lage sind, physische Treffen vollständig zu ersetzen. Ihnen gelingt es nicht, die Komplexität von formellen, informellen und über die Zeit gewachsenen direkten Begegnungen zu kompensieren.

Staatliche Hilfen

Um die Folgen der Pandemie abzumildern, gibt es für zivilgesellschaftliche Organisationen staatliche Hilfsangebote auf Bundes- und Landesebene. Die erste Maecenata Studie bot einen kursorischen Überblick über die diversen Angebote für die Zivilgesellschaft und konnte sowohl gemeinsame Trends als auch Unterschiede in den Herangehensweisen verschiedener Bundesländer aufzeigen. Die fast ausschließlich finanziellen Unterstützungsprogramme ressortieren bei zahlreichen verschiedenen Bundes- und Landesbehörden, sind oftmals ressortspezifisch und weder koordiniert noch gesamthaft erfasst. Um von ihnen profitieren zu können, sind, bis auf wenige Ausnahmen, der Status der Steuerbegünstigung (Gemeinnützigkeit), ein Geschäftsbetrieb und dessen Einschränkungen als Auswirkung der Corona-Pandemie und die Zugehörigkeit zu Verbänden und ähnlichen Zusammenschlüssen vorzuweisen (vgl. Schrader et al. 2020: 60f.). Viele der seit April 2020 laufenden Corona-Soforthilfen für gemeinnützige Organisationen wurden inzwischen durch die bundesweiten Corona-Überbrückungshilfen ersetzt und abgelöst. Einige Programme wurden jedoch bis 2021 verlängert.

Die erhobenen Umfrageergebnisse zeigen, dass lediglich ein Viertel der Befragten im vergangenen Jahr Corona-Hilfen beantragte. Ein weiteres Viertel ist nicht auf staatliche Hilfen während der Pandemie angewiesen. Nahezu jede dritte Organisation erfüllte nicht die staatlichen Zugangsvoraussetzungen oder fand diese zu unübersichtlich, um einen Antrag zu stellen. Dies trifft mit Abstand am stärksten auf die Selbsthilfe zu. Die Ergebnisse zeigen, dass staatliche Hilfen oftmals nur den Teil der Zivilgesellschaft erreicht, der Dienstleistungen anbietet und auf dem Markt agiert. Insbesondere zivilgesellschaftliche Dienstleister und Akteur*innen in Gemeinschaftsbildung konnten von diesen profitieren. Für sie ist die finanzielle Unterstützung hilfreich und kann dazu beitragen, finanzielle Ausfälle zu kompensieren und erhöhte Ausgaben auszugleichen. Andere, insbesondere Themenanwälte, Wächter und politische Akteur*innen werden von vielen Hilfsprogrammen jedoch systematisch ausgeschlossen.

Der tatsächliche Unterstützungsbedarf der Zivilgesellschaft ist zudem oftmals sehr kleinteilig, divers und je nach Funktions- und Tätigkeitsbereich unterschiedlich. Über die Hälfte der Befragten wünschen sich jedoch finanzielle Hilfe speziell für den Bereich der Digitalisierung.

Potenziale

Ungeachtet der zahlreichen eigenen Herausforderungen, denen sich die Zivilgesellschaft während der Corona-Krise stellen musste, hat sie gleichzeitig ihren Beitrag zur Bewältigung der Pandemie geleistet. Fast zwei Drittel geben an, dass sie im Zuge der Pandemie Tätigkeiten ausgeübt haben, die über den normalen Tätigkeitsbereich hinausgehen. Dabei ist, trotz limitiertem Handlungsspielraum und Einschränkungen durch staatliche Vorgaben, der quantitative Arbeitsumfang tendenziell, hinsichtlich Zeit und Komplexität, eher gestiegen. Es wird jedoch vereinzelt, insbesondere in der Selbsthilfe und der Gemeinschaftsbildung, auch von Rückgängen berichtet. Beides ist stark abhängig vom Tätigkeits- und Funktionsbereich, in denen die Akteur*innen agieren. Insgesamt wurden neu auftretende Bedarfe der Zielgruppen wahrgenommen, neue Themenfelder der Arbeit erschlossen und Hilfen für Dritte entwickelt. Bei über der Hälfte konnten Arbeitsschwerpunkte und Kernthemen mit der Krise verknüpft werden und ihre Arbeit trägt dazu bei, ein Gemeinschaftsgefühl innerhalb der Organisation und ihren Zielgruppen zu erzeugen.

Fazit

Die Maecenata Studie hat gezeigt, dass die Zivilgesellschaft seit Beginn der Corona-Pandemie stark involviert ist, die Krise und ihre Folgen bestmöglich abzumildern. Sichtbar wird, dass sie in der gegenwärtigen Situation unverzichtbare Beiträge für ein funktionierendes öffentliches Leben leistet (vgl. Brase, Klein 2020: 1) und insbesondere in der Rolle als Nothilfe Menschen unterstützt, die besonders auf Hilfe anderer angewiesen sind. Die Zivilgesellschaft setzt sich darüber hinaus aber auch für weitere Themen abseits der Pandemie ein und versucht, mit ihrer Arbeit eine positive Perspektive für die Gesellschaft aufzuzeigen. Das Potenzial der Zivilgesellschaft in der Überwindung der Pandemie liegt dabei vor allem in ihren kreativen Beiträgen zum sozialen Frieden. Diese liegen in Gelegenheiten zum Engagement, Inklusion und Partizipation sowie in der Herausbildung von sozialem Kapital und Gemeinschaft (vgl. Strachwitz 2020: 14), die entscheidend dazu beitragen, dass eine Gesellschaft nicht auseinanderfällt.

Gleichzeitig sind nahezu alle zivilgesellschaftlichen Akteur*innen von der Pandemie betroffen. Einige schaffen es besser, sich aufgrund ihres Tätigkeitsfeldes auf die neue Situation einzustellen und ihre Arbeit umstrukturiert fortzusetzen. Mitarbeitende konnten im Home-Office arbeiten, Angebote konnten digital bereitgestellt werden und finanzielle Ausfälle hielten sich in Grenzen. Andere wiederum sind durch Kontaktbeschränkungen und weitere pandemie-begründete Maßnahmen stark in ihrer Arbeit eingeschränkt und berichten von einem limitierten Handlungsspielraum, erschwerten Arbeitsbedingungen, unzureichender Digitalisierung sowie davon, dass Zielgruppen durch digitale Formate nicht adressiert werden konnten. Zwar waren die zivilgesellschaftlichen Organisationen auf die zweite Welle der Pandemie deutlich besser vorbereitet, doch trafen ihre Folgen sie mindestens ähnlich stark wie die erste. Teilweise ist dabei unklar, ob die eigenen Tätigkeiten zukünftig fortgesetzt werden können, sodass ihnen der fortschreitende Pandemieverlauf vereinzelt endgültig die Perspektive nimmt. Bereits jetzt gibt es zivilgesellschaftliche Organisationen, die ihre Arbeit dauerhaft einstellen mussten und die Krise nicht überlebten. Neben finanziellen Gründen liegt dies oftmals dran, dass sie ihren eigentlichen Vereins- oder Organisationszweck während der Pandemie nicht mehr erfüllen können und sich bürgerschaftlich Engagierte abgewandt haben.

Zur aktuellen Studie Zivilgesellschaft in und nach der Pandemie, April 2021


Beitrag im Newsletter Nr. 10 vom 20.5.2021
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.

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Autor

Malte Schrader, M. A., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Maecenata Institut für Philanthropie und Zivilgesellschaft.

Kontakt: ms@maecenata.eu


Referenzen

Brase, W. und A. Klein (2020): Ohne uns gehts nicht: Zivilgesellschaft und Systemrelevanz. Engagementpolitische Herausforderungen und Handlungsbedarfe. Arbeitskreis Bürgergesellschaft und Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Betrifft: Bürgergesellschaft 44. Juli. Online abrufbar: http://library.fes.de/pdf-files/dialog/16367.pdf [15.02.2021]

Schrader, M., J. Roth und R. Graf Strachwitz (2020): Ein Rettungsschirm für die Zivilgesellschaft? Eine explorative Studie zu Potenzialen, Bedarfen und Angeboten in und nach der COVID-19 Krise. (Opuscula, 144). Berlin: Maecenata Institut für Philanthropie und Zivilgesellschaft. Online abrufbar: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-70032-4. [14.04.2021]

Strachwitz, R.G. (2020): Basiswissen Zivilgesellschaft. (Opuscula, 140). Berlin: Maecenata Institut für Philanthropie und Zivilgesellschaft. Online abrufbar: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-68884-0. [04.03.2021]

Zimmer, A. und E. Priller (2021): A Patchwork Quilt of Programs. Nonprofit Policy Forum. De Gruyter. 24. Februar 2021. Online abrufbar: https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/npf-2020-0050/html [27.03.2021]

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